Was bislang für die Befürchtung von Verschwörungstheoretikern gehalten wurde, ist jetzt amtlich. Die US-Regierung sammelt im großen Stil Daten bei Telekom-Anbietern und US-Internetkonzernen wie Microsoft, Apple, Google oder Facebook. Der Name der Überwachungsaktion des Geheimdienstes NSA: PRISM. Enthüllt wurde der Skandal vom 29-jährigen CIA-Insider Edward Snowden, der mittlerweile in Hongkong untergetaucht sein soll.
Wir haben die Antworten auf die brennendsten Fragen zur US-Internetüberwachung, die auch vor Daten aus Österreich nicht halt macht.
Bekommen die US-Geheimdienste nun Informationen von amerikanischen Internet-Unternehmen?
Ja, und das ist auch seit Jahren bekannt. Nach dem "Patriot Act" können Behörden mit Gerichtsbeschluss Zugang zu Informationen bekommen. Das Neue an den Berichten über das Programm namens PRISM wäre der freie Zugang zu den Servern von Google, Facebook und Co. statt eines punktuellen Zugriffs. Sowohl die Regierung als auch die Unternehmen weisen dies zurück. Laut US-Geheimdienstkoordinator James Clapper ist PRISM nur ein internes Computersystem der Behörden.
Welche Länder überwacht der US-Geheimdienst?
Grundsätzlich werden Daten aus der ganzen Welt gesammelt. Wie die britische Zeitung "The Guardian" berichtet, nutzt der US-Geheimdienst eine Software namens "Boundless Informant", um seine Überwachungsaktivitäten im Internet zu koordinieren. Ein Screenshot der Software, der der Zeitung vorliegt, zeigt eine Weltkarte mit verschieden eingefärbten Staaten. Die Farbe gibt Auskunft über das Ausmaß der Internetüberwachung für den jeweiligen Staat. Während Österreich der Karte zufolge kaum interessant für den US-Geheimdienst ist, werden Staaten wie der Iran, Ägypten, Indien, Pakistan oder China intensiv überwacht - die USA selbst sowieso. Interessantes Detail: Der Karte zufolge ist in Europa vor allem Deutschland im Visier des US-Geheimdienstes, wenngleich es sich bei dem Screenshot, welcher der Zeitung vorliegt, um eine Momentaufnahme handeln dürfte und sich die Interessen der NSA durchaus verschieben können.
Wie glaubwürdig sind die Dementis der Internet-Konzerne?
Sie sind ähnlich formuliert und beziehen sich auf einen "direkten Zugriff" auf Server der Unternehmen. Zugleich klingen einige davon auch sehr persönlich und aufrichtig. So versicherte der Chefentwickler des Online-Netzwerks Google+, Yonathan Zunger, er würde kündigen, wenn er davon Wind bekäme. Und er sei in einer Position bei Google, in der er eine so groß angelegte Spionageaktion eigentlich hätte mitkriegen müssen. Zunger ist offen in seiner "Abscheu" für die NSA: "Wir haben nicht den Kalten Krieg geführt, damit wir die Stasi nachbauen können."
Könnte die NSA die Daten auch ohne Kooperation der Internet-Firmen bekommen?
Absolut. Und Zunger beschreibt eine Möglichkeit dafür: Sie könnten den Datenstrom bei den Anbietern von Internet-Zugängen abgreifen und Datenpakete mit Bezug zum Beispiel zu Facebook oder Google herausfiltern.
Gibt es Anhaltspunkte dafür?
Die "New York Times" zitierte am Wochenende einen Juristen "einer Technologiefirma", der berichtete, wie die NSA einen Agenten ins Hauptquartier des Unternehmens abkommandiert habe, um einen Verdächtigen in einem Cyberangriff zu überwachen. Der Agent habe von der Regierung entwickelte Software auf dem Server installiert und sei für mehrere Wochen geblieben, um Daten in ein Notebook der Agentur herunterzuladen. In anderen Fällen fordere die NSA Echtzeit-Daten an, die dann digital übermittelt würden.
Wenn der US-Geheimdienst tatsächlich nur Zugang zu den Daten punktuell und mit Gerichtsbeschluss bekommt, wie erklärt sich dann der Satz des "Washington Post"-Informanten, der sagte, "sie können buchstäblich sehen, wie Ihre Ideen entstehen, wenn Sie tippen"?
Das muss kein Widerspruch sein. Der amerikanische Journalist und Geheimdienst-Experte Marc Armbinder beschreibt das Funktionieren des PRISM-Systems so: Zum Beispiel könnte Facebook die Anordnung bekommen, Informationen über alle Profile aus Abbottabad in Pakistan herauszurücken. Angenommen, es gibt 50 davon. "Diese Accounts werden ständig aktualisiert. Also erstellt Facebook eine 'Spiegel'-Version der Inhalte, zu der nur die NSA Zugang hat. Die ausgewählten Profile werden in Echtzeit sowohl auf dem Facebook-Server als auch auf dem gespiegelten Server aktualisiert. PRISM ist das Werkzeug, das das alles zusammenbringt."
Die US-Regierung betont, dass die Verwendung der Daten strikt überwacht wird. Von wem?
Die Abläufe bleiben komplett im geheimen Bereich. Die Geheimdienst-Anfragen nach Nutzerdaten müssen zwar von einem Gericht bewilligt werden - aber es ist ein speziell dafür geschaffenes Gericht mit elf Richtern. Die Anfragen sind so geheim, dass die Unternehmen selbst über ihre Existenz schweigen müssen.
Noch sind etliche Fragen zu den Vorgängen beim US-Geheimdienst und den Konzernen, deren Daten ihm zugänglich sind, offen. Trotzdem - oder gerade deshalb - wird weltweit Kritik am Vorgehen der USA laut.
Deutschland ortet dringenden Aufklärungsbedarf
In Deutschland ortet man dringenden Aufklärungsbedarf. "Ich gehe davon aus, dass sich der für den Datenschutz zuständige Innenausschuss in allernächster Zeit mit dem Thema intensiv beschäftigen wird", sagt der Vorsitzende des deutschen Innenausschusses, Wolfgang Bosbach.
Es bedürfe dringender Aufklärung. "Es ist völlig unklar, auf welcher Rechtsgrundlage das Verhalten von Internetnutzern ausgeforscht worden ist." Die US-Regierung hat nach Enthüllungen durch britische und amerikanische Medien eine Überwachung von Telefon- und Internetdaten eingeräumt. Präsident Barack Obama hat die Maßnahmen mit dem Schutz von Terrorangriffen begründet.
Assange spricht von "Zerfall des Rechtsstaats"
Zu Wort gemeldet hat sich auch Wikileaks-Gründer Julian Assange, der sich in dem Zugriff der britischen Behörden nach wie vor in der ecuadorianischen Botschaft in London entzieht. Der Australier warnt bereits vor dem "Zerfall des Rechtsstaats" in den USA. Neben der Bespitzelung von Journalisten und anderen Bürgern erzürne ihn auch der Versuch der Regierung in Washington, sich von den ihr vorgeworfenen Spionagepraktiken "reinzuwaschen", sagte Assange.
"Die amerikanische Regierung erfasst die Telefondaten der ganzen Welt in den Vereinigten Staaten, und die NSA bezieht sie täglich auf Basis vertraulicher Abkommen von den (Telekommunikations-)Anbietern", sagte Assange. "Das ist genau das, was passiert."
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