Filzmaier analysiert

Kurz bis Meinl-Reisinger: Parteichefs in der Krise

Politik
06.09.2020 11:00

Die „Sommergespräche“ des ORF sind vorbei. Fünf Wochen lang wurden die Vorsitzenden der Parlamentsparteien interviewt. Parteifans haben den jeweils eigenen Chef als am besten gelobt. Im Mittelpunkt stand die Corona-Krise. Doch was ist sonst noch aufgefallen?

Sebastian Kurz (ÖVP) polarisiert am meisten. Er hat die mit riesengroßem Abstand größte Zahl überzeugtester Anhänger. Diese sehen ihn als Messias der bis zu seiner Amtsübernahme 2017 dahinsiechenden ÖVP. Sie rufen „Hosianna!“, wenn Kurz einen guten Morgen, Tag oder Abend wünscht. Kritik wird nahezu als Gotteslästerung empfunden und nicht als Feedback gesehen, über das man in Ruhe nachdenkt.

Genauso unsachlich agieren viele Gegner, die Kurz alles (Un-)Mögliche zutrauen. Da wird ihm bereits beim Morgen-, Tages- oder Abendgruß unterstellt, er würde ja bei der Zeitzone tricksen und betrügen, um reichen Spendern Geld zuzuschieben oder die Demokratie abzuschaffen.

Leider zeigen sich die Differenzen auch im Kampf gegen das Coronavirus. Statt einer inhaltlichen Debatte und ehrlichen Stärken- und Schwächenanalyse, was Kanzler Kurz in der Corona-Zeit richtig oder falsch machte und sagte, dominieren eine bei Regierungsoberen gesellschaftlich fragwürdige Bejubelung oder Ablehnung.

Pamela Rendi-Wagner (SPÖ) müsste als Medizinerin einen Wettbewerbsvorteil haben, sobald es um das Virus geht. Doch hat ihr die Partei im Vorfeld des „Sommergesprächs“ geschickt Themenbälle zugespielt? Nein. Ihr Geschäftsführer jammerte im Nachhinein über die Gemeinheit des ORF und aller Medien. Nicht mit Sachargumenten, sondern mittels Unterstellungen. Kritische Journalisten wären sozusagen lauter Groupies der ÖVP. Glaubt er echt, die SPÖ wird dadurch beliebter?

In Wahrheit hat der Fernsehauftritt Rendi-Wagners die breite Masse weder im Guten noch im Schlechten aufgeregt. Sie läuft Gefahr, mit ihrer Partei den Stellenwert „Ja eh, die gibt’s noch!“ zu bekommen. Sogar nach dem Erfolg in der Wien-Wahl – da könnte die SPÖ rund doppelt so viele Stimmen erhalten wie der Zweitplatzierte – wird dank des Wieners Deutsch & Co. das bundespolitisch als „Rendi-Wagner war halt auch dabei!“ rüberkommen.

Apropos Aufregung: Norbert Hofer in den „Sommergesprächen“ 2019 und 2020, das war Gegensatz pur. Nicht allein die geringere Zuseherzahl beweist, dass im Ibiza-Vorjahr jeder hören wollte, was der Chef der FPÖ sagt. Im Präsidentschaftswahljahr 2016 hatte sogar ein Millionenpublikum mitverfolgt, um sich zu wundern, was – so ein Zitat – für Hofer „noch alles möglich sein würde“.

Jetzt spürt jeder, dass in nächster Zeit für die FPÖ nicht viel möglich ist und Hofer das weiß. Gerade deshalb wird Hofer sich wohl im Amt halten. Wenn seine Blaupartei in den nächsten Wahlen nichts als Verlustverwaltung betreiben kann, warum sollten Herbert Kickl oder wer immer voreilig Bundesparteichef werden wollen? Man lässt Hofer absehbare Niederlagen einfahren.

Werner Kogler (Grüne) mag unverdächtig sein, sich als Mini-Diktator zu sehen. Trotzdem bleibt aus den sommerlichen Gesprächen eine Saloppheit in Erinnerung, die bei einer ähnlichen Aussage von Hofer oder Kickl alle Grünpolitiker empört hätte: Kogler wurde nach den vom Verfassungsgerichtshof aufgehobenen Corona-Verordnungen seines Parteifreundes Rudolf Anschober gefragt. Er tat das als Kleinigkeit ab, dass es bloß noch schöner ist, wenn man sich ans Gesetz hält. Hallo, geht’s noch?

Was Kogler zudem einmalig macht, ist seine Bereitschaft, sich als Erster freiwillig in die zweite Reihe zu begeben. Es gibt keinen Spitzenpolitiker, der sich derart ohne Groll von einem formal nachgeordneten Parteifreund die Show stehlen lässt. Klar, das liegt daran, dass in der Corona-Pandemie Anschober als Gesundheitsminister die wichtigere Zuständigkeit hat als der Vizekanzler für Sport und Kultur. Dass Grünpartei und Regierung funktionieren, hat dennoch mit der Uneitelkeit Koglers zu tun.

Beate Meinl-Reisinger (NEOS) hatte im „Sommergespräch“ einen schlechten Tag. Einerseits kam keine Gesprächschemie mit der Interviewerin zustande. Die gegenseitige Irritation war fast körperlich zu spüren. So etwas kann passieren. Doch war Meinl-Reisinger – ansonsten der Inbegriff einer Politikerin mit Freude an ihrem Beruf – am Rande der Abneigung und wirkte schlicht grantig.

Die NEOS sind durchaus zu Recht stolz auf ihre Thementiefe statt Fundamentalopposition des Typs „Ich bin sowieso dagegen!“. Nur an diesem Abend verkündete Meinl-Reisinger, sie wolle nicht über Details reden. Jede darf mal einen schlechten Tag haben. Vielleicht war das aber ein wenig typisch für ein Problem. Die NEOS müssen zur puristischen Kontrollpartei werden.

Weil sie bei Gesetzen keiner zur Mehrheitsfindung braucht. Partner der ÖVP, wie erhofft, sind sie rechnerisch nicht. Verfassungsmehrheiten – zwei Drittel der Abgeordnetenstimmen – mit den NEOS gehen sich für ÖVP und Grüne auch nicht aus. Daher wird man in Themenfragen rechts oder links liegen gelassen.

Peter Filzmaier, Kronen Zeitung

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