„Tolles Bike, eines der besten überhaupt!“, strahlt mich der Valentino-Rossi-gebrandete Beifahrer eines Lieferwagens an einer italienischen Autogrill-Raststätte an. Er meint die nagelneue BMW R 1300 RS, von der ich gerade absteige. Ich widerspreche ihm nicht.
Dabei führt der sportliche Tourer ein Schattendasein. „Viele haben die RS gar nicht am Schirm“, sagt mir ein BMW-Motorrad-Händler. „Obwohl viele GS-Fahrer mit der RS wahrscheinlich sogar besser bedient wären. Ins Gelände fahren die meisten eh nicht!“
Doch es ist die GS, die mir am Stilfserjoch und auf den umliegenden Pässen am häufigsten begegnet. Keine einzige RS, also noch weniger als Porsches, Ferraris und Lamborghinis. So geht Exklusivität! Und das ganz ohne Diva-Getue, sondern mit bewährter BMW-Technik.
Während die einen aufrecht sitzend durch die Gegend cruisen, fühle ich mich eher wie das Idol des oben genannten Beifahrers beim Bergrennen am Stelvio, einschließlich Kanyar-Fotokurve.
Heißt RS wirklich Reise-Sport oder vielleicht doch Renn-Sport? Die RS kann das alles, auch optisch. Unglaublich, wie sich die Optik und damit der Charakter verändert, je nachdem wie der manuell verstellbare Windschild eingestellt ist. Unten geht’s Richtung RR, oben eher XR.
Ebenso unglaublich ist, wie gut der Windschutz vor allem in der oberen Stellung funktioniert, keine Verwirbelungen, auf der Autobahn Ruhe, wenn man sich etwas bückt, im Regen spült einem der Fahrtwind sogar das Helmvisier frei. Mit 246 km/h Höchstgeschwindigkeit ist die RS übrigens das schnellste der aktuellen Boxermodelle.
Mit 245 kg allerdings nicht das leichteste. Klar merkt man das Gewicht, nach einem Fahrspaßtag auch in den Schultern. Sie will geführt werden, fährt aber präzise und vorhersehbar. Trotz Sportbremse: Ein bisschen mehr Biss in den Bremsen bergab wäre nett, der Bremsweg passt aber.
Die Sitzposition ist leicht sportlich. In Kurven hat man jede Menge Bewegungsfreiheit auf dem dauerhaft bequemen Sattel, lediglich meine großen Füße fühlen sich etwas eingeengt, weil die Fersen am Rahmen der Soziusrasten anliegen. Dennoch bleibt BMW die Marke, die auch große Fahrer glücklich macht.
Das Herz schlägt nicht, es boxt
Die Technik hat die RS im Wesentlichen mit der GS gemeinsam, vor allem den 145 PS bzw. 149 Nm starken 1300-ccm-Boxermotor, der dank Shift Cam kräftig von unten heraus anschiebt und auch oben noch jubiliert, auch wenn er in der aktuellen Generation etwas von seinem sonoren Charakter verloren hat, und auch den traktorartigen Durchzug, der ein Abwürgen fast unmöglich gemacht hat. Das kann einem jetzt dann doch mal passieren, wenn man nicht aufpasst. Und in der Stadt kann man den 6. Gang vergessen, weil die RS bei schaltfauler Fahrweise gerne ruckelt.
Die RS erzieht ihren Fahrer geradezu dazu, die Kupplung nur mit zwei Fingern zu ziehen – für mehr Finger ist kein Platz am Griff. Starten kann man so aber nicht, dazu muss man mit der ganzen Hand ziehen, sonst funktioniert es nicht.
Sehr angenehm: Auch bei flotter Fahrweise fließen nicht viel mehr als fünf Liter pro 100 Kilometer durch die Leitungen, was für rund 330 Kilometer reicht, auch wenn die Reichweitenanzeige schon etwas früher Panik verbreitet.
Der aufpreispflichtige Quickshifter der Testmaschine ist nicht der Geschmeidigste seiner Art und arbeitet bisweilen ruppig. Das eine oder andere Mal fand ich mich beim Anbremsen einer Kehre auch im Leerlauf wieder. Selberkuppeln hilft. Eine gute Idee wäre auch, die optionale Schaltautomatik mitzubestellen, damit klappen die Gangwechsel nämlich tadellos. Meist sogar dann, wenn man die Automatik walten lässt (das zeigt jedenfalls die Erfahrung mit der GS).
Für jeden Pass das richtige Fahrwerk
Das Fahrwerk ist serienmäßig semiaktiv, also ESA. Die Testmaschine verfügt sogar über das optionale DSA (Dynamic Suspension Adjustment), das automatisch die Federhärte einstellt. Die Dämpferhärte (Road/Dynamic) verstellt sich mit dem Fahrmodus mit, kann aber auch davon unabhängig eingestellt werden. Außer im Regen ist der Dynamic-Mode generell passend, das Fahrwerk sollte man am Stilfserjoch und am Gaviapass eher auf Road stellen. Der Umbrail und vor allem der Passo del Tonale mit seinen langgezogenen schnellen Kurven vertragen die härtere Einstellung. Klar kann man überall auf Dynamic fahren, aber das ist dann mehr Kämpfen als Genießen.
Will man – etwa auf der Rennstrecke – aber das R mehr als Renn denn als Reise verstehen, ist Dynamic definitiv passend.
Komfort im Cockpit
Das TFT-Display hat sich längst bewährt. Gestochen scharf, gut ablesbar und nach ausgiebiger Einarbeitung und Gewöhnung auch unfallfrei bedienbar. Es sind viele Funktionen, die untergebracht sind. Vor allem muss man die Doppelbelegung zweier Tasten verinnerlichen.
Eine dauerhaft sichtbare Tankanzeige sucht man vergeblich. Die Bordcomputer-Daten wie Tripcounter, Verbrauch etc. klickt man als Einbahnstraße am oberen Rand durch, ein Punkt ist die Reichweite, ein weiterer der Tankfüllstand. Nur wenn die Reserve erreicht wird, werden Tankfüllstand und Reichweite gleichzeitig angezeigt- Eine unnötige Einschränkung.
Dass beim fast fabrikneuen Testmotorrad einer der beiden Tripcounter standhaft 0,0 km anzeigte, außerdem eCall im Regen immer wieder einen Ausfall anzeigte und außerdem einmal der (grundsätzlich perfekt bedienbare) Tempomat streikte, ist hoffentlich nur ein Einzelfall.
Dauerhaft schade ist es, dass die Bedienelemente am Lenker nicht beleuchtet sind. Das sollte man in der Preisklasse eigentlich anders erwarten dürfen.
Kleine Kritik am Rande: Dafür, dass die Spiegel an der Verkleidung befestigt sind, sind sie zu klein – die Sicht nach hinten ist etwas eingeschränkt.
Reisequalitäten
Vom feinen Windschutz war schon zu lesen. Aber auch ansonsten bietet die RS viel für weiter Reisende. Der Tempomat mit Bremsfunktion ist serienmäßig. Optional hält die RS sogar adaptiv den Abstand zum Vordermann (Adaptivfunktion abschaltbar). Fürs Gepäck bietet sie gegen Aufpreis integrierte Koffer mit Zentralverriegelung. Serienmäßig gibt es aber nicht einmal Ösen oder Haken, an denen man Riemen befestigen kann, um seine Gepäckrolle auf den Soziussitz zu schnallen. Immerhin kann man sich mit etwas Geschick mit den Soziusgriffen behelfen.
Für Nachtfahrten empfiehlt sich das optionale Kurvenlicht, auch wenn seine Wirksamkeit überschaubar ist. Nächtliche Passfahrten absolviert man besser mit Fernlicht, wenn man wirklich etwas sehen will.
Die Crux mit dem Budget
Ab 18.890 Euro steht die BMW R 1300 RS in der Liste. Theoretisch. Denn wer kauft schon eine BMW ohne Sonderausstattung? Und so kommt die Testmaschine auf 26.589 Euro, mit vielem, was gut und teuer ist, von Sitz-/Griffheizung über Dynamic- und Komfort-Paket bis hin zum DSA. Die Radarfunktionen sind da noch gar nicht dabei. Und das Navi auch nicht, lediglich die Halterung zur Integration. Zum Trost: Der Grundpreis der GS liegt fast 4000 Euro über dem der RS.
Fahrzit
USD-Gabel statt Telelever, sportliche Sitzhaltung (mit verstellbaren Rasten) statt Offroad-Aufrichtigkeit, Exklusivität statt Massenbewegung – auf der RS ist der Silberrücken gefühlt ein paar Lenze jünger. Und auch als Aufstiegsobjekt von der gebückten RR-Fraktion ist sie geeignet. „Tolles Bike, eines der besten überhaupt!“
Kommentare
Willkommen in unserer Community! Eingehende Beiträge werden geprüft und anschließend veröffentlicht. Bitte achten Sie auf Einhaltung unserer Netiquette und AGB. Für ausführliche Diskussionen steht Ihnen ebenso das krone.at-Forum zur Verfügung. Hier können Sie das Community-Team via unserer Melde- und Abhilfestelle kontaktieren.
User-Beiträge geben nicht notwendigerweise die Meinung des Betreibers/der Redaktion bzw. von Krone Multimedia (KMM) wieder. In diesem Sinne distanziert sich die Redaktion/der Betreiber von den Inhalten in diesem Diskussionsforum. KMM behält sich insbesondere vor, gegen geltendes Recht verstoßende, den guten Sitten oder der Netiquette widersprechende bzw. dem Ansehen von KMM zuwiderlaufende Beiträge zu löschen, diesbezüglichen Schadenersatz gegenüber dem betreffenden User geltend zu machen, die Nutzer-Daten zu Zwecken der Rechtsverfolgung zu verwenden und strafrechtlich relevante Beiträge zur Anzeige zu bringen (siehe auch AGB). Hier können Sie das Community-Team via unserer Melde- und Abhilfestelle kontaktieren.