Nichts zu verbergen?

Vorratsdaten: So leicht geraten wir unter Verdacht

Web
02.04.2012 14:05
Seit Sonntag ist die Vorratsdatenspeicherung in Kraft. Sämtliche Telefon- und Internetverbindungsdaten werden fortan für sechs Monate gespeichert. "Na und, ich habe schließlich nichts zu verbergen", mag sich manch einer angesichts dessen denken. Doch mitunter genügt schon ein Anruf beim Pizza-Dienst ums Eck, um vom unbescholtenen Bürger zum Verdächtigen zu avancieren, wie die ARGE Daten am Montag anhand einiger Fallbeispiele aufzeigte.

Denn aus einem vermeintlich harmlosen Verhalten könne rasch ein Schuldverdacht entstehen, wenn ein Anruf oder eine E-Mail falsch interpretiert werde, schreibt die ARGE Daten und führt das fiktive Beispiel eines Pizza-Dienstes an, der des Drogenhandels und der Geldwäsche verdächtigt wird. Dank Vorratsdatenspeicherung könne nun überprüft werden, wer zuletzt in Kontakt mit dem Pizza-Dienst stand und damit zum Kreis der Verdächtigen zählt. "Können Sie sich sicher freibeweisen, dass Sie nur eine Pizza orderten oder doch vielleicht regelmäßig etwas Koks?", fragt die österreichische Gesellschaft für Datenschutz und ergänzt, dass im Falle der eigenen Unschuld zumindest der Ruf beim Nachbarn ramponiert sein dürfte.

Drogen dealen in der Mittagspause
Ähnlich verhält es sich bei einem weiteren Szenario, von den Datenschützern als "Die Mittagspause im Stadtpark" beschrieben: "Sie arbeiten in der Nähe des Wiener Stadtparks, jetzt, wo es warm ist, verbringen Sie regelmäßig dort die Mittagspause und telefonieren mit verschiedenen Bekannten. Für die Polizei ist der Stadtpark eine Art Open-Air-Büro für Kleindrogendealer, die mittels Handy ihren Geschäften nachgehen. Ein klassischer Fall für die Vorratsdatenspeicherung. Routinemäßig werden also alle paar Monate jene ausgeforscht, die regelmäßig im Stadtpark telefonieren. Sie werden vorgeladen und erklären, in der Nähe zu arbeiten, die Polizei wird diese Angaben beim Arbeitgeber überprüfen. Vielleicht beim Arbeitgeber auch den Grund der Ermittlung angeben, 'eine Drogensache'. Wie auch immer, ihr Ruf beim Arbeitgeber ist ramponiert."

"Beispiellose Kriminalisierung des Alltagslebens"
Mitunter genüge auch schon eine SMS während eines Fußballspiels oder eines nächtlichen Spaziergangs, um im Nachhinein aufgrund der räumlichen Nähe zu einem Tatort als Randalierer oder Einbrecher abgestempelt zu werden, wie die ARGE Daten anhand vier weiterer Fallbeispiele auf ihrer Website ausführt. Gemeinsam sei diesen, dass unbescholtene Bürger zur falschen Zeit am falschen Ort waren, schreiben die Datenschützer und kritisieren die Vorratsdatenspeicherung als eine "beispiellose Kriminalisierung des Alltagslebens": "Wir geraten in eine Alibigesellschaft, in der es ratsam ist, immer zu wissen, was man die letzten sechs Monate getan hat."

Bürger bleibt "im Visier der permanenten Überwachung"
Meist, aber nicht immer werde man sich freibeweisen können. Ein Restverdacht bei Nachbarn, Arbeitgebern, Freunden oder Verwandten bleibe jedoch bestehen. "Gauner, die wissen, dass sie etwas zu verbergen haben, können sich vor den Aufzeichnungen der Vorratsdatenspeicherung leicht schützen. Sie verhalten sich konspirativ, meist werden sie keines der elektronischen Mittel verwenden, vielleicht auch nur Mehrwerthandys, öffentliche Internetzugänge oder E-Mail-Dienste im Ausland. Der unbescholtene Bürger wird das alles nicht machen, für ihn ist es zu kompliziert mit mehreren Handynummern, E-Mail-Accounts usw. zu hantieren, er bleibt im Visier der permanenten Überwachung."

Erst unter Verdacht stellen, dann Beweise sammeln
Schon bislang hätte die Polizei Personen observieren, ihre Telefondaten aufzeichnen oder ihre Gespräche belauschen können – allerdings erst nach Vorliegen eines Verdachts. Mit der Vorratsdatenspeicherung werde die Kommunikationsüberwachung jedoch zum ersten Schritt von Ermittlungen, die Bürger gerieten zunehmend in einen Generalverdacht. "Zuerst wird geschaut, wer aller könnte als Täter in Frage kommen, dann erst werden Beweise für oder gegen einzelne Personen gesammelt", kritisiert die ARGE Daten und spricht daher in diesem Zusammenhang von einer "Demokratur 2.0".

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