„Vernichtendes Urteil“

EU-Vorschläge gegen Kinderpornografie kaum wirksam

Web
13.04.2023 09:02

Die Pläne der EU-Kommission im Kampf gegen Bilder missbrauchter Kinder im Internet sind einer Studie zufolge wenig wirksam und verletzen die Grundrechte von Internetnutzern. Die Anzahl gemeldeter Fälle von Missbrauchsdarstellungen dürfte zwar deutlich nach oben gehen, heißt es in einer Bewertung des Wissenschaftlichen Dienstes im Europaparlament. Zugleich dürfte die Genauigkeit der Treffer jedoch deutlich ab- und die Belastung der Ermittlungsbehörden dadurch zunehmen.

Die Studie, die der Deutschen Presse-Agentur in Brüssel vorliegt, soll am Donnerstag im Innenausschuss des Parlaments präsentiert werden. „Nur selten legen Expertisen des Europäischen Parlaments ein so vernichtendes Urteil zu Gesetzesvorhaben der EU-Kommission vor“, sagte der deutsche FDP-Abgeordnete Moritz Körner. „Die EU-Kommission wäre richtig beraten, ihren Vorschlag sofort zurückzuziehen.“

Hintergrund ist ein Vorschlag von EU-Innenkommissarin Ylva Johansson vom Mai 2022, mit dem sie die stark zugenommene Verbreitung von Kinderpornografie eindämmen will. Bürgerrechtsorganisationen und andere Kritiker nutzen dafür das Schlagwort „Chatkontrolle“. Sie sehen darin einen Versuch, die Kommunikation im Netz inklusive verschlüsselter Nachrichten zu durchleuchten.

Kritisiert wird vor allem, dass die Pläne nicht nur vorsehen, bereits bekannte Darstellungen aufzuspüren, die über Online-Messenger verschickt werden. Zusätzlich umfassen sie auch das Aufspüren neuer Abbildungen sowie des sogenannten Groomings, bei dem Erwachsene mit Missbrauchsabsicht Kontakt zu Minderjährigen suchen.

Johansson verteidigt ihren Vorschlag bisher vor allem mit Verweis auf geplante Schutzmaßnahmen. Zunächst einmal müssten alle Unternehmen analysieren, wie groß das Risiko sei, dass auf ihren Seiten Kinderpornografie geteilt werde. Gegebenenfalls müssten sie dann Gegenmaßnahmen ergreifen. Falls dies nicht ausreiche, könne ein Gericht oder eine andere Behörde das Scannen der Inhalte anordnen.

Begrenzte Wirksamkeit
Der Wissenschaftliche Dienst des Europaparlaments widerspricht der Schwedin in seiner 140-seitigen Untersuchung. Es wird zwar mehrfach betont, dass die Notwendigkeit, Kinder vor Missbrauch zu schützen, unbestritten sei. Die Einschätzung der Wissenschaftler fällt aber deutlich aus: „Es kann der Schluss gezogen werden, dass die Gesamtwirksamkeit der vorgeschlagenen Rechtsvorschriften begrenzt sein dürfte.“ Die vorgeschlagenen Schutzmaßnahmen seien unzureichend.

Ein Grund sei unter anderem, dass die Technologien zur Erkennung neuer Inhalte sowie von Grooming unpräzise seien. „Die Mehrheit der befragten Experten geht davon aus, dass dies zu einer Zunahme der gemeldeten Inhalte und einer Abnahme der Genauigkeit führen wird.“ Dies werde sich erheblich auf die Belastung der Ermittlungsbehörden auswirken. Zudem verweisen die Wissenschaftler darauf, dass einige Täter auf das Darknet ausweichen würden.

Die Erhebung betont, dass der Vorschlag unter anderem gegen das Verbot der pauschalen Vorratsdatenspeicherung verstoßen würde. Dieser Verstoß gegen die EU-Grundrechtecharta könne nicht gerechtfertigt werden. Verschlüsselte Kommunikation werde durch die Pläne grundsätzlich infrage gestellt. Die geplante Einrichtung eines EU-Zentrums im Kampf gegen Kindesmissbrauch bewerten die Autoren der Erhebung dagegen grundsätzlich positiv.

Kritik auch von anderer Stelle
Vor dem Wissenschaftlichen Dienst des EU-Parlaments hatten bereits Europas oberste Datenschützer ein vernichtendes Urteil über die Vorschläge gefällt. Dabei ging es vor allem um schwerwiegende Bedenken mit Blick auf die Privatsphäre und die personenbezogenen Daten Einzelner.

Bisher haben sich weder das Parlament noch die EU-Staaten auf eine Haltung zu dem Gesetzesvorschlag verständigt. Sobald beide Seiten sich positioniert haben, müssen sie miteinander verhandeln. Endlos Zeit haben sie aber nicht: Am 3. August 2024 läuft eine Übergangsregelung aus. Danach dürfen die Plattformen die Nachrichten ihrer Nutzer scannen - allerdings nur auf bereits bekanntes Material, nicht auf neue Darstellungen oder Grooming.

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