BND-NSA-Affäre

Kanzleramt wusste schon 2006 von US-Spionage

Web
12.06.2015 13:37
Das deutsche Kanzleramt soll schon vor knapp zehn Jahren über unrechtmäßige Spionageversuche des US-Geheimdienstes NSA in Europa mithilfe des deutschen Bundesnachrichtendienstes informiert worden sein. Der damalige BND-Präsident Ernst Uhrlau sagte am Freitag vor dem NSA-Untersuchungsausschuss im deutschen Bundestag, er habe 2006 aus dem BND von problematischen NSA-Zielen für das Ausspähen des Datenverkehrs erfahren. Er gehe davon aus, dass er die Information mündlich im Kanzleramt erwähnt habe.

"Dass die USA sich für vieles und sehr viel mehr interessieren als die Bundesrepublik Deutschland, ist mir sehr wohl bewusst gewesen", sagte Uhrlau in Berlin. Ein gemeinsames Projekt zwischen BND und NSA zur Erfassung von kabelgestützter Telekommunikation sei 2008 beendet worden, sagte Uhrlau, der von 2005 bis 2011 an der Spitze des BND stand. Es sei damals klar geworden, "dass es von amerikanischer Seite Aufklärung gab zu europäischen Zielen". Auch der Verdacht, dass die USA das Kooperationsprojekt für Industriespionage nutzen könnten, sei damals beim BND diskutiert worden.

Beim BND führte dies laut Uhrlau zunächst zu einer "intensiveren stichprobenartigen Überprüfung, in welchem Umfang die amerikanische Seite auch europäische Ziele mit eingibt". Diese schärfere Kontrolle der Spionageziele von deutscher Seite habe dann das "Austrocknen dieses Prozesses" bewirkt, sagte der 68-Jährige: Die USA hätten das Projekt schließlich 2008 beendet, weil ihnen die deutschen Restriktionen zu streng gewesen seien.

Erfassung von Daten nicht ausdrücklich ausgeschlossen
Uhrlau schilderte vor dem Ausschuss die Grundzüge der Vereinbarung, auf deren Grundlage BND und NSA ihre gemeinsamen Aktivitäten planten. Vereinbart worden sei in dem Memorandum, dass die USA keine Daten deutscher Staatsbürger bekommen sollten und umgekehrt. Die Erfassung und Weiterleitung von Daten europäischer Spionageziele sei nicht ausdrücklich ausgeschlossen worden. Die deutsche Seite habe zwar keine europäischen Ziele in die Abhörmaßnahmen eingespeist. Nicht geprüft worden sei aber, "ob die USA sich in gleichem Maße an diesen Restriktionen, die wir uns selbst gesetzt haben, orientieren", sagte Uhrlau.

"USA wollten viel mehr wissen als umgekehrt"
Die Zusammenarbeit zwischen dem BND und den US-Geheimdiensten sei generell von dem Eindruck geprägt gewesen, dass die USA sehr viel mehr wissen wollten als umgekehrt die deutschen Dienste, sagte Uhrlau. "Es war klar, dass es ein Aufklärungsinteresse auch engster Verbündeter gegen die Bundesrepublik Deutschland gab." Neben den USA nannte der frühere BND-Chef in diesem Zusammenhang auch Großbritannien. Von beiden Ländern seien "statuswidrige Aktivitäten" in Deutschland bekannt gewesen - etwa Spionage durch Diplomaten.

In die sogenannte Selektorenliste mit fragwürdigen Spähzielen, für deren Ausforschung die NSA offenbar bis vor Kurzem den BND einspannte, hatte Uhrlau nach eigenen Angaben keinen Einblick. Wie BND-Mitarbeiter in früheren Ausschusssitzungen berichtet hatten, stießen Mitarbeiter des Dienstes 2013 - also nach Uhrlaus Ausscheiden aus dem BND - auf möglicherweise regelwidrige Spionageziele wie etwa europäische Behörden und Institutionen. Der Ausschuss möchte diese als streng geheim eingestufte Liste einsehen. Die deutsche Regierung will bis kommende Woche einen Vorschlag vorlegen, wie das geschehen solle.

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