Kritik und Spott

Türken trotzen Twitter-Verbot – Eigentor Erdogans?

Web
21.03.2014 17:44
Das umstrittene Twitter-Verbot, das der türkische Premier Recep Tayyip Erdogan seinem Land verpasst hat, könnte sich für den machtbewussten Ministerpräsidenten als Bumerang erweisen. Seit Inkrafttreten Freitag früh gab es eine rekordverdächtige Zahl an Tweets aus der Türkei - innerhalb weniger Stunden waren es mehr als eine halbe Million. Der Tenor ist erwartungsgemäß kritisch bis hämisch. Auch die türkischen Medien und die internationale Politik äußerten sich weitgehend ablehnend - auch und insbesondere via Twitter.

Der Kurznachrichtendienst selbst hatte seine türkischen Nutzer auf Wege hingewiesen, wie man die Sperre umgehen kann. So rät Twitter im Fall von Netzsperren, Tweets per SMS abzusetzen. Über VPN-Zugänge oder Anonymisierungsdienste wie TOR können Nutzer zudem ihren Standort verbergen. Dadurch ist nicht mehr erkennbar, von welchem Land aus sie sich einwählen. Die Sperre greift dann nicht mehr.

Häme für Erdogans Problem mit dem "Vögelchen"
Die türkischen Twitter-User machten von den Ausweichmöglichkeiten zuhauf Gebrauch. In einem Tweet, der es durch die Sperre geschafft hat, wird Erdogan etwa als Polizist dargestellt, der einen Polizeiwagen voller blauer Vögel, die das Twitter-Logo darstellen, lenkt. Das Online-Kollektiv "Anonymous" wiederum hat eine modifizierte Version der türkischen Flagge ins Netz gestellt, auf der der charakteristische rote Halbmond Jagd auf den Twitter-Vogel macht.

Auch der oberste Twitterer des Landes, Staatspräsident Abdullah Gül, setzte sich über das Verbot hinweg und erklärte über seinen Account, die Sperre sei inakzeptabel. Sollten per Twitter begangene Straftaten vorliegen, könnten nur individuelle Beiträge auf Gerichtsbeschlüsse hin gelöscht werden. Er hoffe, dass das Verbot nicht lange in Kraft bleiben werde, so Gül - pikanterweise ein Parteifreund Erdogans.

OSZE, EU und Kurz entsetzt
Kritik an Erdogan kam auch aus dem Westen: Die OSZE bezeichnete den Bann als "weiteren Schritt zur Unterdrückung der Meinungsfreiheit". EU-Erweiterungskommissar Stefan Füle äußerte sich "tief besorgt". Das Verbot der sozialen Internetplattform "lässt die erklärte Verpflichtung der Türkei gegenüber europäischen Werten und Standards fraglich erscheinen". Auch Österreichs Außenminister Sebastian Kurz hat "absolut kein Verständnis" für die Twitter-Sperre: "Die Meinungsfreiheit ist ein hohes Gut und zu schützen - überall, aber im Besonderen in Ländern mit EU-Kandidatenstatus."

Doch nicht nur die Twitter-Gemeinde sowie die internationalen Partner haben ein Problem mit Erdogans Maßnahme: Auch viele türkischen Medien haben nur Hohn für die Sperre über. Sie verbreiten die vom sozialen Netzwerk publik gemachten Wege zur Umgehung der Sperre und nehmen Erdogan auch in satirischer Form auf die Schaufel.

"Willkommen in Nordkorea"
So kursiert etwa eine Karikatur der türkischen Zeitung "Yarin" auf Twitter, die einen Vögel fütternden Erdogan auf einer Parkbank zeigt. Den blauen Vogel, der das Twitter-Logo darstellt, füttert der Premier freilich nicht, sondern versucht, ihm mit Insektenspray den Garaus zu machen. "Willkommen in Nordkorea" titelt die linksnationale Zeitung "Sözcü". Die Türkei habe sich mit der Twitter-Sperre in die Gesellschaft von Ländern wie China, Afghanistan, Pakistan oder eben Nordkorea eingereiht.

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