„Krone“-Analyse

Turbulenter EU-Gipfel mit Höhen und Tiefen

Politik
22.03.2024 22:00

Ein turbulenter EU-Gipfel ging gestern, Freitag, zu Ende. Während des Frühstücks sorgte eine versehentliche „Kriegserklärung“ Russlands für Aufsehen, in der Israel-Frage zeigt sich die Union weiterhin gespalten und auch die angekündigten Beitrittsgespräche mit Bosnien-Herzegowina dienen Brüssel lediglich, Zeit zu gewinnen. Aber alles der Reihe nach.

Kremlsprecher Dmitri Peskow weiß normalerweise sehr genau, was er sagt. In einem Interview mit einem russischen Politik-Magazin hatte er erstmals offiziell eingeräumt, dass Russland „sich im Krieg befinde.“ Bislang sprach man im Zusammenhang mit dem Ukraine-Krieg immer von einer militärischen Spezialoperation. Peskow sagte: „Wir sind im Kriegszustand. Ja, es begann als eine spezielle Militäroperation, aber sobald diese Gruppe gebildet wurde und der kollektive Westen ein Teilnehmer dessen auf der Seite der Ukraine wurde, wurde dies zum Krieg für uns.“

Diese Worte waren als Reaktion zu sehen. Auf die Entscheidung der EU-Mitglieder, den „Borrell-Plan“ weiterzuverfolgen. Borrell hatte vorgeschlagen, dass die EU 90 Prozent der Zinsgewinne eingefrorener russischer Vermögensgüter für den Kauf von Waffen für die Ukraine verwende. Zehn Prozent sollten in den Wiederaufbau der Ukraine und in die Stärkung der Kapazitäten der ukrainischen Verteidigungsindustrie fließen.

EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen erklärte in der Abschlusspressekonferenz, dass die ersten Gelder an die Ukraine bereits im Juli fließen könnten. Die Mitgliedstaaten müsse nun rasch einen Vorschlag verabschieden. Die EU-Kommission rechnet mit Zinserträgen von bis zu drei Milliarden Euro pro Jahr. Von einer Einigkeit sei man aber noch weit entfernt. Vor allem Österreich zeigt sich weiter skeptisch. Als neutrales Land könne man sich nicht an Waffenkäufen beteiligen, weswegen man sich „konstruktiv enthalten“ werde.

Peskows Äußerung ist als Reaktion auf die EU-Entscheidung zu verstehen. Wenig später hingegen ruderte Peskow zurück. Sinngemäß sagte er: Nur weil der Westen entschieden hat, gegen uns Krieg zu führen, heißt das nicht, dass wir uns im Kriegszustand befinden. „Es ist immer noch eine Spezialoperation.“

Russland-Experte Alexander Dubowy glaubt nicht an einen Zufall. Die Aussagen sorgten im Westen für Verunsicherung. „Genau das, was Russland will. Putin bleibt damit weiterhin unvorhersehbar.“ Und es war ein Signal an den Westen: „In der Welt von Putin gibt es keine roten Linien.“

Dass die EU die Zinserträge russische Vermögenswerte beschlagnahmen will, ist für den Experten heikel: „Russland propagiert immer wieder, dass die regelbasierte Ordnung des Westens nicht existiert. Der Westen denkt sich die Regeln aus, hält sich aber selber nicht daran.“ Sollte die Beschlagnahmung nicht juristisch hieb- und stichfest sein, wird das für den Westen zu einem kapitalen Bumerang.

Israel spaltet Europa – aus merkwürdigen Gründen
In der Israel-Frage ist die EU weiter tief gespalten. Bundeskanzler Karl Nehammer forderte, dass man die Gräuel der islamistischen Terrororganisation Hamas klar benennt. Da gab es aber Widerstand. Belgien und die Niederlande gehen auf Distanz. Aus innenpolitischem Kalkül. Beide Länder haben eine starke islamische Glaubensgemeinschaft und befürchten Unruhen, sollte sie sich zu stark an der Seite Israels positionieren, wie man aus Verhandlerkreisen hört.

Irlands Position gegenüber Israel war immer schon recht kühl. Irland hat Israel erst 1963 anerkannt, die israelische Botschaft in Dublin wurde Mitte der 90er Jahre eröffnet. Irische Politiker bezeichnen es als Heuchelei, wenn die Gräuel gegen die Zivilbevölkerung in der Ukraine kritisiert werden, aber jene an der im Gaza-Streifen nicht. Auch Portugal und Spanien sind durch ihre starke sozialistische Prägung traditionell eher pro-palästinensisch. Mit ein Grund für die Anti-Israel-Haltung ist aber schlichte Antipathie gegenüber Ministerpräsident Benjamin Netanyahu, heißt es aus Brüssel. Weswegen in der Schlussfolgerung nicht wie vom Kanzler gewünscht die Gräuel der Hamas ausdrücklich erwähnt werden.

Bosniens Weg in die EU ist noch weit
Dafür zeigte sich Österreich außerordentlich zufrieden, dass die EU-Staats- und Regierungschefs offiziell die Aufnahme von Beitrittsgesprächen mit Bosnien-Herzegowina beschlossen haben. Einige EU-Staaten hatten im Vorfeld aber Bedenken angemeldet, weil das Land noch nicht alle geforderten Reformen umgesetzt hat. Auch Politologe Vedran Dzihic vom Österreichischen Institut für Internationale Politik sagt gegenüber der „Krone“: „Das grüne Licht für den Beginn der EU-Verhandlungen für Bosnien ist nur der Beginn eines weiten Weges.“ Nach den nötigen Reformen, für die es innenpolitisch keinen Konsens gibt, folgt der lange Weg der Verhandlungen. Und die Beispiele Montenegro (seit 2012) und Serbien (seit 2014) zeigen, „wie mühsam das wird“.

Dzihic ist sich zudem sicher: „In der derzeitigen politischen Konstellation mit einem pro-russisch und sezessionistisch agierenden Präsidenten der Republika Srpska, Milorad Dodik, und dem Anführer der kroatischen HDZ, Dragan Čović, dem der Schutz eigener Interessen wohl wichtiger ist als der EU-Beitritt, würde Bosnien die Kopenhagener Kriterien nicht erfüllen können. Um es ganz klar zu sagen – mit ethno-nationalistisch agierenden Politikern, die nur ihre Partikularinteressen bedienen, ist Bosnien nicht reif für die EU.“

Etwas härter ins Gericht mit der EU und Bosnien geht im „Krone“-Gespräch einer der führenden Außenpolitik-Experten am Balkan, Vuk Vuksanović: „Momentan sind die Chancen auf einen Beitritt – wie bei allen anderen Balkan-Staaten – nicht existent.“ Bosnien habe den Status nur bekommen, weil „alles andere eine Beleidigung gewesen wäre. Die EU kann nicht einem Land, in dem Krieg herrscht (Ukraine), den Beitrittstatus gewähren, aber einem Land, in dem der Krieg seit 27 Jahren vorbei ist, nicht.“

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