Anschober im Interview

„Ich bin kein großer Freund von Verboten“

Gesund
31.01.2020 05:01

Sozial- und Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne) setzt bei den aktuellen Themen wie etwa Pflegereform, Vorsorge und Kindergesundheit auf Vernetzung, Eigenverantwortung und das Lustprinzip.

„Krone“: Das Schlagwort der Stunde - die Pflegereform. Was dürfen wir davon erwarten?
Rudolf Anschober: Es ist tatsächlich eines meiner Hauptanliegen, weil die Zeit drängt. Ich setze hier auf ein Dreistufenkonzept. Im Februar/März startet eine große Dialogtour unter dem Motto ,Zukunft der Pflege‘. Dafür gehe ich in Institutionen, fahre einen Tag mit den mobilen Diensten, spreche mit Mitarbeitern, Angehörigen, Fachleuten, NGOs, die in diesem Bereich tätig sind, um ein genaues Bild von der Situation zu bekommen und Ideen mitzunehmen. Nach Ostern werden wir die große ,Taskforce Pflege‘ aufstellen, mit Jahresende sollte die Zielsteuerungskommission Bund - Länder - Gemeinden stehen.

Wie lässt sich der akute Mangel an Pflegepersonal aufstocken?
Der Bedarf liegt bei 75.000 mehr Mitarbeitern in diesem Bereich bis 2030. Keine Kleinigkeit, so ehrlich muss man schon sein. Mein Ansatz: für Entbürokratisierung und Entlastung zu sorgen, damit wieder mehr Zeit für den Menschen bleibt. Mit attraktiverer Entlohnung und Arbeitszeitverkürzung wollen wir jene Fachkräfte zurückholen, die aus dem Pflegeberuf ausgeschieden sind - dabei handelt es sich um etwa 30.000 Personen. Die Ausbildung soll vielfältiger werden. Wie etwa mit dem Schulversuch eines Pflegelehrgangs mit Maturaabschluss ab September.

Ohne pflegende Angehörige wäre die Versorgung nicht denkbar . . . 
Diese Bürgerinnen und Bürger werden viel zu sehr alleine gelassen! Daher ist ein Pflegebonus so wichtig und auch mehr öffentliche Wertschätzung. Mein großes Ziel ist es, die Pflege auf gemeinsame Beine zu stellen und, was ja bereits stattfindet, die 24-Stunden-Betreuung zu zertifizieren, um für Betroffene eine Qualitätskontrolle zu ermöglichen. Eine sehr hohe Priorität kommt der Einrichtung sg. Community Nurses zu.

Was darf man sich darunter vorstellen?
Ein wohnortnahes Angebot von speziell ausgebildeten Pflegekräften, das sich etwa in Deutschland, Dänemark und vor allem Finnland bewährt hat. Dieser Gesundheitsberuf kann zur Entlastung der Haus- und Landärzte beitragen, aber auch in der Primärversorgung einsetzbar sein. Blutdruck messen, Diabetes-Kontrolle, Medikamentenabgabe nach ärztlicher Verschreibung sind u. a. Aufgabengebiete, bzw. auch Unterstützung des Pflegeangebotes. Wir planen in dieser Legislaturperiode 500 Community Nurses zu installieren, die ersten 2021. Die Ausbildung startet im Herbst an der FH Oberösterreich.

Haben wir für das alles eigentlich ausreichend Geld?
Wenn wir die Finanzierung bündeln und möglichst effizient und sparsam vorgehen, bin ich zuversichtlich. Aber es muss schon mehr aus dem Budget zur Verfügung gestellt werden, das muss man ganz offen und ehrlich sagen. Ich hatte vor Kurzem ein Gespräch mit dem Verantwortlichen der Europäischen Investitionsbank bezüglich eines 360 Millionen hohen Kreditrahmes für Österreich, um attraktive Angebote für Jungmediziner zu fördern. Dafür kann man europäisches Geld sinnvoll einsetzen.

Ihr besonderes Augenmerk liegt auf der Ausweitung der Primärversorgung?
Ja, das hat oberste Priorität. Ich halte ein möglichst gemischtes Angebot aus Medizinern, Pflegekräften, anderen Gesundheitsberufen für zukunftsweisend. Die Schaffung eines Netzwerkes mit Verankerung vor Ort wird durch moderne digitale Möglichkeiten erleichtert.

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Mir sind die Freiheit zu entscheiden, Selbstbestimmung und Information lieber als der erhobene Zeigefinger.

Rudolf Anschober, Die Grünen

Die Österreicher sind nicht gerade Vorreiter in der Prävention. Haben Sie dazu schon eine Idee?
Es stimmt - in diesem Bereich ist noch viel zu wenig geschehen. Wir sind in der glücklichen Lage, dass die Lebenserwartung steigt - da muss es doch unser Auftrag und Ziel sein, den Anteil dieser gewonnenen Jahre, in denen wir gesund sind, möglichst zu erhöhen. Das geht nur durch Vorsorge. Hier steht aber Information im Vordergrund, nicht der erhobene Zeigefinger! Ich bin kein Freund der Verbotskultur. Ich möchte, dass wir selbstständig daran arbeiten können. Lustbetont und nicht verordnet von oben!

Sollte man damit nicht schon bei den Kindern anfangen?
Und wo erreicht man sie am besten? In der Schule! Ich bin ja selber Lehrer gewesen. Viele Verhaltensmuster, die uns prägen, werden im Alter zwischen fünf und 15 verankert. Ernährungsprojekte, kochen lernen, Umgang mit Lebensmitteln - alles Wege, die dabei helfen, zu erkennen, was einem guttut.

Wie stehen Sie in diesem Zusammenhang zu den modernen Medien?
Politik ist Kommunikation und man kann sie als spannende Informationsquelle nutzen. Ich bin selber sehr aktiv auf Social Media, gleichzeitig muss man aber auch überdenken, was das mit uns macht. Bis hin zu Abhängigkeiten, Körperhaltung, orthopädischen Leiden.

Wie geht es mit Psychotherapie auf Krankenschein weiter. Die Einrichtungen sind überlastet.
Psychische Erkrankungen werden einen wichtigen Schwerpunkt unserer Arbeit darstellen. Das Thema muss unbedingt aus der Tabuzone geholt werden. Wenn ich eine Grippe habe, gehe ich ja auch zum Arzt. Warum also nicht bei seelischen Problemen? Ab Mai setzen wir diesbezügliche Schwerpunkte.

Heißes Eisen Impfpflicht: Sie haben sich vor Kurzem bei der Grippeimpfung fotografieren lassen. Zur Nachahmung empfohlen?
Ich bin kein Freund des Zwangs, aber wo wir andere gefährden, etwa in Gesundheits- oder Lehrberufen, wäre es schon sinnvoll. Ich begrüße daher auch die Einführung des elektronischen Impfpasses.

Immer wieder wird über Medikamentenengpässe geklagt. Hat Ihr Ministerium darauf Einfluss?
Da muss unbedingt etwas geschehen! Wir sehen juristisch einen Weg, wie man im Rahmen des EU-Rechts da tätig werden kann. Ich gehe davon aus, dass sich in relativ kurzer Zeit eine Lösung finden lässt.

Karin Podolak, Kronen Zeitung

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