SaferInternet-Experte:

Kinder brauchen im Digitalzeitalter gute Vorbilder

Digital
06.05.2018 08:55

Wischen und drücken: Schon die Allerkleinsten wissen heute, wie digitale Medien funktionieren. In praktisch jedem Haushalt haben sie Zugang zu ihnen, sei es über das Familien-Tablet oder das Smartphone der großen Geschwister. Wenn Kinder dann das erste eigene Handy bekommen, sind sie durch die Vorbildwirkung Älterer bereits geprägt. Deshalb gilt es, Medienkompetenz für die gesamte Familie aufzubauen, erläutert Matthias Jax, Projektleiter für Saferinternet.at beim Österreichischen Institut für angewandte Telekommunikation (ÖIAT).

Während das technologische Medienwissen von Kindern stark zugenommen hat, hinkt die inhaltliche Kompetenz nach. Jax zur APA: „Viele Spiele blenden etwa für Kinder ungeeignete Werbung ein. Ein Kind weiß natürlich nicht, wie es damit umgehen soll“, so Jax. Es ist das Ziel der europäischen Initiative Saferinternet.at, Kindern, Jugendlichen, Eltern und erweiterten Bezugspersonen wie Lehrern oder Jugendarbeitern Informationen zum Umgang mit sozialen Netzwerken und digitalen Medien zu geben.

Workshops und Broschüren
„Wie wir das schaffen? Zum einen mit Workshops. Im Vorjahr haben wir mit unserem Netzwerk von knapp 40 Trainern österreichweit circa 1700 Workshops abgehalten“, informiert der Projektleiter. Sie finden in Schulen genauso statt wie in Jugendzentren, im Rahmen von Elternabenden oder bei Veranstaltungen für Vereine, die online gehen wollen. „Zum anderen auch durch eine breite Palette an Informationsmaterialien für Lehrer und Eltern, etwa die Broschüre ‘Medien in der Familie‘, die gut angenommen wird“, so Jax.

Ein weiterer Puzzlestein sind Pressearbeit und natürlich die Kontakte innerhalb des Saferinternet.at-Netzwerks. „Wir sind nicht allein - unter anderem kooperieren wir eng mit ‘147 Rat auf Draht‘, der Hotline für Kinder, Jugendliche und deren Bezugspersonen.“ Die operative Durchführung der Telefonberatung wurde 2014 von SOS-Kinderdorf übernommen, was wiederum einen starken Partner im Hintergrund bedeute. „Wir haben viele unterschiedliche Kontaktpunkte“, betont der Social Media-Experte.

Wahr ist: Jene Eltern, die das Informationsangebot nutzen und zu den Elternabenden kommen, interessieren sich meist ohnehin für digitale Medien und machen sich über das Wohl ihrer Kinder Gedanken. Wie aber erreicht man die anderen, die das Thema nicht unmittelbar am Radar haben?

„Das ist genau die Frage, vor der wir jetzt stehen. Dabei geht es immer auch um die Einbindung von Schulen, aber auch der außerschulischen Jugendarbeit, vor allem in Jugendzentren. Wir merken, dass es um einiges schwieriger ist, an diese Zielgruppen heranzukommen, man benötigt einfach ganz andere Zugänge“, räumt Jax ein. Ein konkreter Ansatz ist, auf den Multiplikator-Faktor zu setzen und Jugendarbeiter in den Jugendzentren als Experten für digitale Medien auszubilden. „Sie könnten dann auch als Brückenbauer zu den Eltern fungieren“, so die Hoffnung.

Sexting und Cybermobbing unterschätzt
Welche Probleme werden am häufigsten an Saferinternet.at herangetragen? „Ein großes und wahrscheinlich unterschätztes Thema ist sexuelle Belästigung im Internet - dazu gab es kürzlich eine Studie von SOS-Kinderdorf. Damit einher geht natürlich auch Cybermobbing“, stellt Jax fest. Um dem Übel an die Wurzel zu gehen, müsse man sich als Elternteil oder Lehrer mit der Thematik auseinandersetzen.

„Wo passiert es? Welche Kanäle sind gerade aktiv, was ist bei Jugendlichen relevant? Wie kann Cybermobbing in WhatsApp, Snapchat oder Instagram aussehen? Das hat natürlich unterschiedliche Ausprägungen“, gibt der Fachmann zu bedenken, auch wenn die Auswirkungen für den Lehrer meist ähnlich seien: „Es herrscht wahrscheinlich große Unruhe in der Klasse. Wenn man es da einmal schafft, herauszufinden, worum es bei dem Konflikt geht, ist man schon um einiges weiter“, appelliert Jax an Lehrer, sich auf die Lebenswelten Jugendlicher einzulassen und am Laufenden zu bleiben. „Dann erfährt man vielleicht, dass Schüler gerade die Videoplattform musical.ly als Netzwerk nutzen. Was heißt das für die Klasse, welche Auswirkungen könnte es haben? So etwas ließe sich im Unterricht thematisieren.“

Saferinternet.at-Workshops im Unterricht
Bei den Lehrer-Workshops wird gezielt auf den digitalen Alltag von Jugendlichen eingegangen. „Wir liefern eine breite Palette von Ideen und Angeboten, wie mit digitalen Medien im Unterricht bzw. in der Schule umgegangen werden kann“, erzählt der Projektleiter. Österreichweit gebe es bereits „viele Vorbildklassen und Lehrer, die tolle Systeme entwickelt“ haben. Aber jede Klasse funktioniert anders, es gibt keine allgemeingültigen Rezepte, weiß er.

Beispielsweise kann man Klassenregeln für WhatsApp-Gruppen vereinbaren und festlegen, welche Informationen geteilt werden dürfen, wie mit sensiblen Daten, wie in der Gruppe miteinander oder mit Mobbing umgegangen wird. „Da kann auch ein Lehrer als Administrator dabei sein. Ganz viel von den Überlegungen fließen dann wieder in den Alltag von Jugendlichen ein“, ist der Experte für digitale Medien überzeugt.

Wichtig sei, Grenzen zu setzen und klare Regeln zu vereinbaren: Wann darf das Internet in der Klasse verwendet und in welcher Zeit soll das Handy weggepackt werden? Absolute Verbote hält Jax selten für zielführend. „Jeder hängt am Smartphone, das weit mehr ist als ein Telefon, mit dem man spielt. Statt zum Telefonieren wird es heute zum Kontakthalten verwendet. Ein klassisches Beispiel: Wenn am Schulhof auf einmal alle ins Handy schauen - man weiß nicht, was sie da machen. Vielleicht ist eine Klassenkollegin krank und sie versuchen gerade, sie am Schulleben teilhaben zu lassen“, will er digitale Medien nicht per se verteufelt wissen. „Smartphones sind ein Kernelement im Leben Jugendlicher, und es muss eine Möglichkeit geben, sie sinnvoll einzubinden. Noch lässt sich aber nicht feststellen, dass jede Klasse bzw. Schule ein Bewusstsein für diese Tatsache entwickelt hat“, meint er.

Das Internet vergisst nichts - theoretisch wissen das alle
„Was ich ins Internet stelle, bleibt im Internet - diesen Satz können mir mittlerweile alle Jugendlichen herunterbeten“, sagt er. Theoretisches Wissen aber ist das eine, das tatsächliche digitale Verhalten das andere. „Einfach auch deswegen, weil wir als Gesellschaft, als Eltern bzw. Vorbilder noch nicht so weit sind“, schätzt Jax. Wer etwa bei seinen Facebook-Einstellungen persönliche Informationen an vielleicht 30 Apps freigegeben hat, kann die Apps zwar löschen. „Das heißt aber nicht, dass auch die Daten gelöscht sind. Ich muss mich mit jedem Unternehmen einzeln auseinandersetzen, muss in mühsamer Recherche nachfragen, welche Daten es von mir hat, um sie wieder zurückzubekommen.

Mit einem Klick gebe ich Informationen frei, aber der Aufwand, sie zurückzuholen, ist enorm. Dessen sind wir uns alle noch nicht so recht bewusst“, betont er und macht eindringlich auf die Vorbildwirkung von Erwachsenen aufmerksam. „Ein Kind sieht natürlich, wie seine Mutter oder sein Vater mit dem Smartphone umgeht. Fragt man das Kind um Erlaubnis, ehe man es fotografiert und Fotos von ihm online stellt? Fotografiert man Personen ungefragt und stellt die Fotos online? Dies entscheidet maßgeblich, wie das Kind oder später der Jugendliche die Medien nutzen wird“, ist Jax überzeugt.

GPS-Uhren als Babysitter: Überwachung rund um die Uhr
Eltern sind einerseits zu sorglos, andererseits übervorsichtig. Die paradoxe Kombination dieser Eigenschaften zeigt sich bei den erstmals im Weihnachtsgeschäft 2017 verstärkt nachgefragten GPS-Uhren, die eine lückenlose Überwachung des Trägers ermöglichen. „Aktuell sind diese Uhren noch ein Randthema, aber sie sind im Kommen“, sagt der Social Media-Experte. Die Geräte würden kleiner und besser und kämen immer öfter als Alternative zu einer normalen Kinderuhr in Frage.

„Wir haben die Uhren ganz intensiv getestet und uns viele Gedanken dazu gemacht. Unsere wichtigste Erkenntnis ist, dass Kinder einen gewissen Grad an Selbstständigkeit einbüßen, wenn sie solche GPS-Tracker tragen.“ Sie hätten das Gefühl, die Eltern wüssten ohnehin jederzeit, wo sie sich aufhalten, und würden sie aus jeder Gefahr retten - was sie letztlich auch leichtsinniger mache. „Problematisch ist auch, dass zumindest die von uns getesteten Tracker sehr ungenau funktionieren. Da kann es dann leicht zu einem Vertrauenskonflikt kommen, wenn das Kind sagt, dort war ich nie, aber die Uhr etwas anderes anzeigt“, gibt Jax zu bedenken.

Dennoch lehnt er GPS-Uhren nicht gänzlich ab. „Spricht man das Thema transparent mit dem Kind ab, vereinbart Regeln, behält das Risiko der Unselbstständigkeit im Auge und setzt die Uhr nur für bestimmte Situationen ein, etwa den Schulweg, kann der Einsatz eine Überlegung wert sein“, meint er. Die größere Gefahr sieht er darin, dass sich weder Hersteller noch User über mögliche Sicherheitslücken der Geräte den Kopf zerbrechen. „Die kleinen Geräte werden immer billiger produziert und es wird keine Sicherheits-Updates mehr für sie geben. Sie sind mit dem Internet verbunden und irgendwann sind sie dann knackbar - dann habe ich ein Gerät daheim liegen, das mein Kind ausspionieren kann und jeden anderen auch.“

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