Aus für Subventionen

Bei Elektroautos tritt China jetzt auf die Bremse

Motor
08.06.2019 12:00

„Ich sage nur: China, China, China!“ Das berühmte Diktum des früheren deutschen Bundeskanzlers Kurt-Georg Kiesinger wirkt wie eine Leitschnur für die Entwicklungsstrategien der Deutschland AG - oder das, was von ihr übriggeblieben ist. Das Reich der Mitte, es sollte der globale Leitmarkt für die Elektromobilität werden. Ob Spitzenmanager oder Provinzpolitiker: Man ließ sich beeindrucken und zu gewaltigen Investitionen hinreißen - galt es doch, auf dem größten Markt der Welt nicht ins Hintertreffen zu geraten.

(Bild: kmm)

Und tatsächlich schien der Schritt zur E-Mobilität für die Chinesen durchaus Sinn zu ergeben. Denn man koppelte sich dadurch von der Abhängigkeit vom Öl ab. Und besitzt die Schürfrechte an zahlreichen Rohstoffen, die für die E-Mobilität benötigt werden. Mancher chinesische Entscheider glaubte gar, man könne den Rückstand bei den Verbrennungsmotoren nicht mehr aufholen. Besser sei es, gleich auf eine Zukunftstechnologie zu setzen.

Neues Credo: Wasserstoff
 Tatsächlich war die E-Mobilität ein Lieblingsprojekt der Planungskommission in China. Doch die hat schon länger nicht mehr viel zu sagen. Das Medium „China Daily News“ berichtet über eine neue Strategie: Schon bald sollen vier Wasserstoff-Korridore eingerichtet werden - ganz nach japanischem und kalifornischem Vorbild. China besitze beim Wasserstoffauto trotz des Spätstarts große Vorteile - zum Beispiel eigene Ressourcen und die Größe des Marktes. Einige Regionen sind sogar noch ambitionierter: Allein im Jangtsekiang-Flussdelta sollen bis 2030 stolze 20 Wasserstoff-Korridore entstehen.

(Bild: ampnet)

Die Website „China Daily Mail“ schlägt in die gleiche Kerbe: Staatliche Subventionen würden anstatt in Elektroautos nunmehr in die Entwicklung der Wasserstoff-Brennstoffzelle gesteckt. Die seien sauberer und effizienter als Fahrzeuge, deren Energie aus Lithium-Ionen-Batterien kommt. Die EV-Industrie werde schon bald die „grausame Realität“ finanzieller Einbußen erleben, orakelt die Website.

Ende März hatten das chinesische Finanzministerium sowie das Ministerium für Wissenschaft und Technologie die Subventionen für batteriegetriebene Elektroautos um zwei Drittel gekürzt. Um überhaupt in den Genuss von Subventionen zu kommen, muss die Reichweite nunmehr 250 statt bislang 150 Kilometer betragen. Die Subventionen für Elektroautos mit hoher Reichweite - das bedeutet 400 Kilometer und mehr - werden um die Hälfte gekürzt. Und sehr bald, nämlich ab 2020, wird die Förderung komplett auf null gefahren.

Ein Kenworth mit Brennstoffzellentechnik von Toyota transportiert sechs Mirai (Bild: Toyota)
Ein Kenworth mit Brennstoffzellentechnik von Toyota transportiert sechs Mirai

Die Politik wird klug
 Laut China Daily Mail habe sich das Denken von Premierminister Li Keqiang im Zuge einer Japanreise fundamental geändert. Dort hat er sich über die Fortschritte bei der Brennstoffzelle informiert. Besonders hat Li beeindruckt, dass sich ein wasserstoffgetriebener Toyota Mirai in nur wenigen Minuten auftanken lässt.

Jetzt handelt die Regierung: Bis 2030 sollen nach jüngsten Plänen der chinesischen Behörden eine Million Wasserstoff-Autos auf die Straße kommen.

Der Strategiewechsel dürfte für chinesische Steuerzahler eine große Entlastung darstellen. Allein die Marke BYD hat nach Angaben des Nachrichtenportals Sohu in den vergangenen fünf Jahren knapp eine Milliarde Euro Subventionen für ihr Elektroprogramm erhalten. Inzwischen schreibt BYD Verluste. Verantwortlich dafür sei der Rückgang der staatlichen Förderung.

Der Kunde dürfte den Wegfall einiger Elektroautos vom Markt verschmerzen können: Im April 2019 wurden in China 1,98 Millionen Autos zugelassen, darunter waren kombiniert lediglich 97.000 Fahrzeuge mit Wasserstoff-, Elektro- oder Plug-In-Hybridantrieb. Und das, obwohl die Subventionsgießkanne noch kreiste.

Brände und Entsorgung machen Anti-E-Stimmung
 Beobachter glauben ohnehin, dass viele chinesische Kunden das Vertrauen in Elektroautos verloren haben - und nicht nur sie: „China Daily“ berichtet, die erschreckend häufig brennenden Elektroautos hätten auch den „Zorn der chinesischen Regierung“ hervorgerufen. Im Jahre 2018 wurden mehr als 40 entsprechende Vorfälle registriert.

Zudem wächst bei den chinesischen Behörden das Bewusstsein für die zahlreichen Nachteile batterieelektrischer Autos gegenüber Wasserstoffautos und auch dem klassischen Verbrenner. Besonders schwer wiegen die Umweltprobleme - sowohl bei der Gewinnung der erforderlichen Schwermetalle als auch bei der Entsorgung der giftigen Abfälle.

Ein Kurswechsel mit Ansage
 Der Kurswechsel kommt nicht überraschend. Schon vor über einem Jahr warnte der China-Experte Jochen Siebert von JSC Automotive in Shanghai, dass der Schritt zur E-Mobilität keineswegs in Stein gemeißelt sei. „Man wird schon bald einen Rückzieher machen müssen, vor allem weil der Ausbau der Ladestationen nicht funktioniert“, sagte Siebert damals in einem Interview mit der Fachzeitschrift „Automobil Industrie“. Und ergänzte: „Dem Ministerium für Ökologische Umwelt geht es tatsächlich darum, die Umwelt zu verbessern, und es kann durchaus zu dem Schluss kommen, dass Elektroautos gar nichts bringen.“

Die jüngsten Signale aus China sollten die Industrie übrigens nicht verleiten, nunmehr blindlings auf die Wasserstoff-Brennstoffzelle zu setzen. Am meisten verspricht ein Ansatz der Technologieoffenheit. So weist Experte Siebert auf die gewaltigen Erdgasvorkommen in der Südchinesischen See hin: „Man könnte den Import von Erdöl locker ersetzen. Wenn dieser Schatz gehoben wird, kann man sich die Elektrifizierung sparen.“

Und Motorenentwickler-Legende Professor Friedrich Indra verriet jüngst, dass China auch auf CO2-neutrale Kraftstoffe setzt. Man habe dort gerade „begonnen, mit Hilfe von Entwicklungsdienstleistern ganz neue Verbrennungsmotoren zu entwickeln“, so der bestens vernetzte Ingenieur.

Der Blick nach China lohnt sich heute mindestens ebenso sehr wie zu Zeiten von Bundeskanzler Kiesinger. Denn es wäre fatal, dort mit der falschen Technologie ins Hintertreffen zu geraten.

(ampnet/Jens Meiners)

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(Bild: KMM)



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