Kadjar-Nachfolger

Renault Austral E: Mehr Überflieger als down under

Motor
10.10.2022 10:00

Man muss schon sehr kreativ sein, um den Nachfolger des Renault Kadjar „Austral“ zu nennen, ohne sich auf den Kontinent down under, also „ganz unten“ beziehen zu wollen. Als ob irgendwer wüsste, dass die Vokabel ursprünglich „südlich“ bedeutet. Im Gegensatz zu seinem Namen ist das Auto an sich aber sehr durchdacht und eher ein Überflieger, als dass man es ganz unten verorten müsste.

(Bild: kmm)

Der Austral gehört der Gattung der Kompakt-SUVs an und befindet sich mit 4,51 Meter Länge, 1,62 Meter Höhe und 2,67 Meter Radstand in guter Gesellschaft von Mitbewerbern wie VW Tiguan, Kia Sportage, Hyundai Tucson oder auch BMW X1. Die Plattform (die Konzern-Plattform CMF-CD) teilt er sich u.a. mit den Nissans Qashqai und X-Trail. Beim Antrieb gehen die Franzosen aber eigene Wege.

Neben (eigentlich eher über) zwei 12-Volt-Mildhybrid-Benzinern mit 140 und 158 PS (beides 1,3-Liter-Turbo-Vierzylinder aus der Mercedes-Kooperation) steht ein Vollhybrid, den wir in Madrid und Umgebung ausgiebig testen konnten. Den Antrieb bestreiten ein Dreizylinder-Benziner und zwei Elektromotoren, die im Zusammenspiel 200 PS und ein Systemdrehmoment von 410 Nm erzielen.

Im Einzelnen: Der kompakt bauende 1,2-Liter-Turbo-Benziner arbeitet nach dem Miller-Prinzip und erzielt einen sensationellen Wirkungsgrad von 41 Prozent. Er steuert 131 PS bei. Der Hauptelektromotor sitzt direkt am Motorblock in Verbindung mit dem sogenannten „Multimode-Getriebe“. Sein Beitrag sind 50 kW/68 PS. Dazu kommt ein 25 kW/34 PS starker Startergenerator, der neben der Energierückgewinnung auch die Aufgabe hat, die Kupplung respektive den Wandler zu ersetzen.

Und das funktioniert so:
Es gibt vier Gänge für den Verbrenner und nachgereiht zwei für den Haupt-Elektromotor. Aus unterschiedlichen Kombinationen dieser Übersetzungen (inklusive Leerlauf der Verbrenner-Gänge) ergeben sich 15 verschiedene Fahrstufen, die je nach Bedarf automatisch angewählt werden. Der Fahrer hat darauf keinerlei Einfluss. Der Strom für den Antrieb kommt aus einem 2 kWh großen 400-Volt-Akku im Wagenboden, der ausschließlich via Rekuperation gespeist wird oder indem die Kraft des Verbrenners zu Strom gemacht wird. Strom können beide E-Motoren erzeugen.

Bei der Frage, wie die Vorderräder angetrieben werden, ist der Austral kreativ: per Verbrenner, per E-Motor oder von beiden gemeinsam. Das beinhaltet auch, dass der Verbrenner die Batterie laden kann, währen die Räder rein elektrisch angetrieben werden, wenn die Technik das für effizienter hält.

Für die Rekuperation gibt es vier Modi von leichter Rekuperation/Bremswirkung bis starker Rekuperation, die man per Paddles am Lenkrad abrufen kann. Auf Stufe vier kann man in vielen Situationen auf die Nutzung des Bremspedals verzichten. Bis zum Stillstand bremst das System aber nicht ab. Lästig: Beim selbsttätigen Rekuperieren zieht sich das Bremspedal zurück, so als wenn man draufsteigen würde.

Geschmeidig mit Abstrichen
In den meisten Fällen verhält dich der Antrieb völlig unauffällig. Man bekommt kaum mit, ob der Verbrenner gerade aktiv ist oder nicht, denn er ist extrem gut gedämmt. Das ist erstaunlich für einen Dreizylinder. Man merkt höchstens manchmal Vibrationen im Fahrzeug, wenn sich der Verbrenner anstrengt, aber das stört nicht. Es ist grundsätzlich sehr leise im Austral, was ihn zu einem angenehmen Reiseauto macht.

Nur manchmal braucht die Automatik zu lang, bis sie aus 15 Fahrstufenkombinationen die richtige ausgewählt hat, vor allem wenn man aufs Gas steigt, um z.B. zu überholen. Dabei kann es zu unangenehmen Situationen kommen, weil zunächst weniger Schub kommt als erwartet bzw. es einige Sekunden dauert, bis „was weitergeht“.

Allerdings: Ein Renault-Ingenieur hat bei der Fahrpräsentation Stein und Bein geschworen, dass sie dieses Problem erkannt haben und rechtzeitig vor Auslieferungsstart im Jänner 2023 lösen werden. Wir sind gespannt!

Die Werte gehen in Ordnung: Für den Standardsprint gibt Renault 8,4 Sekunden für den Hybrid ohne Allradlenkung an, der bringt ohne Fahrer 1569 kg auf die Waage (4Control samt Mehrlenker wiegt 55 kg extra). Die Höchstgeschwindigkeit ist auf 175 km/h begrenzt.

Traumfahrwerk beim Hybrid
Nichts, aber auch gar nichts zu mäkeln gibt es am Fahrwerk des Renault Astral E, jedenfalls in der getesteten Version mit Hinterradlenkung namens 4Control Advanced. Die ist ausschließlich für den Hybrid erhältlich (kostet 1500 Euro extra) und beinhaltet auch eine Mehrlenkerhinterachse. Alle anderen müssen sich mit einer Verbundlenkerachse begnügen.

Der Testwagen jedenfalls glänzte zum einen mit präziser Spurführung und auffallend geringer Seitenneigung in Kurven. Er war jederzeit leicht beherrschbar und durcheilte schnelle Kurven leicht untersteuernd beinahe wie auf Schienen. Die mit 13:1 sehr direkt übersetzte Lenkung reagierte blitzschnell und ermöglichte spaßorientiertes Carven über herrliche Bergstraßen nördlich von Madrid, wo im Winter Skifahrer hoffen, den Berg hinaufzukommen. Nur ein bisschen mehr Gefühl für die Fahrbahn wäre nicht verkehrt, und die Lenkung ist auch im Sportmodus ziemlich leichtgängig.

Die Allradlenkung lenkt bei niedrigeren Geschwindigkeiten bis maximal 5 Grad gegen die Richtung der Vorderräder, darüber mit bis zu ein Grad gleichsinnig, um für Stabilität zu sorgen. Der Bereich, in dem die Orientierung wechselt, liegt zwischen 60 und 80 km/h. Über das Display kann man das Verhalten der Lenkung in 13 Stufen einstellen. Es bleibt aber immer bei maximal 5 Grad Lenkwinkel.

Dadurch wird der Astral richtiggehend kurvengierig und agil. Beim Rangieren glänzt er mit einem Wendekreis von 10,10 Meter statt 11,50 Meter mit Standardlenkung.

Edler Innenraum, gute Bedienung
Das Interieur ist hochwertig und elegant, die Materialien des Testwagens in der Ausstattungsstufe Iconic Esprit Alpine erstklassig. Hartes Plastik wurde nur sehr sparsam verwendet und tatsächlich nur da, wo es nicht stört.

Das Layout an sich kennt man vom Renault Megane, d.h. es gibt ein L-förmiges Display, das sich aus einem 12,3-Zoll-Tacho-Screen und einem zentralen 12-Zoll-Tochscreen zusammensetzt. Anders gestaltet ist (zum Glück!) die Mittelkonsole: Hier ragt keine Ecke Richtung Knie und sorgt für Schmerzen, stattdessen kann sich das Knie angenehm anlehnen.

Besonders auffällig ist der große Griff auf der Mittelkonsole, mit dem man die Abdeckung für Ablagefach und Cupholder verschieben kann. Vor allem aber ist er als Handauflage gedacht, um den Touchscreen besser bedienen zu können. Das funktioniert für den unteren Bereich ziemlich gut, für den oberen kaum.

Das Bedienkonzept ist sehr durchdacht. So befindet sich unterhalb des Displays eine eigene Konsole für die serienmäßige Zweizonen-Klimaautomatik. Wesentliche Funktionen des Audiosystems (top im Testwagen: von Harman Kardon) sind Renault-typisch in einem Bediensatelliten rechts hinterm Lenkrad untergebracht. Am Lenkrad befinden sich zwar einige Touchelemente, die aber wie Tasten funktionieren, aber auch zwei hervorragend funktionierende Kippelemente. Da dürfen die Verantwortlichen manch anderer Marken gerne genauer hinschauen, wie so etwas geht.

Die Preise
Der Basispreis für den Renault Astral mit 140-PS-Benziner (und manuellem Sechsgang-Schaltgetriebe beträgt 31.990 Euro. Für den 158-PS-Benziner mit „7-Gang-CVT“ werden mindestens 36.990 Euro fällig.

Der Hybrid ist ab 41.490 Euro zu haben, in der getesteten Version mit dem Ausstattungslevel Iconic Esprit Alpine kostet er ohne Extras 44.990 Euro.

Warum?
Viel Platz
Gelungenes Bedienkonzept
Tolles Fahrwerk

Warum nicht?
Hybrid-Antrieb mit Schwächen bei der Automatik

Oder vielleicht …
… Nissan Qashqai, VW Tiguan, Hyundai Tucson, BMW X1 …

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(Bild: kmm)



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