Datenschutz-Albtraum

Vodafone: Netz wird mit Geheimkabeln angezapft

Web
06.06.2014 10:44
Exakt ein Jahr nach der Enthüllung der massiven weltweiten Überwachungspraxis durch Geheimdienste und Regierungen hat die britische Firma Vodafone nun als erster Telekom-Anbieter weltweit bestätigt: Die Rechenzentren des Netzbetreibers werden von Regierungen und Geheimdiensten angezapft – und zwar über geheime Kabel, deren Datenflüsse von niemandem kontrolliert werden können. Es ist davon auszugehen, dass andere Unternehmen in ähnlicher Form mit Regierungen kooperieren. Datenschützer nennen die Enthüllung einen "Albtraum".

In einem 40.000-Wörter-Bericht, welcher der britischen Zeitung "The Guardian" vorliegt, erklärt Vodafone, wie das Unternehmen von Regierungen und Geheimdiensten zur Zusammenarbeit genötigt werde. In einigen Ländern, in denen Vodafone tätig ist, gebe es Gesetze, die das Unternehmen dazu verpflichten, Regierungen und Behörden einen direkten Zugang zum Netz des Telekom-Anbieters zu gewähren – oder die Regierung berechtigen, solche geheimen Direktverbindungen selbst zu installieren.

Geheimkabel zapft Gespräche und Metadaten an
Die Namen jener Länder, in denen so vorgegangen wird, will man bei Vodafone allerdings nicht nennen – aus Angst, den eigenen Mitarbeitern in diesen Staaten könnten dann Konsequenzen drohen. Über die geheimen Kabel der Geheimdienste und Regierungen können Live-Gespräche mitgehört werden, auch Daten abzufangen dürfte ein Leichtes sein. Über die Metadaten der Kommunikation kann außerdem der Standort und der Gesprächspartner eines Handynutzers ausgeforscht werden.

Die Geheimkabel sollen in einigen Fällen in einen verschlossenen Raum im zentralen Vodafone-Rechenzentrum im jeweiligen Land führen, teilweise zapft man offenbar auch Verteilerknoten an. Über das Internet übertragene Daten auf ihrem Weg vom Absender zum Empfänger abzuhören, soll damit kein Problem sein. An den Abhörstationen arbeiten Vodafone-Mitarbeiter, die staatlicher Verschwiegenheitspflicht unterliegen und ihrem Arbeitgeber offenbar häufig gar keine Auskunft über ihre Tätigkeit geben können.

"Das sind die Albtraum-Szenarien, die wir uns vorgestellt haben", sagt Gus Hosein von Privacy International. Er halte es für einen "tapferen Schritt Vodafones", die Weltöffentlichkeit über die eigene Kooperation mit Geheimdiensten und Regierungen zu informieren, und hoffe, andere Netzbetreiber würden es dem britischen Unternehmen gleichtun. "Was wir aber wirklich brauchen, ist mehr Tapferkeit beim Kampf gegen illegale Anfragen und die Gesetze selbst", so Hosein. Sonst werde sich trotz öffentlicher Empörung an der weltweiten Überwachungspraxis nichts ändern.

Liste zeigt Zahl der behördlichen Anfragen
In Österreich ist Vodafone nicht selbst aktiv, sondern kooperiert mit dem Mobilfunker A1. Der bietet seinen Kunden gemeinsam mit Vodafone beispielsweise 50 Gigabyte Cloud-Speicher und die Adressbuch-Sicherung in der Cloud. Informationen zur Überwachung in Österreich gibt es seitens Vodafone nicht. In einigen Nachbarländern Österreichs ist Vodafone jedoch aktiv – beispielsweise in Deutschland, Italien, Tschechien und Ungarn.

Für diese Länder hat das Unternehmen auch eine Liste der 2013 eingegangenen staatlichen Anfragen veröffentlicht. Jede dieser Anfragen kann mehrere Nutzer eines Telekom-Netzes oder nur einen einzelnen zum Thema haben. Und mehrere Anfragen können den gleichen Nutzer betreffen, eine zuverlässige Schätzung der Zahl der abgehörten Personen ist damit also nicht möglich.

Dass Italien mit über 605.000 Anfragen für Metadaten an Vodafone herangetreten ist und damit europaweit klar an der Spitze liegt, lässt sich jedoch herauslesen. Ein möglicher Grund für die hohe Zahl könnte laut Zeitung der Kampf gegen die Mafia sein. Neben Italien erhielt Vodafone auch von England (über 514.000) und Australien (685.000) zahlreiche Anfragen.

Stattliche Anzahl auch aus Tschechien und Ungarn
Bemerkenswert ist, dass vergleichsweise kleine Länder wie Tschechien oder Ungarn ebenfalls auf eine stattliche Zahl behördlicher Anfragen kommen. Tschechien kommt auf fast 200.000 Metadaten-Anfragen und mehrere Tausend abgefangene Kommunikationsinhalte. In Ungarn verzeichnete man fast 76.000 Anfragen nach Kommunikationsdaten – genauere Informationen über die Metadatenanfragen aus Ungarn darf der Mobilfunker wegen dort geltender Gesetze aber nicht nennen.

Deutschland ist in den Vodafone-Aufzeichnungen ebenfalls erfasst, scheint mit rund 24.000 Anträgen für das Abfangen von Kommunikation und rund 18.000 Metadaten-Anfragen im Vergleich zu anderen Ländern bei Überwachung und Spionage jedoch relativ selektiv vorzugehen.

Reale Zahl der Anfragen wohl weit höher
Erwähnenswert ist, dass es sich bei den genannten Zahlen nur um jene von Vodafone handelt. Da in den meisten Ländern, in denen der britische Netzbetreiber aktiv ist, noch weitere Netzbetreiber tätig sind, entsprechen sie nicht der Gesamtzahl der Regierungsanfragen der betroffenen Länder. Die liegt vermutlich weit höher.

Darüber hinaus haben etliche Länder Vodafone verboten, die Zahl der Regierungsanfragen zu veröffentlichen – namentlich Albanien, Ägypten, Indien, Katar, Rumänien, Südafrika, die Türkei, und – zumindest teilweise – Ungarn und Malta. Über die Geheimkabel, mit denen einige Staaten einen Direktzugang zu Vodafones Netz haben, können zudem massenhaft Daten gesammelt werden, ohne dass dafür ein Antrag gestellt werden müsste.

Im Zuge der Veröffentlichung der neuen Informationen hat Vodafone von den Regierungen jener Länder, in denen das Unternehmen tätig ist, ein Ende für die erzwungenen Geheimkabel gefordert. Die Gesetze, durch welche die Geheimkabel ermöglicht werden, sollten geändert werden, fordert der Telekommunikationsanbieter. Ob die betroffenen Länder einlenken werden, ist fraglich.

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