Überraschendes Aus

Yahoo-Chefin Bartz: “Wurde gerade am Telefon gefeuert”

Web
07.09.2011 13:06
Sie war als große Hoffnungsträgerin gekommen - und wurde jetzt so hart rausgekegelt wie selten ein Konzernchef in ihrer Liga: Die Zeit von Carol Bartz an der Yahoo-Spitze ist vorbei. Sie sei per Telefon gefeuert worden, schrieb die 63-Jährige in einer kurzen Abschiedsmail an alle Mitarbeiter. Bartz war es in zweieinhalb Jahren nicht gelungen, das Kernproblem des Internet-Pioniers zu lösen: Yahoo hat zwar Hunderte Millionen Nutzer, aber schafft es nicht, damit ordentlich Geld zu verdienen.

In der Branche wird Yahoo fast schon mit Mitleid betrachtet - das Schlimmste, was einem IT-Unternehmen passieren kann. "Für mich persönlich ist die Entwicklung bei Yahoo schon fast ein Drama", sagt etwa der Münchener Internet-Unternehmer Mario Grobholz. Das einst so innovative Yahoo-Angebot Flickr sei zu einer bloßen Foto-Hosting-Plattform verkommen, während Newcomer wie Instagram für Furore sorgten. "Und wenn man ein Produkt wie Delicious verkauft, deutet das auf Resignation hin."

Delicious, der 2005 gekaufte Dienst für die Verwaltung von Internet-Lesezeichen, wurde Ende April an Investoren um die YouTube-Gründer Chad Hurley und Steve Chen abgetreten. Zuvor sickerte eine vertrauliche Liste durch, in der Delicious zu den Auslaufmodellen im Yahoo-Reich gezählt wurde - pures Gift für die Kundenbindung. "Bei Innovationen denkt niemand mehr an Yahoo", sagt Grobholz, der als Gründer der myON-ID Media GmbH Angebote zum Reputationsmanagement wie ruflotse.de entwickelt hat.

Der Abwärtstrend bei Yahoo setzte bereits einige Jahre vor der Übernahme des Chefsessels durch Bartz ein. Während Konkurrent Google rund um seine Suchmaschine einen neuen Internet-Dienst nach dem anderen aus dem Hut zauberte, kam von Yahoo nicht viel mehr als ein Lifting für das Webmail-Angebot oder die Portalseite. Um die Kosten zu drücken, wurden 2008 rund 1.600 Arbeitsplätze abgebaut.

Übernahme durch Microsoft abgelehnt
Anfang 2008 - damals war Firmengründer Jerry Yang an der Spitze - war das Unternehmen ein Übernahmekandidat: Microsoft bot bis zu 47,5 Milliarden Dollar (aktuell 33,7 Milliarden Euro). Nach langwierigen Verhandlungen scheiterte der Deal am Widerstand Yangs, der Yahoo unabhängig halten wollte.

Am 13. Jänner 2009 wurde Bartz dann mit großen Hoffnungen als Vorstandschefin berufen. Schließlich war es ihr gelungen, das Software-Unternehmen Autodesk zum Branchenprimus bei Programmen für Produktdesign zu machen. Die angriffslustige Managerin galt als besonders tough, als starke Frau mit einer Vorliebe für schonungslose Offenheit - und für eine mitunter drastische Ausdrucksweise. Bei Yahoo kündigte sie gleich nach ihrer Ernennung an, das Unternehmen werde künftig am Markt einigen "in den Hintern treten".

In sechs Monaten brachte Bartz ein Abkommen mit Microsoft über eine enge Partnerschaft bei der Internetsuche unter Dach und Fach: Yahoo verzichtete zugunsten der Microsoft-Suchmaschine Bing auf seine eigene Technik, arbeitet dafür jetzt bei Suchmaschinenwerbung eng mit Microsoft zusammen. Bartz sagte damals, das Abkommen begründe eine neue Ära der Internet-Innovation und sei für Yahoo viel Geld wert.

Tritt in den Hintern blieb aus
Der Tritt in den Hintern für die Konkurrenz blieb aber aus. Stattdessen macht Bartz jetzt selbst diese Erfahrung. Den Yahoo-Mitarbeitern schrieb sie in einer E-Mail: "Ich bin sehr traurig, Euch mitteilen zu müssen, dass mich der Yahoo-Verwaltungsratsvorsitzende gerade am Telefon gefeuert hat."

In der deutschen Firmenzentrale von Yahoo wollte am Mittwoch niemand etwas dazu sagen. Zuvor hieß es dort noch mit Blick auf die bevorstehende Online-Marketing-Messe dmexco in Köln, das Wachstum von Yahoo in Deutschland sei hervorragend. Wenige Schritte von der Yahoo-Niederlassung in München entfernt sagt Netz-Unternehmer Grobholz in seinem Büro: "Yahoo ist nach wie vor eine tolle Marke. Ich kann nur nicht erkennen, dass da jetzt ein Schritt erfolgt, der Yahoo wieder in neuem Glanz erstrahlen lässt."

Anstatt sich nur der Pflege bestehender Werbekunden zu widmen, müsste Yahoo dafür ein Hit mit dem Dreiklang Social, Mobile und Local gelingen. In der Branche wird gespannt der nächste Big Bang im Suchmaschinengeschäft erwartet, der die klassische Internetsuche mit sozialen Netzwerken verbindet. Hier haben sich Facebook mit seinem Partner Microsoft sowie Google mit dem neuen Netzwerk Google+ in Stellung gebracht. Wer dies zudem überzeugend auf mobile Geräte bringt und standortbezogene Dienste einbindet, wird einen entscheidenden Vorsprung im Internet-Geschäft erzielen.

Zeit für Yoga, Golf und den Garten
In diese Richtung müsste Yahoo schnelle Schritte unternehmen, wenn Verwaltungsratschef Roy Bostock jetzt von "enormen Wachstumschancen" spricht. Die Aufgabe, "auf den Pfad des robusten Wachstums und branchenführender Innovationen zurückzukehren", soll zunächst der bisherige Finanzchef Timothy Morse übernehmen. Ansonsten aber sucht das Unternehmen mit dem Ausrufezeichen im Firmenlogo ein neues Zugpferd für die Trendwende.

Bartz kann sich das jetzt ohne Stress anschauen. Die Mutter von drei Kindern hatte bereits nach ihrem Abschied von Autodesk angekündigt, sie wolle sich endlich mal mehr um ihren Garten kümmern, beim Yoga zu sich selbst finden und den Golfschläger schwingen.

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