Einer der sonnigsten Schlager der deutschen Musikgeschichte wurde in dunkler Nacht geschrieben. An einem Abend 1975 setzte sich Moderator Rudi Carrell in seinem Bauernhof bei Bremen in die Wohnküche. Ihm gegenüber: der Liedtexter und Sketch-Schreiber Thomas Woitkewitsch. Unter dem Tisch: eine Kiste Bier. Carrell sagte: „Jetzt lass dir mal was einfallen.“ Am nächsten Tag war die Kiste leer, ein Hit da, der Jahrzehnte überdauern sollte: „Wann wird‘s mal wieder richtig Sommer?“.
Carrell besang darin die Sehnsucht nach einem Sommer, „wie er früher einmal war“. Was im Koordinatensystem des Show-Niederländers bedeutete: heiß und regenarm. Vor 50 Jahren, am 5. Mai 1975, stieg der Song in die deutschen Charts ein. Heute, fünf Jahrzehnte später, klingt das Lied noch immer nach leichter Sommerbrise und unbeschwerten Ferientagen – und doch weht ein etwas anderer Wind. Die Zeile „Wann wird‘s mal wieder richtig Sommer?“ hat für 2025er-Ohren auch etwas Schmerzhaft-Schönes.
Video: „Wann wird‘s mal wieder richtig Sommer?“
Von Nixon zu Nieselregen
Zuerst muss man auf die Entstehungsgeschichte schauen. „Wann wird‘s mal wieder richtig Sommer?“ ist ein Cover des Liedes „City of New Orleans“, geschrieben von Steve Goodman, der damals eigentlich Hochpolitisches im Sinn hatte. Im Text kritisierte er einen Beschluss der Regierung von US-Präsident Richard Nixon, der den Eisenbahngesellschaften erlaubte, unrentable Strecken stillzulegen. Das traf viele arme Leute.
Aber politisch wollte es Carrell, der 2006 starb, nicht haben. Zumal er die eingängige Melodie wohl eher von einer weiteren Version aus den Niederlanden kannte. Sein Ansatz war ein anderer. „Er sagte: Mensch, es gibt Lieder über Essen, es gibt Lieder über Liebe. Aber es gibt noch kein meteorologisches Lied“, erinnert sich Texter Thomas Woitkewitsch im Gespräch mit der dpa. „Und dann sagte er: Wir machen irgendwas mit dem Sommer.“
Carrell „war kein Kabarettist“
Diesen eher apolitischen Ansatz zog Carrell dann sogar bei der Aufnahme durch. Berühmt wurde zwar die Strophe: „Der Winter war der Reinfall des Jahrhunderts, nur über tausend Meter gab es Schnee. Mein Milchmann sagt: Dies Klima hier, wen wundert‘s? Denn schuld daran ist nur die SPD“. Wer genau zuhört, bemerkt aber, wie Carrell dazu eine Art Lachseufzer ins Mikro haucht – als hörbaren Abstand zur eigenen Pointe. „Er war kein Kabarettist“, sagt Woitkewitsch. Ausgedacht hatte sich Carrell die Zeile gleichwohl selbst.
Zwischen Wetterbericht und Wunschdenken
Der Erfolg hing auch damit zusammen, dass der Niederländer ein damals gegenwärtiges Gefühl aufgriff. Mit seiner Klage traf er 1975 einen meteorologischen Nerv. „Ich habe in die Daten geschaut: 1974 war einer der kältesten Sommer, die wir in Deutschland hatten“, sagt der Klimatologe und Meteorologe Andreas Walter, der wegen seines Berufs häufig auf den Evergreen angesprochen wird. „Insofern hatte das Lied damals wohl seine Berechtigung.“
Schaut man heute auf den Text, kann sich auch ein anderes Gefühl ausbreiten. Damals musste man Zeilen wie „da gab es bis zu 40 Grad im Schatten, wir mussten mit dem Wasser sparsam sein“ als humorvolle Übertreibung verstehen. 50 Jahre später nicht mehr unbedingt.
Ein Sommerbild im Wandel
„Mittlerweile sind wir von den Temperaturen, wie sie zum Beispiel in den 60ern auch noch im Sommer geherrscht haben, wirklich weit entfernt“, sagt Meteorologe Walter. Die Sommer seien deutlich wärmer geworden. „Das Bild, das Carrell in seinem Text skizziert, ist sicherlich nicht das Idealbild eines Sommers, das wir heute – mit Blick auf den Klimawandel – haben“, so Walter. „Als das Lied 1975 rauskam, war es sicherlich der Tatsache geschuldet, dass es Mitte der 70er-Jahre tatsächlich kühlere Phasen gab. Aber generell würde ich sagen: Carrell wurde von der Realität überholt.“
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