Misstrauen und Protest

Macron setzt Pensionsreform ohne Abstimmung durch

Ausland
17.03.2023 07:49

Frankreichs Regierung hat die umstrittene Pensionsreform trotz heftiger Proteste ohne finale Abstimmung durchs Parlament gedrückt. Sie entschied am Donnerstag, das wichtigste Reformprojekt von Präsident Emmanuel Macron mit einem Sonderartikel der Verfassung ohne Abstimmung in der Nationalversammlung umzusetzen. Das Vorhaben kann theoretisch noch durch ein Misstrauensvotum gekippt werden.

Bei Protesten gegen die Reform wurden am Donnerstagabend in Paris 217 Menschen festgenommen. Im Zentrum der Hauptstadt sei es auf dem Place de la Concorde zu Ausschreitungen gekommen, berichtete der Sender France Info. Die Bereitschaftspolizei setzte nach Medienberichten Wasserwerfer und Tränengas ein, um den Platz zu räumen. Demonstranten hatten dort unter anderem Holzpaletten in Brand gesetzt und Gegenstände auf die Polizisten geworfen. Insgesamt seien rund 6000 Teilnehmer gezählt worden.

Millionen und Müllberge auf den Straßen
Auch in anderen französischen Großstädten kam es zu Protesten. Die Gewerkschaften riefen für den kommenden Donnerstag zu einem neuen landesweiten Streik- und Protesttag auf. Millionen von Menschen waren bereits gegen das Reformvorhaben auf die Straße gegangen. Streiks sorgten für Chaos im Bahn- und Flugverkehr, Müllberge auf den Straßen und ausfallende Unterrichtsstunden. Innenminister Gérald Darmanin wies unterdessen die Polizei an, die Parlamentsabgeordneten angesichts der anhaltenden Proteste besonders zu schützen. Die Parlamentarier seien Bedrohungen, Beleidigungen und Sachbeschädigungen ausgesetzt, schrieb der Minister, wie France Info berichtete.

Premierministerin Élisabeth Borne hatte zuvor im Parlament begleitet von lautem Protest der Opposition gesagt: „Diese Reform ist notwendig.“ Sie übernehme mit ihrer Regierung die Verantwortung, sagte Borne unter empörten Buh-Rufen in der Nationalversammlung und kündigte offiziell die Anwendung des Verfassungsartikels 49.3 an, der die Verabschiedung eines Gesetzes ohne parlamentarische Abstimmung ermöglicht, falls die Regierung einen oder mehrere damit verbundene Misstrauensanträge übersteht.

Abstimmung zu hohes Risiko
Zwar hatte der Senat als zweite Kammer des Parlaments für die Reform zur Anhebung des Pensionsantrittsalters von 62 auf 64 Jahre votiert. Eine Zustimmung in der Nationalversammlung war aber nicht fix. „Wir sind uns bei einigen Stimmen nicht sicher, wir können das Risiko nicht eingehen“, begründete Borne die Entscheidung, auf die ursprünglich für 15 Uhr geplante Abstimmung in der Nationalversammlung zu verzichten. Die Premierministerin warf der Opposition vor, die Debatten blockiert zu haben.

Die Opposition hat jetzt 24 Stunden Zeit, um einen oder mehrere Misstrauensanträge zu stellen. Die rechtspopulistische Fraktionsvorsitzende Marine Le Pen kündigte umgehend einen Antrag ihrer Gruppe an. Falls die Regierung die Abstimmung verliert, läuft dies auf Neuwahlen hinaus. Die Stimmung in der Nationalversammlung war stark aufgeheizt. Teile der Abgeordneten sangen lautstark die Nationalhymne, es gab zahlreiche wütende Zwischenrufe.

Pension mit 62 Teil des Nationalstolzes
Die Verabschiedung des Gesetzes ohne Schlussabstimmung im Parlament dürfte die Proteste der Öffentlichkeit erneut anfachen. Zwei Drittel der Franzosen lehnen die Reform ab, die Gewerkschaften halten die Pläne für brutal und ungerecht. Die Pension mit 62 gilt in Frankreich als soziale Errungenschaft und ist Teil des Nationalstolzes. Die Reform benachteiligt nach Ansicht der Opposition vor allem Beschäftigte in anstrengenden Berufen.

Tatsächlich beginnt der Ruhestand im Durchschnitt später als mit 62: Wer für eine volle Pension nicht lange genug eingezahlt hat, arbeitet länger. Mit 67 Jahren gibt es dann unabhängig von der Einzahldauer Pension ohne Abschlag - das will die Regierung beibehalten, auch wenn die Zahl der nötigen Einzahljahre für eine volle Pension schneller steigen soll. Die monatliche Mindestpension will sie auf etwa 1200 Euro hochsetzen. Mit der Reform will die Regierung eine drohende Lücke in der Pensionskasse schließen. 

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