Herzensbrecher

Fiat 500 – “dolce fahr niente”

Motor
14.01.2009 12:03
Alle heiligen Zeiten baut Fiat ein Auto, das so ganz anders ist als die anderen Fiats. Nicht ein Auto von vielen, sondern geradezu ein Gesamtkunstwerk. Skulptureller Automobilbau quasi. So eine Skulptur war der (inzwischen leider schon selige) barchetta, eine solche ist auch der Fiat 500: ein Denkmal, das für verdrehte Hälse sorgt und an gute alte Zeiten erinnert.
(Bild: kmm)

Nichts gegen die anderen aktuellen Fiat-Modelle, aber das sind einfach nur Autos. Der 500 lässt ganz offen eine Ikone aufleben (wie der bzw. die barchetta den Alfa Spider oder auch den Fiat 124 Sport im Blech hat). Im direkten Vergleich zum Ur-500er ist er natürlich viel erwachsener, aber die Proportionen zur Zeitgeschichte passen. Da ist innen wie außen so gut wie alles stimmig. Keine austauschbare Massenware im Innenraum, sondern eine Armaturenkonsole nach Maß. Vor allem in Weiß leben die 50er-Jahre wieder auf, die dicken Chromtürschnallen sind ein Hit, das (überladene) Kombiinstrument ist der Urenkel des Originals. Schade nur, dass das Radio keinen Drehknopf für die Lautstärke bekommen hat. Die Tasten sind ein Stilbruch.

Kein Tag ohne Lächeln
Mit dem Fiat 500 wirkt die Welt gleich viel freundlicher, es lächeln einem nämlich ständig Menschen zu, ähnlich wie wenn man mit einem kleinen Kind unterwegs ist. Man sollte diesem Auto ruhig ein paar Extras gönnen, halbnackt auf die Straße geschickt zu werden, hat es nicht verdient. Ideal ist perlmuttschimmernder Lack namens "Funk Weiß", damit kommt der 500 großartig zur Geltung (und man sieht den Dreck kaum). Schwarz geht auch, aber bitte keine Normalofarben! Ledersitze (sehr bequem!) und Glasschiebedach (sogar bei hohem Tempo angenehm), Klimaautomatik und Parksensor – der Testwagen ist jedenfalls adäquat ausgestattet (nur ein Handschuhfach wäre gerade in einem italienischen Auto praktisch), kostet dafür aber auch rund 20.000 Euro. Das ist nicht nichts für einen Kleinwagen mit 100 PS. Aber teuer? Eine Zeitmaschine würde mehr kosten, wenn es sie denn gäbe!

Nicht alles, was glänzt, ist Gold...
Es lohnt sich, in Optik und Ambiente im Cinquecento zu investieren, denn wer sich mit seinem Auto identifiziert und immer wieder an seinem Spielzeug erfreut, wird über kleine Unzulänglichkeiten leichter hinwegsehen. Denn natürlich ist der Kleine nicht perfekt, bei allem Stilikonentum ist er ein Fiat. Der Testwagen zeigt sogar zwei Mängel, die ich von meinem barchetta zur Genüge kenne: Beim Rückwärtsfahren machen die Bremsen „hupende“ Geräusche, und der Scheibenwischermotor kündigt mit Getöse bereits sein Ableben an. Ansonsten keine Mängel, es sind aber auch erst 5000 Kilometer auf dem Zähler.

Fahrwerk nur für starke Nerven
Andererseits: Dass ab 140 km/h das ganze Auto (samt Tachonadel) erzittert, könnte auch an schlecht ausgewuchteten Rädern liegen, doch das Fahrwerk hat seinen Vertrauensvorschuss schnell verspielt. So neigt der Cinquecento dazu, sich einzudrehen, wenn man bei 130 km/h in einer Autobahnkurve stark bremst. Auf schlechten Autobahnen ist das Fahrwerk völlig überfordert; als ich mal 180 km/h angetestet habe, hat es mich gleich um einen Meter versetzt. Doch auch wenn der Straßenbelag nicht marod ist, dürfte die Fahrerei besser sein – der Kleine hoppelt wie einst mein Renault Clio Baujahr 1991.

Also eher ein Auto für die Stadt, da stört es auch nicht so, dass dem Motor bei höherem Tempo die Luft ausgeht und sich die 100 PS maximal wie 90 PS anfühlen. Erstaunlich, hat der 500er doch nur 930 Kilo. Für die Höchstgeschwindigkeit von 182 km/h braucht man viel Geduld, 10,5 Sekunden von 0 auf 100 sind eine sehr optimistische Werksangabe. Auf jeden Fall hungert der 1,4-Liter-16V-Motor nach Drehzahlen. Das maximale Drehmoment von 131 Nm wird bei 4.250/min. erreicht, die Maximalleistung von 100 PS gar erst bei 6.000/min. Bei spaßsuchender Fahrweise steigt der Verbrauch auf über 10 Liter, aber auch unter 7 Liter sind möglich.

Wie bei Fiat inzwischen beinahe üblich, hat der Cinquecento auch eine Sport-Taste, die den Motor etwas schärfer macht; die war im Test fast immer gedrückt. Das Sechsgang-Getriebe ist optimal gestuft und sehr gut zu schalten, der Schalthebel liegt gut zur Hand. Besonders die Sperre für den Rückwärtsgang ist sehr handlich gelöst. Sehr passend für ein Retro-Auto.

Ungewollter Bodenkontakt
Doch auch in der Stadt ist die Freude nicht ungetrübt. Bei stadttypischen Holperschwellen setzt das Auto vorne auf, und die Bodenfreiheit ist so gering, dass ein flachgelegter Absperrpfosten unten anschrammt, wenn man drüberfährt. Der Wendekreis ist mit 10,60 Metern riesig (das Auto ist nur 3,54 m lang), ein C-Klasse-Mercedes braucht nur 20 Zentimeter mehr, und die kleineren Motorvarianten des Fiat 500 (69-PS-Benziner und 75-PS-Diesel) wenden auf angemessenen 9,20 Metern.

Dazu kommen kleine Lästigkeiten wie der enge Bereich um das Kupplungspedal. Mit Halbschuhen kann ich nur mit Zehenspitzen kuppeln, und auch mit Sneakers Größe 45 ist zu wenig Platz. Das Lenkrad ist für meine Körpergröße zu weit weg und steht dafür zu flach, der Verstellbereich ist also zu klein. Dafür ist es angenehm griffig und das weiße Leder tut dem Auge gut.

So schön der Innenraum auch ist, manches ist einfach nicht durchdacht. Im Ablagefach in den Türen rutschen die Dinge nach hinten und sind dann bei geschlossener Tür nicht mehr zu erreichen. Die Getränkehalter sind ein Witz; weil sie viel zu flach sind, fällt alles heraus. Generell sind für den Fahrer viel zu wenig Ablagen erreichbar. Der Beifahrer hat ein riesiges Fach, aber kein Handschuhfach. Der Zigarettenanzünder ist zu weit unten, das ist lästig, wenn man ein mobiles Navigationssystem anschließen möchte, und das optionale Blu&Me-Navi ist nicht zu empfehlen.

Fazit:
Der Fiat 500 ist ein echter Herzensbrecher. Er bricht die Herzen der stolzesten Frauen, und auch die Männer können sich ein wohlwollendes Schmunzeln nicht verkneifen. Aber wie es so ist bei einem Papagallo: Hinter der großartigen Fassade steckt kein Typ für eine problemlose Beziehung. Wenn man sich dessen bewusst ist, kann man mit dem Cinquecento viel Freude in einer sehr freundlichen Welt haben. Und wer einen fahraktiven Kleinwagen sucht, der greife lieber zum Mini. Und noch eine Bitte an Fiat: Wenn eine Abarth-Version, dann bitte nicht mit diesem Fahrwerk!

Stephan Schätzl

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(Bild: kmm)



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