Schwere Vorwürfe erheben die Eltern eines 18-Jährigen in der ostchinesischen Provinz Anhui, nachdem ihr Sohn zwei Tage nach seiner Einlieferung in ein Internet-Entzugslager in einer Klinik ums Leben kam. Am Körper des Toten wurden Hinweise auf schwere Misshandlungen entdeckt, die Behörden haben das Entzugslager für die Dauer der Ermittlungen geschlossen und die Betreiber verhaftet.
"Der Körper meines Sohnes war komplett mit Narben übersät - vom Kopf bis zu den Zehen. Als ich meinen Sohn in das Zentrum brachte, ging es ihm noch gut. Wie kann er in nur 48 Stunden gestorben sein?", fragt Frau Liu, die Mutter des Toten, im Gespräch mit der BBC. Für die Eltern liegt der Verdacht nahe, dass ihr Sohn im Internet-Entzugslager - viele davon sind für militärischen Drill und sogar Elektroschock-"Therapien" berüchtigt - misshandelt wurde.
18-Jähriger wurde nach zwei Tagen in Spital eingeliefert
Frau Liu und ihr Mann hatten den 18-Jährigen bereits am 3. August in das Lager eingeliefert. Dort sollte ihm mit einer Kombination aus "psychologischer Beratung und physischem Training" seine Internetsucht ausgetrieben werden. Doch nach nur zwei Tagen erhielten die Eltern den Anruf aus dem Lager, dass ihr Sohn ins Krankenhaus gebracht wurde, wo er wenig später starb.
Die Ärzte berichteten den Eltern später von 20 äußeren und einigen inneren Verletzungen, denen der junge Mann erlegen sei. Die Behörden wurden eingeschaltet: Der Direktor und vier Ausbildner des Internet-Entzugscamps wurden verhaftet, das Lager selbst wurde für die Dauer der Ermittlungen geschlossen. Doch der Fall zieht weite Kreise: In chinesischen sozialen Medien und in der Presse wird nun über Sinn und Unsinn der Entzugslager diskutiert, in die in den vergangenen Jahren immer mehr Jugendliche eingeliefert wurden.
"Am Ende kommt das alles von mangelnder Erziehung in der Familie", schreibt ein Kommentator im chinesischen Twitter-Pendant Weibo. In einem Kommentar in der Zeitung "Mingguang" wird attestiert: "Manche Eltern denken nicht über ihre Verantwortung in der Erziehung nach, wenn sie ein Problem entdecken, sondern suchen sich lieber Hilfe von Dritten."
Entzugscamps kamen schon öfter in die Schlagzeilen
Internet-Entzugslager wie jenes, das dem 18-Jährigen nun zum Verhängnis wurde, sind in den vergangenen Jahren in China in großer Zahl aus dem Boden geschossen. Manche werden vom Staat betrieben, andere von privaten Organisationen oder Schulen. Allen gemein ist, dass sie kontrovers diskutiert werden - vor allem wegen der Methoden, die zum Einsatz kommen. Manche Lager setzen auf Bootcamp-Drill, andere unterziehen Jugendliche gar einer "Therapie" mit Elektroschocks.
Die Camps sorgen immer wieder mit tragischen Zwischenfällen für Schlagzeilen. Im Vorjahr machte etwa der Fall einer jungen Frau die Runde, die nach ihrer Entlassung aus dem Entzugscamp ihre Mutter ermordete - laut eigener Aussage, weil diese sie ins Camp geschickt hatte und sie dort misshandelt worden sei. Der tragische Tod des 18-Jährigen in Anhui ist nun der neueste Fall - und Anlass für den Staat, über ein Verbot allzu drastischer Umerziehungsmethoden zu diskutieren.
Dass Entzugscamps boomen, liegt aber nicht nur daran, dass Chinas Jugend besonders anfällig für Internetsucht wäre. Der Forscher Trent Bax, der in China Internetsucht untersucht, ortet noch eine andere Ursache: "Die Eltern handeln so als Antwort auf die reale Angst, dass das einzige Kind keine erfolgreiche Zukunft haben wird, weil es sich weigert, mit dem Online-Spielen aufzuhören und zu lernen." Es könnte also auch die Einkindpolitik im Reich der Mitte ein Faktor sein, der die Entzugslager begünstigt.
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