Frauen gefälscht

Flirt-App Lovoo: Nutzer systematisch abgezockt

Web
18.09.2015 12:17
Dating-Apps erfreuen sich wachsender Beliebtheit bei Singles. Zigtausende suchen im Netz nach der großen Liebe oder schnellen Flirts. Doch der Schein trügt: Bereits vor einigen Wochen wurde bekannt, dass das Seitensprung-Portal "Ashley Madison" mit Fake-Frauen auf Nutzerfang geht. Und wie ein Bericht der Computerzeitschrift "c't" nun am Beispiel des deutschen Flirt-Dienstes Lovoo zeigt, ist Betrug am Kunden auch bei vermeintlich seriösen Anbietern gängige Praxis.

Das Magazin stellte anhand eines 50 Gigabyte großen Datenpakets voll interner E-Mails und des Programmcodes eines Profilgenerators, das der Redaktion von anonymen Informanten zugespielt wurde, Recherchen an - und deckte dabei auf, dass Lovoo seine männlichen Nutzer in die Irre führt, um ihnen das Geld aus der Tasche zu ziehen.

Profilfotos im Ausland abgesaugt
Mit der eigens programmierten Software wurden offenbar im großen Stil Profile von Frauen gefälscht. Ihr Zweck: Männer zum Kauf von Premium-Mitgliedschaften und In-App-Angeboten verleiten. Die Profilfotos wurden mit Spezialsoftware aus dem Ausland abgesaugt.

Lovoo-Nutzerinnen in England, Brasilien oder Frankreich sollen ohne ihr Einverständnis zu deutschen Fake-Profilen verarbeitet worden sein. Umgekehrt dürften deutsche Nutzerinnen als Fake-Profile im Ausland herumgeistern. Selbst Profilfotos aus rivalisierenden Flirt-Diensten sollen abgegriffen worden sein.

Die Profilbeschreibungen wurden per Generator erzeugt. Er formte aus Textbausteinen eine simple Profilbeschreibung, die gemeinsam mit den entwendeten Bildern zu Profilen vermeintlicher Flirt-Partnerinnen in der Umgebung verarbeitet wurden.

Fake-Profile verleiteten Männer zum Zahlen
Lovoo nutzte die Fake-Profile offenbar, um Nutzer neugierig zu machen und dazu zu verleiten, Geld auszugeben. Dabei spielt die Funktionsweise des Dienstes eine wesentliche Rolle: Nutzer erstellen ein Profil, können die Profile anderer Nutzer in der Nähe "durchwischen" - und Interesse bekunden.

Hier kommen die Fake-Profile ins Spiel. Sie sollen automatisiert die Profile männlicher Nutzer aufgerufen und Interesse signalisiert haben, was Nutzern ohne VIP-Mitgliedschaft allerdings nur als verschwommenes Foto angezeigt wird.

Wer wissen will, wer sein Profil aufgerufen hat, muss zahlen. Wer mit der Flirtpartnerin chatten will, wird ebenfalls mit Premium-Angeboten gelockt - etwa der kostenpflichtigen Möglichkeit, sein Gegenüber auch zu kontaktieren, wenn dessen Posteingang voll ist. Alternativ bietet der Dienst auch eine Premium-Mitgliedschaft für 70 Euro pro Jahr an, in der derlei Möglichkeiten bereits enthalten sind.

Männer gezielt in die Irre geführt
Die Fake-Profile wurden offenbar gezielt auf Männer zwischen 16 und 50 Jahren angesetzt und sollten sie durch vermeintliches Interesse und Profilbesuche zum Zahlen bringen. Frauen und Männer außerhalb dieser Altersgruppe wurden ignoriert.

Die Intention ist klar: Einsame Männer melden sich bei Lovoo an - und freuen sich nach kurzer Zeit, dass ihr Profil auf so großes Interesse stößt. Um die vermeintlichen Interessentinnen ansehen zu können, bezahlen sie Geld. Was sie nicht wissen: Die Interessentin gibt es gar nicht, stattdessen haben sie Geld bezahlt, um ein aus dem Ausland abgesaugtes Profilbild einer Fake-Nutzerin anzusehen.

Wie viele Fake-Nutzerinnen es in der deutschen Lovoo-Variante gab, lässt sich nicht abschätzen. Die "c't"-Reporter, die für ihre Recherchen Profile bei Lovoo anlegten, stießen aber immer wieder auf vermeintliche Nutzerinnen, deren Profilbeschreibung verdächtig nach einem Text aus dem Generator aussah.

Geschäftsführung verschleierte Vorgehen
Die Geschäftsführer des Dresdner Flirt-Dienstes waren offenbar bemüht, ihre Tricks zu verschleiern, selbst vor der eigenen Belegschaft. "c't" zitiert in seinem Bericht eine Mail des Marketing-Chefs, in der er schreibt, die Fake-Profile sollten nur "für den engsten Kreis" ersichtlich sein. Für alle anderen müsse es normal aussehen.

Offenbar wurden die Fake-Profile, firmenintern "Promoter" genannt, im Umland von Dresden eigens blockiert, damit die Lovoo-Mitarbeiter dem betrügerischen System nicht auf die Schliche kommen.

In der Qualitätssicherung fielen sie trotzdem auf. "Mit der massiven Promoter-Aktion tun wir uns keinen Gefallen, das vermehrt nur den Eindruck, dass die Seite voller Fakes ist. Wäre schön, wenn das mittelfristig stark zurückgefahren würde", soll in einem Bericht dieser Abteilung stehen.

Betrug brachte Tausende Euro pro Tag
Passiert ist das freilich nicht: Lovoo soll zeitweise allein mit den vergeblichen Versuchen betrogener Nutzer, Fake-Profile mit vollem Postfach zu erreichen, täglich 5000 Euro verdient haben - eine Zusatzeinkunft, der man wohl nicht abgeneigt war.

Tatsächlich soll Lovoo gefälschte Profile sogar dafür verwendet haben, eine günstigere Altersfreigabe in Apples App Store zu bekommen. Der Plan von Lovoo sah wohl vor, im Umkreis der Apple-Zentrale rund 150 besonders attraktive, aber gleichzeitig züchtige Fake-Profile in Stellung zu bringen, mit denen Apple-Prüfer zur Vergabe einer milden Alterseinstufung animiert werden sollten.

Betreiber dementieren Fake-Profile
Die Betreiber des Chat-Dienstes wurden von "c't" mit dem Ergebnis der Recherchen konfrontiert. Die Reaktion der Lovoo-Pressestelle: "Nein, Lovoo setzt keine Bots ein, die über Automatismen Nutzeraktivität für uns generieren."

Kurze Zeit nach dieser Stellungnahme fing Lovoo damit an, die Fake-Profile im großen Stil zu löschen. Die meisten Teilnehmerinnen, die die Profile der Reporter während der Recherchen aufgerufen hatten, waren plötzlich nur noch als "Gelöschter Nutzer" vorhanden. Zur gleichen Zeit meldete sich ein Lovoo-Anwalt bei "c't", der behauptete, der Bericht der Computerzeitschrift entbehre jeglicher Grundlage.

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