Riesige Studie zeigt:

Wut und Abscheu befeuern Debatte auf Twitter & Co.

Digital
28.05.2021 12:51

Rund 23 Millionen Tweets, die in zehn verschiedenen Ländern zu 18 verschiedenen Krisensituationen, wie Naturkatastrophen oder Terroranschlägen verschickt wurden, hat ein Wiener Forschungsteam analysiert. Dabei zeigte sich, dass vor allem Wut und Abscheu zu hochgeschaukelten und aufgeheizten Diskussionen führen. Ausdrücke von Trauer werden dagegen oft mit deutlich weniger, jedoch eher positiven Nachrichten beantwortet.

Ema Kušen und Mark Strembeck vom Institut für Wirtschaftsinformatik und Neue Medien der Wirtschaftsuniversität (WU) Wien gehen seit längerem den Mechanismen der Online-Kommunikation nach.

Nie dagewesene Forschungsplattform
Insgesamt seien Twitter und Co für die Sozialforschung eine bisher nie da gewesene Forschungsplattform. Konnte man früher derartiges Verhalten in einem halbwegs einer Alltagsumgebung entsprechenden Setting im besten Fall anhand weniger Studienteilnehmer beobachten, ginge dies jetzt anhand von Millionen Daten, sagte Strembeck. Für die aktuelle, in der Fachzeitschrift „IEEE Internet Computing“ erschienen Studie aus dem Bereich der computergestützten Sozialwissenschaften rechnete das System über 400 Tage lang.

Unter diesem großen Aufwand nahmen die Wissenschaftler Twitter-Aktivitäten zu tragischen Ereignissen unter die Lupe: Darunter etwa ein Amoklauf in Nordkalifornien im November 2017, die Geiselnahme in einem Supermarkt im französischen Trebes, ein Amoklauf am Google-Hauptsitz in Kalifornien, die Amokfahrt in Münster im April 2018 oder der Amoklauf an einer Schule in Santa Fe (USA) im darauffolgenden Mai.

Darüber hinaus wurden auch Reaktionen auf einige Wirbelstürme, Erdbeben oder Waldbrände sowie auf Ausschreitungen wie etwa beim Hamburger G20-Treffen 2017 berücksichtigt. Gerade nach solchen Ereignissen suchen Menschen vielfach nach Austausch, Erklärungen und Informationen. Das könne wiederum verstärkt Verbreiter von Falschnachrichten auf den Plan rufen, aber auch eine positive, quasi therapeutische Wirkung entfalten, so die Wissenschaftler in ihrer Arbeit.

Nicht alle negativen Emotionen sind gleich
Eindeutig nicht bestätigt hat sich im Laufe der Studie jedenfalls, dass im Grunde alle negativen Emotionen auf Social Media-Plattformen ähnliche Kommunikationsmuster hervorrufen. So werden Nachrichten, die Trauer transportieren häufig durch eher wenige Nachrichten beantwortet, die wiederum eher positive Gefühle transportieren. Damit ähnelt die Kommunikation von Traurigkeit stark den Mustern, die bei der Kommunikation von Freude auftreten, hat jedoch kaum Ähnlichkeiten zu den Mustern, die andere negative Emotionen erzeugen. So ließ Furcht Twitter-Nutzer beispielsweise vor allem nach zusätzlichen Informationen suchen, um sich die Situation sozusagen zu erklären.

Wut und Abscheu erzeugen größte Dynamik
Die größte Dynamik aber entstand, wenn Wut und Abscheu im Angesicht der Krisen ausgedrückt wurden. Wurden etwa vermutete oder gar absichtlich falsch gestreute Schuldzuweisungen lanciert, drehte sich die Entrüstungsspirale am schnellsten, erklärte Strembeck. Hier konnten die Forscher ein veritables „Hochschaukeln“ von teils „heftigen Diskussionen“ nachvollziehen. In von wütenden Postings ausgelösten Abläufen fanden die Wissenschaftler dementsprechend viele ebenfalls wütenden Antworten von mehreren Nutzern.

Diese Erkenntnisse könnten etwa bei der Krisenkommunikation helfen, glauben die Forscher. Man könne so etwa besser nachvollziehen, wie sich fundierte Nachrichten, aber auch Propaganda, die oft mit Wut oder Abscheu operiert, im Netz verbreiten. Kennt man quasi natürlich auftretende Muster besser, lassen sich auch automatische Message-Versender („Social Bots“), die in der Meinungsmache mitmischen, leichter identifizieren.

Weitere Forschung ist geplant
In weiterer Folge wollen sich Strembeck und Kušen auch der komplexen Frage annehmen, ob derartige Muster im Online-Emotionsaustausch etwa auch bei Wahlen auftreten und welche Rolle Falschnachrichten in dem Zusammenhang spielen. Sehr interessant als Untersuchungsobjekt sei natürlich auch die Coronakrise, die alle Zutaten für negative Stimmungen und Eskalation, aber auch für Zuspruch und Solidarität auf Social Media-Plattformen mit sich bringt. Wie sich das aber methodisch fassen ließe, sei noch offen, so Strembeck.

Will man als Nutzer verhindern, selbst in eine Negativspirale in einem Medium wie Twitter zu rutschen, wo keine Moderation stattfindet bzw. auch nur sehr selten User gesperrt werden, die offensichtlich Falschnachrichten verbreiten oder gehässig agitieren, helfe nur eines: Selbst möglichst keine Nachrichten mehr zu schicken, wie der WU-Forscher betonte.

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