Nach Rücktritt

Diktator Ben Ali nach Saudi-Arabien geflüchtet

Ausland
10.02.2011 14:46
Tunesiens ehemaliger Präsident Zine el-Abidine Ben Ali ist nach seinem Rücktritt am Freitagabend zusammen mit seiner Familie nach Saudi-Arabien geflüchtet. "Das Königreich begrüßt die Ankunft des Präsidenten Ben Ali und seiner Frau", berichtete die staatliche Nachrichtenagentur SPA Samstag früh. Das Chaos in Tunesien ist mit dem Rückzug von Präsident Ben Ali nicht zu Ende. In der Hauptstadt dauern die Unruhen an.

Die Aufnahme Ben Alis sei mit der Ausnahmesituation zu begründen, die Tunesien derzeit erlebe, berichtete SPA. Man wünsche den Menschen in Tunis Frieden und Sicherheit. Wie lange der Politiker in dem Land bleiben will, wurde nicht mitgeteilt. Saudische Behörden berichteten, Ben Ali befinde sich in der Hafenstadt Jeddah.

Frankreich verweigerte Einreise
Ben Ali hatte Tunesien nach den gewaltsamen Protesten gegen den Polizeistaat und die hohe Arbeitslosigkeit fluchtartig verlassen. Zunächst soll er versucht haben, bei der ehemaligen Kolonialmacht Frankreich unterzukommen. Das Land lehnte dies laut einem hochrangigen französischen Regierungsvertreter jedoch ab. Die französischen TV-Sender LCI und i-Tele berichteten unter Berufung auf französische Regierungskreise, Präsident Nicolas Sarkozy habe Ben Ali die Einreise verweigert.

Ausnahmezustand dauert an
In Tunesien gilt indes weiterhin der Ausnahmezustand. Am frühen Samstagmorgen stand der Zentralbahnhof der Hauptstadt Tunis in Flammen. Supermärkte und Wohngebäude brannten, und auch ein Krankenhaus soll angegriffen worden sein. Augenzeugen berichten über Plünderungen und Helikopter, die mit Suchscheinwerfern über der Stadt kreisten.

Bei einem Gefängnisbrand in Monastir kamen indes nach ersten Informationen mehrere Dutzend Menschen ums Leben. Die Zahl der Opfer liege bei mehr als 40 Toten, berichteten Mediziner der Deutschen Presse-Agentur. Offenbar dürften Häftlinge ihre Matratzen in Brand gesteckt haben. Die Flammen hätten dann schnell auf das gesamte Gebäude übergegriffen.

Als die Insassen zu fliehen versuchten, eröffneten Wärter nach Augenzeugenberichten das Feuer. Mehrere Häftlinge seien an Schusswunden gestorben, andere verbrannt, hieß es. Ein Gerichtsmediziner sagte hingegen, einer ersten Untersuchung zufolge seien sämtliche Opfer am Feuer selbst oder durch das Einatmen des Rauches gestorben.

"Völliges Sicherheitschaos"
Premierminister Mohamed Ghannouchi sprach im tunesischen Staatsfernsehen von einem völligen Sicherheits-Chaos. Er riet den Bewohnern von Tunis, sich zu Gruppen zusammenzuschließen, um ihre Habe zu schützen. Am späten Freitagabend waren Schüsse im Zentrum der Hauptstadt zu hören, die nach Mitternacht jedoch verstummten.

Verfassungsrat ernennt neuen Übergangs-Präsidenten
Ghannouchi war noch von Ben Ali beauftragt worden, eine Übergangsregierung zu führen, was Oppositionspolitiker jedoch als verfassungsrechtlich bedenklich kritisiert hatten. Die Verfassung sieht vor, dass der Vorsitzende des Parlaments das Amt des Präsidenten antreten soll, weshalb der Verfassungsrat am Samstag den bisherigen Parlamentspräsidenten Fouad Mebazaa zum Interims-Präsidenten ernannte.

Der 77-Jährige soll nun Neuwahlen vorbereiten, die laut Verfassung innerhalb von 60 Tagen abgehalten werden müssen. Ein Nachfolger aus dem engen Dunstkreis ist allerdings kaum mehr denkbar, denn Habgier, Korruption und Vetternwirtschaft - das sind Begriffe, mit denen das Regime und Ben Alis Clan in Verbindung gebracht werden.

EU und USA rufen zur Zurückhaltung auf
In Europa wird die Entwicklung mit Sorge beobachtet. Die EU-Kommission dringt auf einen friedlichen Wandel in dem Mittelmeerland. "Wir mahnen alle Parteien, Zurückhaltung zu zeigen und Ruhe zu bewahren, um weitere Opfer und Gewalt zu vermeiden", erklärte die EU-Außenbeauftragte Catherine Ashton am Freitagabend in Brüssel. Der Schlüssel für die weitere Entwicklung sei der Dialog.

Auch die USA riefen alle Seiten zur Zurückhaltung auf. US-Präsident Barack Obama verurteilte die Gewalt gegen die Demonstranten und rief alle Seiten in Tunesien auf, Ruhe zu bewahren, auf Gewalt zu verzichten und die Menschenrechte zu achten. . Gleichzeitig lobte er den Mut der Menschen in Tunesien. US-Außenministerin Hillary Clinton erklärte, die tunesische Regierung müsse "in diesem Moment des bedeutenden Wandels" das Recht ihres Volkes respektieren, sich friedlich zu versammeln und seine Ansichten zu äußern. Die Vereinigten Staaten verfolgten die rapiden Entwicklungen ganz genau, so die Außenministerin. Sie rief zu freien und fairen Wahlen in naher Zukunft sowie zu Reformen auf.

Urlauber werden zurückgeholt
Reiseveranstalter begannen am Freitagabend, Urlauber auszufliegen. Fly Niki organisierte einen Sonderflug von Tunesien nach Wien. Auch in Berlin und Düsseldorf trafen erste Maschinen mit Touristen ein. TUI Österreich will noch am Samstag eine Sondermaschine der Lauda Air in den Ferienort Monastir schicken, um österreichische Urlauber nach Wien bzw. Salzburg oder Linz zurückzuholen.

Der deutsche Reiseveranstalter Thomas Cook will rund 2.000 Touristen zurückfliegen, darunter befinden sich auch rund 100 Österreicher, die dann von Deutschland weiter in die Heimat reisen. TUI Deutschland kündigte an, seine rund 1.000 Gäste am Samstag mit Sondermaschinen zurückzuholen. Auch darunter dürften sich österreichische Gäste befinden.

Botschafter: "Keine Österreicher zu Schaden gekommen"
Der österreichische Botschafter in Tunesien, Johann Fröhlich, sagte Freitagabend in der ZiB2, dass während der Unruhen keine Österreicher zu Schaden gekommen wären. Nach Angaben Fröhlichs ist der Flughafen der Hauptstadt Tunis gesperrt, die Airports in Monastir und Djerba seien jedoch in Betrieb. Laut dem Botschafter halten sich 130 bis 140 Auslandsösterreicher in Tunesien auf. Weiters urlauben rund 150 Österreicher in Tunesien. Wegen der Unruhen hat das österreichische Außenministerium von Reisen in das nordafrikanische Urlaubsland abgeraten. Im vergangenen Jahr haben 65.000 Österreicher Urlaub in Tunesien gemacht.

Immer wieder blutige Massendemos
In den vergangenen Tagen war es in dem Land zu blutigen Massendemonstrationen gegen das autoritäre Regime gekommen. Als letzte Amtshandlungen vor seinem Rücktritt hatte Ben Ali am Freitag noch den Ausnahmezustand verhängt, die Regierung entlassen und die Abhaltung vorgezogener Parlamentswahlen innerhalb eines halben Jahres in Aussicht gestellt - doch all das nützte offenbar nichts mehr.

In der Hauptstadt Tunis hatten am Freitag wieder mehr als 10.000 Menschen den Rücktritt des seit 23 Jahren autoritär regierenden Präsidenten gefordert. Sie skandierten "Nein zu Ben Ali!" und machen ihn und seinen Clan für Korruption, hohe Arbeitslosigkeit und Polizeigewalt verantwortlich. Vor dem Innenministerium vertrieb die Polizei am Nachmittag Demonstranten mit Tränengas. Zuvor hatten die Menschen versucht, das Gebäude zu stürmen. Journalisten forderten eine unabhängigere Berichterstattung des Staatssenders und setzten sich für eine Staatstrauer ein.

Dutzende Tote bei Unruhen
Bei Ausschreitungen hatten Sicherheitskräfte in den vergangenen Tagen mehrfach auf Demonstranten geschossen. Menschenrechtsaktivisten nannten bis Donnerstag die Zahl von 66 Toten. Mindestens 13 weitere starben seitdem bei den Unruhen in der Hauptstadt Tunis, bestätigten Krankenhausmitarbeiter am Freitag. Ein ausländischer Fotograf wurde durch eine Tränengasgranate am Kopf verletzt, berichtete der französische TV- Sender BFM. Der tunesische Botschafter bei der UNESCO in Paris, Mezri Hadded, gab wegen der Gewalt seinen Rücktritt bekannt.

Ben Ali hatte am Donnerstagabend noch Zugeständnisse gemacht und für 2014 das Ende seiner Präsidentschaft in Aussicht gestellt. In seiner dritten Fernsehansprache seit Beginn der Krise hatte er die Herabsetzung der Preise für Grundnahrungsmittel und die Aufhebung der Internet- Zensur versprochen. Wenig später konnten zuvor gesperrte Onlineseiten wie etwa YouTube wieder erreicht werden. Nach der Präsidentenrede waren am Donnerstagabend trotz eines Ausgehverbots zahlreiche Menschen auf die Straßen gegangen, um die Ankündigungen zu feiern. Hupkonzerte und Freudenschreie hallten durch die Nacht.

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