Hintergrund

Warum gerade beim Dieselmotor getrickst wird

Motor
21.09.2015 16:35
Der Diesel ist ein Selbstzünder, aber vor allem in den USA alles andere als ein Selbstläufer. Der aktuelle Abgas-Manipulations-Skandal - ausgelöst von Hunderttausenden VW-Fahrzeugen mit betrügerischer Software - wird die Verbreitung dieser Antriebsart in Übersee erst einmal zum Erliegen bringen. Jedoch ist es kein Zufall, dass gerade bei Dieselmotoren betrogen wurde, denn die gesetzestreue Einhaltung der neuesten Grenzwerte ist - vorsichtig gesagt - schwierig.
(Bild: kmm)

Das größte Problem machen beim Selbstzünder aktuell die Stickoxidemissionen – offenbar auch bei VW in den USA der Stein des Anstoßes. Nach zehn Jahren regulatorischer Ruhe gelten aber auch in Europa seit September neue Grenzwerte. Die Euro-6-Abgasnorm limitiert den Ausstoß der gesundheitsschädlichen Gase um weitere 100 Milligramm auf nur noch 80 Milligramm pro Kilometer.

In den USA dürfen sogar nur umgerechnet 31 Milligramm des NOx abgekürzten Stoffes ausgestoßen werden. Das ist eine ernsthafte Hürde für den Diesel in Nordamerika. Und ein Problem für die deutschen Hersteller, die ihn dort bereits seit Jahren etablieren wollen. Aktuell mit überschaubarem, aber stabilem Erfolg. Immerhin ein knappes Prozent Marktanteil hat man sich erobert, was knapp 140.000 Pkws und leichte Nutzfahrzeuge ausmacht. Die größte Energie steckt VW in die Technik – mit 56 Prozent Marktanteil bei Diesel-Pkws sind die Wolfsburger der mit Abstand stärkste Anbieter, vor BMW und Audi. Doch alle Marken haben ein Problem: das Stickoxid. Die Gase können Atmungsorgane schädigen und reizen, sind an der Bildung von Ozon sowie Smog beteiligt und verstärken die Erderwärmung.

Beim Benziner gibt es das NOx-Problem nicht mehr, denn der Drei-Wege-Katalysator filtert die Gase wirksam aus dem verbrannten Kraftstoff-Luftgemisch. Beim Diesel funktioniert dieser Katalysator wegen des höheren Luftanteils jedoch nicht. Dazu kommt, dass Turbodieselmotoren prinzipiell wesentlich mehr NOx erzeugen als Ottomotoren, weil sie mit höheren Verbrennungstemperaturen arbeiten. Die Autohersteller setzen daher seit einigen Jahren auf neue Technologien zur Reduktion der Stickoxid-Emissionen.

VW hat bei den von dem drohenden Rückruf betroffenen Autos in den USA offenbar größtenteils auf NOx-Speicherkats gesetzt. Eine relativ kostengünstige Maßnahme, verglichen mit den Ansätzen der Konkurrenz. Konzernschwester Audi etwa bietet zum überwiegenden Teil Fahrzeuge mit den meist teureren SCR-Katalysatoren an, BMW nimmt den Königsweg und kombiniert NOx-Speicherkats mit SCR-Technik. Letztere arbeitet mit der Einspritzung von Harnstoff, dem sogenannten Ad Blue, und wird auch in Europa ab der Mittelklasse aufwärts nahezu unverzichtbar, will man die Grenzwerte einhalten. VW hat auf dem US-Markt im Vergleich mit den Premiumherstellern Audi und BMW natürlich die kleineren Fahrzeuge im Angebot - möglicherweise gerieten aber auch schon bei Modellen wie Jetta oder Beetle die NOx-Speicherkats an ihre Grenzen. Die US-Umweltbehörde EPA hat um bis zu 40-fach erhöhte Emissionen registriert.

Auch hierzulande Auffälligkeiten bei Dieselschadstoffen
Selbst hierzulande, wo die Grenzwerte deutlich laxer sind als in den USA, ist der Diesel in Verruf gekommen. Erst kürzlich hatte die Umweltorganisation ICCT eine Studie veröffentlicht, nach der zahlreiche Modelle in der Praxis um ein Vielfaches von den im Labor anfallenden NOx-Emissionen entfernt waren. Im aktuellen, bei der Zulassung neuer Fahrzeugtypen maßgeblichen NEFZ-Test, schnitten die 32 überprüften Diesel-Pkw noch gut ab, lagen bei den NOx-Emissionen unterhalb des Grenzwerts. Im realistischeren WLTP-Test hingegen fielen 22 Modelle durch. Das neue Verfahren soll ab 2017 in Europa schrittweise eingeführt werden und den NEFZ-Test ersetzen. Die Grenzwerte für Schadstoffe ändern sich dadurch nicht, lediglich die Art und Weise wie die Emissionen ermittelt werden, ist anders - allerdings nicht fundamental.

Die starken Abweichungen im Test verwundern deshalb: Die Pkws von Volvo lagen 15-fach über dem Grenzwert, Renault-Modelle überschritten ihn neunfach und Hyundai-Pkw siebenfach. Modelle von Audi erzielten das Dreifache des Grenzwerts, Opel-Fahrzeuge waren kaum besser. Die Pkws von Mercedes verfehlten den Grenzwert nur knapp, BMW erreichte mit allen getesteten Modellen die Vorgaben.

Der Verdacht liege in einigen Fällen nahe, so die Studie, dass die Abgasreinigungstechnik der Fahrzeuge für den Zulassungstest optimiert worden sei. So wie nun offenbar auch bei VW in den USA. Und dass sie unter realistischeren Bedingungen die Stickoxidemissionen weit weniger senke. Der Politik ist das bekannt, ab 2017 verlangt sie auch die Abgasmessung im realen Fahrbetrieb. Die Ermittlung der sogenannten Real Driving Emissions (RDE) würde helfen, Problemdiesel auszusortieren. Möglicherweise bedeutet das aber einen weiteren Preisaufschlag bei Diesel-Pkws. Denn Abgasreinigung kostet nicht nur Mehrverbrauch, sondern auch richtig viel Geld. Verzichten wird man auf den Diesel aber kaum können – denn ohne die sparsamen Motoren sind die künftigen CO2-Grenzwerte kaum zu erreichen.

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(Bild: kmm)



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