Online-Propaganda

Russin outet sich als “Troll” im Dienste Putins

Web
07.04.2015 09:20
"Putin ist genial!", "Die Ukrainer sind Faschisten", "Europa ist dekadent". Zwei Monate - bis März 2015 - war Ljudmilla Sawtschuk nach eigenen Angaben für den russischen Präsidenten Wladimir Putin als bezahlte Cyberaktivistin im Internet unterwegs. Jetzt hat sie sich geoutet und gibt einen Einblick in die Arbeit als "Online-Troll".

"Unser Job bestand darin, im Sinne der Regierung zu schreiben, Putin und seine Politik zu loben und seine Gegner niederzumachen", sagt die 34-jährige Russin, die mit ihren beiden Kindern in St. Petersburg lebt. Ihr Tätigkeitsfeld waren Diskussionsforen und Newsgroups, Chatrooms und Blogs. Dort brachte sie am Tag - als angebliche Hausfrau, Studentin oder Sportlerin - an die hundert Kommentare und Beiträge unter. Dafür gab es ein monatliches Salär von 40.000 bis 50.000 Rubel (640 bis 800 Euro). In Russlands zweitgrößter Stadt gilt das als gutes Geld.

Mysteriöse Agentur zur Erforschung des Internets
Die Bezahlung war für Sawtschuk das Motiv, sich online bei der sogenannten Agentur zur Erforschung des Internets zu bewerben. Die ominöse Agentur ist für die Öffentlichkeit nicht zugänglich. Einziges Zeichen ihrer Existenz sind Jobanzeigen im Internet, in denen scheinbar unverfängliche Posten wie der eines "Redakteurs" oder "Content Managers" angeboten werden.

Kandidaten werden aufgefordert, sich über eine Website zu bewerben. Eine automatisch versandte Antwort verspricht dann baldige Rückmeldung. Sawtschuks Einstellungsgespräch war kurz. Ihr Gesprächspartner habe sich nur mit dem Vornamen Oleg vorgestellt und sie als Erstes gefragt: "Was halten Sie von unserer Politik in der Ukraine?"

Das Thema Ukraine spielte fortan eine wichtige Rolle bei der Arbeit der 34-Jährigen. Sawtschuk erzählt, dass sie jeden Tag Anweisungen für ihre Tätigkeit erhalten habe. Sie zeigt einen derartigen auf ihrem Handy gespeicherten "Tagesbefehl": "Die Ukraine hat einen Reformplan verabschiedet, um Hilfsgelder vom Internationalen Währungsfonds zu bekommen." Hauptidee der Kommentare: "Für die ukrainische Regierung steht der militärische Bedarf über den Interessen der Bürger."

Job für die einen, Mission für die anderen
Die Arbeit fand laut Sawtschuk in einem unscheinbaren grauen Gebäude an der Sawuschkin-Straße im Norden von St. Petersburg statt. Ihre Kollegen seien überwiegend jung gewesen, viele Studenten. "Politik war ihnen vollkommen gleichgültig, sie nahmen nichts ernst. Für sie war es bloß eine Art, Geld zu verdienen." Daneben habe es einige ältere Beschäftigte gegeben, die ihre Arbeit als "wirkliche Mission" verstanden hätten und vollständig darin aufgegangen seien.

Abgeschottet und streng überwacht
Sawtschuk beschreibt die Tätigkeit als hart. Pausenlos müssten die Mitarbeiter große Mengen Kommentare im Internet veröffentlichen, längst nicht jeder habe das Zeug dazu. Viele Leute würden entlassen, weil sie die geforderten Ansichten nicht in die richtigen Worte kleiden könnten, die Rotation sei hoch. Die Arbeitsstelle ist laut Sawtschuk weitgehend abgeschottet und streng überwacht, unter den Mitarbeitern herrsche eine Atmosphäre der Angst: "Überall gibt es Kameras." Gespräche fänden kaum statt: "Entschuldigung, ich habe es eilig", heiße es bloß.

"Trollfabrik" aufgestockt
Reporter der russischen Oppositionszeitung "Nowaja Gaseta" hatten das Online-Propagandazentrum 2013 undercover besucht. Demnach arbeiteten damals rund 400 Mitarbeiter dort in einem kleinen Gebäude am Stadtrand von St. Petersburg. Laut Lokalmedien zog die Agentur im vergangenen Oktober in ein größeres, vierstöckiges Gebäude, von einigen Medien als "Trollfabrik" bezeichnet. Berichten zufolge hat die Agentur inzwischen neue Abteilungen für Mitarbeiter mit Fremdsprachen- oder Photoshop-Kenntnissen eingerichtet.

Online-Störenfriede
Als Trolle werden Internetnutzer bezeichnet, die durch ihre Kommentare bewusst Online-Diskussionen stören und die Atmosphäre in Chatrooms vergiften. Dadurch richten sie nicht nur inhaltliche Schäden an, sondern versuchen auch, Konflikte innerhalb der Internetgemeinde zu schüren. Die Aktivitäten der russischen Online-Propagandisten haben schon mehrere russische Medien gezwungen, Kommentar-Foren auf ihren Websites zu schließen.

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