Mercedes hat dem AMG GT in zweiter Generation zwar seinen monolithischen Charakter genommen, ein Sportler von altem Schrot und Korn ist er trotzdem. „Krone“-Motorredakteur Stephan Schätzl war mit dem stärkeren der beiden reinen V8-GTs unterwegs – seine Eindrücke hier im Video-Fahrbericht!
Den Wagen neben einer fast 70 Jahre alten Douglas DC-6B zu präsentieren, mag etwas vermessen sein, aber man kann den schnellen Affalterbacher ganz schön fliegen lassen und das Flugzeug hat geradezu darum gebettelt. Seit es 1974 ausgemustert wurde, hat es nicht mehr allzu viel erlebt.
Beim Blick in den Konfigurator auf der österreichischen Mercedes-Website könnte man glauben, den Mercedes-AMG GT 63 habe – 50 Jahre später – bereits kurz nach der Markteinführung das gleiche Schicksal ereilt, doch tatsächlich wird der 585 PS starke Achtzylinder nur hierzulande nicht mehr angeboten. Warum? Keine offizielle Angabe, aber nachdem der AMG GT 63 S E-Performance mit dem gleichen V8-Motor, aber einer zusätzlichen Plug-in-Hybrid-Einheit und insgesamt 816 PS sogar billiger ist, hat man ihn vermutlich auf dem Altar der Normverbrauchsabgabe geopfert. Was schade ist, denn der Plug-in-Hybrid hat sich im Test ganz und gar nicht bewährt.
An dieser Stelle also ein Dank an Mercedes-Benz Österreich, dass sie uns die definitiv beste Motorisierung für dieses Fahrzeug trotzdem zur Verfügung gestellt haben. Neben dem PHEV haben sie noch den per Software auf 476 PS beschnittenen V8 sowie den 435-PS-Vierzylinder in der Preisliste stehen.
Gerade das Blau („MANUFAKTUR spektralblau magno“) steht ihm besonders gut, nicht nur neben der in Blau und Weiß gehaltenen DC-6B, die exakt 50 Jahre vor der Zulassung des Testwagens außer Dienst gestellt wurde. Sie war sehr beliebt als Langstreckenmaschine, obwohl sie oft vorzeitig vom Himmel kam: Von insgesamt 704 gebauten Exemplaren der DC-6-Reihe kam es von 1947 bis Jänner 2019 zu 187 Totalverlusten des Flugzeugs.
Für die Langstrecke ist auch der AMG GT 63 geeignet. Sein Adaptivfahrwerk lässt so etwas wie Komfort zu und mit geschlossenen Auspuffklappen ist es im Innenraum auch bei Autobahntempo so ruhig, dass man locker telefonieren könnte. Wenn die Freisprecheinrichtung nicht so schlecht wäre – der Gesprächspartner versteht genau nichts.
Roadster mit Dach
Die erste Generation des Mercedes-AMG GT war genau das: ein Mercedes-AMG GT. Ein reiner Sportwagen, insgesamt nicht der leichteste Sportler auf Erden, aber keineswegs übergewichtig. Die aktuelle Generation ist in Wahrheit ein Mercedes SL, teilt sich also das Meiste mit dem Roadster. Der ist mittlerweile zwar auch bei AMG verortet und daher eher sportlich ausgelegt, ein Sportwagen ist er aber nicht wirklich. Und so hat der GT einige Hundert Kilogramm Ballast mitzuschleppen. Im Zulassungsschein des Testwagens steht ein Leergewicht von 1915 kg – 360 kg mehr als das DIN-Gewicht des gleich starken AMG GT-R, mit dem ich vor exakt sieben Jahren über den Bilster Berg gerauscht bin. Was war das für ein Erlebnis!
Dazu kommt die grundsätzlich andere Auslegung des Ganzen. Statt Frontmittelmotor und Transaxle-Getriebe hat der neue GT einen Frontmotor auf der Vorderachse und die Neungangautomatik direkt dahinter. Das war’s dann mit der Gewichtsbalance.
Klar, in Affalterbach ziehen sie alle Register, um die Physik zu besiegen, mit Adaptivfahrwerk, 2,5-Grad-Hinterachslenkung (Wendekreis: 12,50 Meter) und aktiver Wankstabilisierung, und natürlich liegt der Wagen richtig gut. Sein Gewicht vergessen machen können sie aber nicht. Trotz des heckorientierten Allradantriebs (Hinterradantrieb nur für den schwächeren V8) ist eine leichte Tendenz zum Untersteuern nicht wegzuleugnen.
Dennoch lenkt der GT auf den Punkt ein, die Lenkung ist superdirekt. So direkt, dass sie im Comfort-Modus schärfer ist als das Fahrwerk, was das Cruisen bisweilen etwas anstrengend machen kann.
Etwas beliebig im Innenraum
Auch im Innenraum ging der volle Sportwagencharakter verloren. Nahm man im alten GT noch ehrfürchtig Platz und konnte das Setup über Tasten auf der Mittelkonsole einstellen, mit Blick auf ein veritables Cockpit, steht da nun ein aufgesetzter 11,9-Zoll-Touchscreen. Phantasielos draufgeklatscht auf ein eigentlich angemessen sportlich-elegantes Armaturenbrett. Wenigstens ist es gut zu erreichen und das Ganze ist auch leidlich gut bedienbar, aber es nimmt diesem 300.000-Euro-Sportwagen (das war der Preis des Testwagens inklusive Extras, als er noch angeboten wurde) ziemlich viel Charakter. Schade.
Der Digitaltacho ist besser integriert. Und auch die kleinen Bedienrädchen, die bei Ferrari Manettini heißen würden, sind gelungen. Das rechte wählt den Fahrmodus, den man dann am Display noch feintunen kann, das linke ist zweigeteilt und lässt sich mit Funktionen belegen: Dämpfer-Härte, Auspuff-Sound, Getriebecharakteristik, außerdem Stellung des Heckflügels und der Carbon-Flaps am Unterboden, die den Abtrieb beeinflussen. Mit zwei zusätzlichen Hebelchen lassen sich die Funktionen dann aktivieren.
Völlig misslungen sind jedoch die Touch-Bedienelemente am Lenkrad. Dass sie exakt so auch in allen anderen Mercedes-Baureihen verwendet werden, macht sie nicht besser. Sie stellen nur mit jedem neuen Modell, das auf den Markt kommt, das Urteilsvermögen der dafür Verantwortlichen noch mehr infrage. Die Bedienung dieser Elemente ist Glückssache. Wenn man mit dem Daumen per Slider die Musik lauter stellen möchte, ist es keine Seltenheit, dass sie stattdessen leiser wird. Oder umgekehrt. Da funktioniert in jedem Dacia besser.
V8-Power, V8-Sound, V8-Verbrauch
Der Sound des Vierliter-Biturbo-Sound wurde gezähmt, erfreut das Herz des Petrolheads mit geöffneten Auspuffklappen aber noch immer. Lässt man die vollen 585 PS und 800 Nm los, dann sprintet der Bolide mit der nassen Anfahrkupplung in 3,2 Sekunden auf Tempo 100, bei 315 km/h hört die Beschleunigung auf. Damit ist er mehr als halb so schnell wie die DC-6. An Kraft mangelt es nie, das maximale Drehmoment steht von 2500 bis 4500 Touren zur Verfügung, gedreht wird bis 7000/min.
Was den Spritverbrauch betrifft, hat dieser V8 (wie viele andere auch) sparsamen Drei- oder Vierzylindern etwas voraus: Sein Normverbrauch ist locker zu unterbieten. Der liegt hier bei 14,1 l/100 km. Auf der Autobahn zeigte der Bordcomputer hingegen gerade mal 11,5 Liter auf 100 Kilometer. Wohlgemerkt in Österreich. In Deutschland wäre das wohl etwas ganz anderes. Und wenn man wirklich sportlich fährt, ist die Skala nach oben offen. Im Stadtverkehr muss man diesbezüglich sowieso leidensfähig sein.
In anderer Hinsicht ist Leidensfähigkeit weniger vonnöten als bei anderen Sportwagen: Der AMG GT hat einen absolut brauchbaren Kofferraum unter seiner großen Heckklappe. 321 Liter passen da hinein. Und die Wand zum Fahrgastraum kann man auch noch umklappen, dann wird der Laderaum fast schon opulent.
Hintergrund: Weil der Motor so weit nach vorn gerückt ist und zudem der Radstand auf 2,70 Meter gewachsen ist, kann man zwei Notsitze mitbestellen und den GT so zum 2+2-Sitzer machen. Die Sitzoption gibt’s im GT also nicht deshalb, weil AMG es dem wichtigsten Konkurrenten Porsche 911 nachmachen will, sondern weil halt zufällig Platz ist. Da man da aber in Wahrheit sowieso nicht sitzen kann, befindet sich dort standardmäßig einfach eine praktische Ablage.
Die Preise
304.283,28 Euro steht auf dem Preisblatt des Testwagens, davon 90 980,88 NoVA. Dürfte also bei rund 261.500 Euro gelegen haben – ca. 17.000 Euro über dem des Plug-in-Hybrids mit 816 PS, für den nur 18 Prozent NoVA fällig werden. Nicht 44 Prozent. Das Sparangebot ist der Vierzylinder ab gut 162.000 Euro, der schwächere V8 kostet 225.000 Euro.
Um das Geld könnte man mit etwas Glück fast schon eine gebrauchte DC-6 bekommen, mit vier jeweils 2400 PS starken Doppelsternmotoren.
Fahrzit
Bei aller Kritik im Detail und an der grundsätzlichen Auslegung – der AMG GT 63 ist ein schönes Brachialteil geworden. Der Sound, das Fahrwerk, der Auftritt - das ist alles typisch AMG. Wenn auch weder zurückhaltend noch feine Klinge. Feinspitze schauen eher nach Zuffenhausen als nach Affalterbach. Ansonsten heißt‘s: Kaufen Sie V8-Sportwagen, solange es noch welche gibt. Fürs gute Gewissen: Die geringen Stückzahlen sind fürs Klima eher kein Faktor. Aber das muss jeder mit sich selbst ausmachen.
Warum?
Ein V8 ist einfach ein V8.
Alltagstauglicher Sportwagen
Warum nicht?
Schwächen in der Bedienung
Ganz schön schwer
Oder vielleicht …
… Porsche 911 Turbo – oder einfach den schwächeren V8. Der wird wahrscheinlich auch reichen.
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