639-PS-Hammer

AMG GT Viertürer: Alles sexy, außer dem Namen

Motor
06.05.2019 08:30

Wenn einem für so ein Auto kein Name einfällt, schreibt man so etwas auf die Homepage: Mercedes-AMG GT 4-Türer Coupé. Ernsthaft! Sexy ist anders. Wobei: Quattroporte, wie bei Maserati, heißt exakt das Gleiche. Insofern kann man den Affalterbachern hier gar nichts vorwerfen, zumal der Bolide offiziell ohnehin „Mercedes-AMG AMG GT 63 S 4MATIC+“ im Typenschein stehen hat. Gut, klingt eher wie ein Aktenzeichen, aber ehrlich gesagt: Der Name ist vollkommen wurscht!

(Bild: kmm)

Es ist ein beeindruckendes Geschoss, ein teures Auto, das sich aber nicht zu teuer anfühlt, weder beim Betrachten noch beim Fahren noch im Innenraum, wo das wunderbare Carbon ganz und gar nicht übertrieben wirkt. Ja, so darf das Interieur eines Autos aussehen, das samt Extras 245.686 Euro kostet, inklusive gut 50.000 Euro NoVA.

Streng genommen ist er trotz der ähnlichen Optik natürlich kein Derivat des famosen AMG GT Coupé, sondern mit seinen vier Türen und Sitzen in Wahrheit viel mehr ein Verwandter von CLS und S-Klasse. Aber auch das ist egal. Fakt ist: Er ist der stärkste von allen Daimler-GTs! Bei den Zweitürern geht es derzeit nicht über 585 PS hinaus (ist aber wohl nur eine Frage der Zeit), was dem GT 63 (ohne das S im Namen) entspricht. In der S-Version legt der Viertürer noch 54 PS drauf und holt volle 639 PS aus dem Vierliter-Biturbo-V8. Ab 2000 Touren schickt er 900 Nm in die Neungang-Automatik (MCT = Multi Clutch Transmission) mit nasser Anfahrkupplung. Allradantrieb und feinste Elektronik mit diversen Fahrmodi nehmen der Gewalt den Schrecken und laden zum Spielen ein (siehe weiter unten).

Beim Umschalten von ESP bzw. Traktionskontrolle muss man allerdings genau hinschauen, denn die Anzeige auf der Taste an der Mittelkonsole ist ein wenig missverständlich. Es ist immer „off“ zu sehen. Was genau aktiviert ist, erkennt man nur an der Farbe.

Supersportler mit Familiensinn
Bitte Platz nehmen, festhalten, los geht die wilde Fahrt! Das Alcantara-Lenkrad ist ein Traum, läge aber besser in der Hand, wenn es seitlich nicht abgeflacht wäre. Auf das Schweizerhaus-Krügerl sollte man verzichten, aber sonst steckt hier mehr Spaß drin als in einem Familienausflug in den Prater. In 3,2 Sekunden lässt sich der Brachial-Benz auf Tempo 100 wuchten. Das sind vier Zehntelsekunden weniger als im AMG GT R! Da macht sich der Vorsprung von 200 Nm Maximaldrehmoment mehr bemerkbar als das DIN-Leergewicht von 2045 kg. Bis 315 km/h geht die Beschleunigung bei Bedarf weiter. Viel schwerfälliger wird sich die Tachonadel wohl auch nicht mit Frau und Kindern an Bord bewegen.

Platz haben sie auf jeden Fall alle, denn auch auf der Rückbank geht es nicht beengt zu, trotz der flachen Dachlinie (eine Spur eng ist es auf den Vordersitzen, wenn man sehr kritisch sein will, das liegt an der breiten Mittelkonsole). Im Heck zahlen sich die 5,05 Meter Länge erst recht aus: 461 Liter Kofferraumvolumen (umgeklappt 1324 Liter) ist ein guter Wert für so einen Spitzensportler. In einen Porsche Panamera Turbo passt zwar ein Koffer mehr, dafür kommt er an die Leistung nicht heran.

Und dann der Sound des V8-Geräts! Wohldosiert und gezielt inszeniert über die Sportabgasanlage ist das ein Genuss, den man in einer viertürigen Limousine nicht so oft bekommt. Man muss den AMG aber nicht brüllen lassen.

Man kann natürlich auch tatsächlich ganz entspannt in den Prater fahren, egal, von woher. Denn dank serienmäßigem Luftfahrwerk mit Verstelldämpfern ist die Bandbreite der Möglichkeiten im Achtzylinder-Viertürer extrem. So kann er nicht nur sportlich (der 63 S mit Race-Modus inklusive Drift-Mode sogar supersportlich), sondern durchaus auch komfortabel. Im Comfort-Modus kann der V8 zwischen 1000 und 3250/min. sogar die Hälfte seiner Zylinder abschalten. Der Fahrer bemerkt das vor allem an der Anzeige am Dashboard. Fraglich, wie sinnvoll das im Realbetrieb ist - man ist nicht so oft im Vierzylindermodus unterwegs und gibt dabei Gas. Und im Schiebebetrieb ist es egal, wie viele Zylinder theoretisch aktiv sind.

Weitreichende Dynamik-Funktionen
Dass man dem AMG GT 63 S sein Gewicht so wenig anmerkt, liegt unter anderem an der bei den Achtzylindern serienmäßigen Allradlenkung, die ihn relativ agil macht und wie auf Schienen um Kurven ziehen lässt. Und über die Fahrmodi hinaus gibt es auch noch die sogenannten „AMG Dynamics“, welche die Agilität steigern sollen, ohne die Stabilität zu beeinträchtigen. Diese zusätzlichen Fahrprogramme greifen eigens abgestimmt ein in ESP, Allradantriebs, Hinterachslenkung und des elektronisch gesteuerten Hinterachs-Sperrdifferenzials (Serie bei den V8-Modellen). Ihre Bezeichnung: Basic, Advanced, Pro(fessional) und Master. Sie sind praktisch eine weitere Verschärfung der Fahrmodi.

Auf Wunsch verhalten sich sogar die Sitze dynamisch, dann stemmen sich die Seitenwangen der Lehnen gegen den Oberkörper. Das nervt allerdings mehr, als dass es unterstützt, und verfälscht das Popometer-Gefühl.

Aktive Aerodynamik
Serienmäßig hat der GT 4-Türer ein aus 20 Lamellen bestehendes „Air Panel“ an der Front, das den Luftstrom je nach Kühlluftbedarf lenkt. Am Heck befindet sich ein aktiver Spoiler, der bei 80 km/h automatisch ausfährt und je nach Bedarf vier verschiedene Höhen einnehmen kann. Am Testwagen ist als Teil des Aerodynamikpakets stattdessen ein feststehender Heckspoiler montiert, der den Anpressdruck auf der Hinterachse nochmals erhöht.

Aber die Front kann noch mehr: Sie wirkt auf der Autobahn wie eine Lichthupe oder nahes Auffahren. Bei ganz normaler Fahrweise räumen andere Fahrer auffallend zügig die Überholspur, wenn man in einiger Entfernung in deren Rückspiegel auftaucht. Unglaubliches Überholprestige also.

Unterm Strich
Der Mercedes-AMG GT 4-Türerhält, was sein brachial-elegantes Aussehen verspricht: Er fühlt sich an, als könnte er Löcher in den Asphalt reißen, überfordert einen aber nicht überraschend mit Kompromisslosigkeit. Die kann man sich jedoch auf Knopfdruck einstellen. Der feste Spoiler ist Geschmackssache, hat aber immerhin eine Funktion. Sonst ist die Optik angesichts des Leistungsvermögens des AMG beinahe zurückhaltend. So wenig Fake-Details gibt es bei kaum einem Mercedes.

Und wer nicht ganz so viel Power braucht und keine Viertelmillion investieren will, hat auch noch die S-freien Eskalationsstufen 43, 53 und 63 zur Verfügung, wobei 63 auch schon 585 V8-PS bedeutet, die anderen beiden zwei Mildhybrid-Sechszylinder sind, die 367 bzw. 435 PS leisten (jeweils plus 22 Elektro-PS). Das Einstiegsmodell GT 43 ist das einzige mit reinem Heckantrieb und steht für 105.630 Euro in der Liste. Doch bei allem Wahnsinn: Selbst beim Topmodell hat man nicht das Gefühl, zu viel Geld ausgegeben zu haben - wenn man es sich leisten kann. Um den Betrag bekommt man immerhin auch schon eine Eigentumswohnung. Und allein NoVA würde bereits für eine passabel ausgestattete C-Klasse reichen.

Warum?
Starker Auftritt
Hervorragende Fahreigenschaften

Warum nicht?
Das muss man mit seinem Gewissen ausmachen

Oder vielleicht …
… die schwächeren GT-4-Türer-Varianten, sonst Porsche Panamera, wobei man da dann schon zum V8-Hybrid greifen müsste

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(Bild: kmm)



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