Der Pariser Autosalon ist 2022 nur noch ein Schatten seiner selbst und wird vom automobilen Hauptgericht zu einem kleinen Snack - sowie zum Startpunkt für die chinesische Offensive auf dem europäischen Markt. Ein paar europäische Weltpremieren gibt es aber doch.
Es ist, als würden die großen europäischen Autoherstellern jenen aus dem Reich der Mitte das Feld kampflos überlassen. Der Pariser Autosalon, einst eine der Leitmessen, ist auf zwei Hallen (plus eine für Zulieferer & Co) zusammengeschrumpft, von den etablierten Autobauern sind (bis auf Jeep und Dacia) nur die Franzosen da, und die nicht einmal alle. Citroen schwänzt beim Heimspiel, das einst so bedeutsam für die Marke war. Hier hatte einst die legendäre DS ihren ersten öffentlichen Auftritt. Die Marke DS stellt aus, u.a. eine Design-Fingerübung und das Facelift des DS3 e-tense) mit verbessertem Antrieb (156 statt 136 PS, 54- statt 50-kWh-Batterie, 400 statt 341 km Reichweite).
Immerhin zeigt Peugeot mit dem bildschönen 408, der zwischen 308 und 3008 eine Nische findet und dessen Preis auch dazwischen liegt, eine Weltpremiere. Mit Fließheck und dennoch toller Kopffreiheit auf den Rücksitzen.
Eine weitere Weltpremiere bei der dritten Stellantis-Marke Jeep: Der rein elektrische Avenger ist der erste Stromer der Geländewagenmarke. Sein Antrieb entspricht dem oben beschriebenen des Peugeot 408, wegen des höheren Luftwiderstands kommt er aber nur 392 Kilometer weit.
Durchstarten mit Legenden
Der Star bei Renault ist die Studie 4ever Trophy, welche die Neuauflage des R4 ankündigt - und damit einen Wertewandel bei Renault bestätigt: „Renault hatte seine Seele verloren, die holen wir jetzt zurück“, erklärte CEO Luca de Meo im „Krone“-Gespräch. Dazu gehört auch die R5-Neuauflage, die schon 2024 auf den Markt kommen soll, ein Jahr vor dem R4. Der Vorbote hier ist ein unfassbares Drift-Einzelstück als Hommage an den R5 Turbo, mit zwei E-Motoren und Heckantrieb.
Das einzige neue Serienmodell bei Renault ist der Austral, den wir bereits knapp zwei Wochen vor der Messe fahren konnten.
Fetter Auftritt der China-Marken
Wohl dem, der eine Tradition hat, die er neu entdecken kann, so wie Renault. Die Chinesen kommen stattdessen mit Qualität zum Günstig-Preis: Das „Great Wall Motors“-Flaggschiff Wey Coffee 01 hat das drittbeste Crashtest-Ergebnis aller Zeiten erzielt. Dazu gibt’s Premium-Auftritt und -Technik zu einem Preis ab weit unter 60.000 Euro, und das in einem Oberklasse-SUV mit Plug-in-Hybrid mit 146 Kilometer elektrischer Reichweite! Dafür braucht es allerdings eine gut 40 kWh große Batterie, die in einem kleinen Elektroauto locker die doppelte Reichweite erzielen würde. Mit einer Systemleistung von 476 PS sind aber trotz 2,2 Tonnen Leergewicht sportliche Fahrleistungen möglich. Mit dem Coffee 02 stellt Wey zudem ein kleineres PHEV vor.
Die zweite vertretene GWM-Marke ist Ora. Der kompakte Funky Cat tritt elektrisch gegen VW ID.3 & Co an, demnächst auch in Deutschland (auch als Sport-Variante Cat GT). Eins nach dem anderen sollen schnell auch die meisten anderen europäischen Länder folgen. Auch Österreich steht auf der Eroberungsliste. Als weiteres Modell, eine Klasse über dem Funky Cat, bringt Ora „The Next Cat“ ins Abendland, eine Art elektrische Porsche Panamera des kleinen Mannes.
Während Wey und Ora gerade in Deutschland starten, hat die Marke Bild Your Dreams (BYD) vor wenige Tagen den Importvertrag mit der heimischen Denzel-Gruppe unterschrieben, zum Jahresende soll hierzulande der Verkauf beginnen, Anfang des Jahres die ersten Fahrzeuge ausgeliefert werden.
Den Anfang macht der Kompakte BYD Atto 3, der im jüngsten EuroNCAP-Crashtest brilliert hat. Mit 150 kW/204 PS und 420 km Reichweite, topausgestattet inklusive Hightech-Assistenten und drehbarem Touchscreen soll er ab rund 40.000 Euro zu haben sein. Ebenfalls von Anfang an im Angebot: die fast fünf Meter lange Allrad-Limousine Han (521 km Reichweite)sowie das E-Segment-SUV Tang (400 km Reichweite), beide ab rund 70.000 Euro. Im Lauf des Jahres 2023 soll die Palette auf sechs Modelle anwachsen, mit der 4,80-m-Limousine Seal, dem Klein-SUV Dolphin und dem 4,70-m-SUV Song, das als einziges BYD-Modell nicht nur mit E-Antrieb, sondern auch als Plug-in-Hybrid erhältlich sein wird.
Vor allem hat BYD einen Vorteil gegenüber der Konkurrenz: Sie haben angeblich keinerlei Lieferproblem, weil sie alles selbst produzieren. Das ist viel wert in Zeiten, da Kunden im Allgemeinen so lang wie nie zuvor auf Neuwagen warten müssen. BYD produziert so ziemlich alles selbst, das Kerngeschäft sind eigentlich Batterien, damit werden auch Tesla und Toyota beliefert.
Glühende Schönheit
Und dann ist da noch die Studie namens Alpenglow, welche Renaults Performance-Tochter Alpine zeigt. Es ist ein futuristischer Le-Mans-Rennwagen, der blau und teilweise rot leuchtet und teilweise aus recyceltem Carbon besteht. Der Clou ist aber der Antrieb: Der Motor verbrennt Wasserstoff.
Außerdem findet man interessante Konzepte wie die Studie NAMX mit Wasserstoff-Brennstoffzelle, deren 5-kg-Tank sich durch sechs Halb-Kilo-Patronen ergänzen lässt, die man an einem Hub tauschen kann. Ein entsprechendes Netz soll flächendeckend Europa überspannen. Ein Start ist für 2025 angedacht, noch wird aber ein Partner gesucht, mit dem das von Pininfarina gezeichnete SUV-Coupé gebaut werden kann. Die für das Projekt veranschlagten 700 Millionen Euro kommen aus Großbritannien, Marokko und den Vereinigten Emiraten.
Eher skurril ist der Umbau, mit denen zwei französische YouTuber auf der Messe einen großen Auftritt haben: Sie haben einen Fiat Multipla u.a. mit einem getunten Corvette-Motor zum 1200-PS-Geschoss gemacht.
Messe-Fazit
Ein wenig trostlos ging es schon bei der letzten Ausgabe des Pariser Salons vor vier Jahren zu (vor zwei Jahren viel die Messe pandemiebedingt aus), weil schon damals sehr viele große Hersteller ferngeblieben sind. Dieses Mal hat die Veranstaltung schon beinahe lokalen Charakter, wozu Aussteller wie die beiden YouTuber zusätzlich beitragen. Und irgendwie fühlt sich auch der Auftritt der chinesischen Marken schon beinahe an wie ein Heimspiel.
Die „Mondial de l‘Auto“ findet noch bis Sonntag, den 23.10. statt. Auf eine Neuauflage 2024 würden wir keine Wetten abschließen.
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