Felsenkirchen & Lucy

Äthiopien: Reise in die Wiege der Menschheit

Reisen & Urlaub
22.12.2017 08:20

Da liegt sie also, die wunderbare Lucy. Jeder Knochen exakt auf seinem Platz, geschützt von einer gläsernen Vitrine. Wir befinden uns im Nationalmuseum von Addis Abeba, der Hauptstadt Äthiopiens. Im Land am Horn von Afrika hatten Forscher um Donald Johanson 1974 das Teilskelett einer Frau der Art Australopithecus afarensis entdeckt.

Weil die Wissenschaftler im Camp damals ständig eine Beatles-Kassette spielten, auf der sich unter anderem der Song "Lucy in the Sky with Diamonds" befand, wurde der Fund Lucy genannt. In der Landessprache Amharisch heißt das auf ein Alter von 3,2 Millionen Jahren datierte Fossil Dinknesh, übersetzt: Du Wunderbare. Auch wenn später noch ältere Funde gemacht wurden: Wenn man so neben Lucy steht, wähnt man sich an der Wiege der Menschheit.

Äthiopien: Ältester unabhängiger Staat Afrikas
Schließlich ist Äthiopien der älteste durchgehend unabhängige und heute noch bestehende Staat Afrikas und einer der ältesten der Welt. Seine Geschichte beruht auf einer Legende über die Königin von Saba, einer biblischen Gestalt, die im 10. Jahrhundert vor Christus eine Reise zum Hof König Salomos in Jerusalem unternommen haben und mit ihm Menelik, den Stammvater der äthiopischen Könige, gezeugt haben soll. Menelik hat angeblich die Bundeslade mit den beiden Tafeln der Zehn Gebote nach Äthiopien entführt.

Die Dynastie der Salomoniden, die von 1270 bis 1975 über Äthiopien herrschte, führt sich auf diese Verbindung zurück. Der letzte Regent Äthiopiens, Haile Selassie (1892-1975), bezeichnete sich als 225. Nachfolger des Sohnes der Königin von Saba. Deshalb wird er von der vor allem in der Karibik vertretenen Rastafari-Bewegung (deren Name sich von seinem ursprünglichen Namen Ras Tafari Makonnen ableitet) als Messias betrachtet.

Uralte Kirchen in den Fels gehauen
Die Äthiopier selbst sind mehrheitlich orthodoxe Christen. Die Unzahl von Kirchen im Land unterstreicht dies. Auch der Höhepunkt jeder Äthiopien-Reise führt zu Gotteshäusern - den elf Felsenkirchen von Lalibela. Sie wurden um das Jahr 1250 unter dem Zagwe-König Lalibela als Monolithen aus dem umgebenden roten Vulkangestein herausgearbeitet und gehören zu den größten von Menschen aus Stein gehauenen Strukturen der Welt.

Die berühmteste ist Bet Giyorgis, die Georgskirche, mit ihrem kreuzförmigen Grundriss. König Lalibela soll sie als letzte gebaut haben, nachdem ihm der heilige Georg erschienen war und geklagt hatte, dass er noch keine Kirche erhalten habe.

Alle elf Kirchen sind durch ein Netz aus Tunneln und engen Gängen verbunden. Dafür wurden in Lalibela in mehr als 24 Jahren mit einfachsten Mitteln über 100.000 Kubikmeter Fels freigelegt und bearbeitet. Der Legende nach sollen allerdings Engel bei den Arbeiten geholfen haben

"Afrikas Camelot": Die Hauptstadt Gondar
Auch in der alten Hauptstadt Gondar beeindruckt eine Kirche: Debre Berhan Selassie wurde während der Herrschaft des Kaisers Iyasu (1682-1706) gebaut und nie zerstört. Es heißt, dass die Derwische, als sie im Jahr 1881 versuchten, dort Feuer zu legen, von Bienen angegriffen und vertrieben wurden.

Die Innenwände der Kirche sind mit Malereien auf Stoff bedeckt, an den Balken der Decke sind die geflügelten Köpfe von Engeln gemalt. Sie erinnern an naive Malerei und haben so gar nichts mit den Kirchengemälden bei uns zu tun.

Wegen seiner vielen mittelalterlichen Schlösser wird Gondar das Camelot Afrikas genannt. Gemp heißt der Palastbezirk, dessen Bau unter Kaiser Fasilidas (1632-1667) begann. Bis 1755 errichtete sich hier jeder Herrscher einen neuen Palast.

Entschleunigtes Leben ohne Eile
Amerikaner fahren mit dem Auto, die Chinesen mit dem Rad, die Afrikaner gehen. Die Äthiopier sind vor allem Fußgänger. Und das bestimmt auch das Lebenstempo im Land. Trifft man sich um sechs, kann es durchaus auch halb sieben werden. Niemand hat es eilig. Nicht alles funktioniert sofort und perfekt, aber man merkt bald, dass das auch gar nicht nötig ist.

Hier lernt der vom schnelllebigen Alltag daheim gestresste Europäer Genuss und Entschleunigung. Wie schön ist es doch, in einem Lokal am Straßenrand zu sitzen und dabei die Welt - und unzählige tolle Fotomotive - an sich vorbeiziehen zu lassen, während man köstlichen äthiopischen Kaffee trinkt.

Reiche Kaffeetradition, arme Bevölkerung
Äthiopien ist nämlich das Ursprungsland des Kaffees und auch das Land, in dem die Zubereitung des Kaffees entwickelt wurde. Darauf sind die Äthiopier stolz. Kaffee kochen und trinken ist hier eine Zeremonie. Gekauft wird kein gerösteter Kaffee, sondern noch grüne Rohkaffeebohnen.

Die werden auf einer heißen Blechunterlage geröstet und im Mörser zu Kaffeepulver zermahlen. Wasser wird auf dem Holzkohleofen in der Jebanna (Kaffeekanne) erhitzt, das Kaffeepulver hinzugegeben und zum Kochen gebracht. Der fertige Kaffee ist stark, aber nicht bitter.

Äthiopien hat viele Probleme: Rund 49 Prozent der Bevölkerung sind unterernährt, nicht einmal jeder zweite Bürger hat Zugang zu sauberem Trinkwasser. Aber wenn man sich auf das Land einlässt, wird man mit spektakulären Sehenswürdigkeiten, atemberaubenden Landschaften, großer Gastfreundlichkeit belohnt - und mit einem Blick in die Wiege der Menschheit.

Eva Lehner, Kronen Zeitung

Loading...
00:00 / 00:00
play_arrow
close
expand_more
Loading...
replay_10
skip_previous
play_arrow
skip_next
forward_10
00:00
00:00
1.0x Geschwindigkeit
explore
Neue "Stories" entdecken
Beta
Loading
Kommentare

Da dieser Artikel älter als 18 Monate ist, ist zum jetzigen Zeitpunkt kein Kommentieren mehr möglich.

Wir laden Sie ein, bei einer aktuelleren themenrelevanten Story mitzudiskutieren: Themenübersicht.

Bei Fragen können Sie sich gern an das Community-Team per Mail an forum@krone.at wenden.



Kostenlose Spiele