Das Wort Sakrileg ist im Zusammenhang mit Autos in den vergangenen Jahren geradezu inflationär verwendet worden. Die Corvette ist eines davon – und das auf zweifache Weise: Erst wanderte der Motor von der Vorderachse hinter den Fahrer und dann kam auch noch ein Elektromotor dazu. Die Kombi ist aber gar nicht schlecht!
Dass die Hybridisierung einer legendären Sportwagenbaureihe eine Bereicherung sein kann, zeigt auch Porsche beim 911 GTS, der dank konsequenten Leichtbaus auf nur 50 kg Elektroballast kommt und sich messerscharf fährt. Die Corvette C8 e-Ray hält sich beim Gewicht weniger zurück, ist aber auch komplett anders ausgelegt: Der E-Motor treibt die Vorderräder an und macht den Ami zur ersten Allrad-Corvette.
Abgesehen vom recht hohen Gewicht, das bei mindestens 1907 Kilogramm ohne Fahrer liegt, spricht nicht viel gegen die Extra-Power aus der Spannungskiste. Die 161 elektrischen PS sowie die begleitenden 195 Nm hört man zwar kurzzeitig beim Tritt aufs Gaspedal, doch einen Lidschlag später bollert der 6,2-Liter-V8 auch schon los. Damit kann man gut leben, zumal die beiden Antriebe perfekt zusammenarbeiten. Gegen 644 PS Systemleistung und ein deutlich direkteres Ansprechen statt „nur“ 482 PS fehlen mir schlicht die Argumente.
Na ja, außer vielleicht, dass der Lithium-Ionen-Akku (der zwischen und unter den Insassen liegt) nur 1,9 kWh speichert und die bei entsprechender Fahrweise recht schnell aufgebraucht sind. Wie gut, dass man ihn nicht nur durch Rekuperation laden kann, sondern auf Knopfdruck auch aktiv durch den Smallblock. Bei Dauervollgas auf der deutschen Autobahn wird da allerdings wohl nicht viel ankommen.
Breitbau wie das Topmodell
Der V8-Sauger entspricht dem aus der Corvette Stingray, die Optik wurde im Wesentlichen vom Top-Kracher Z06 übernommen. Es ist schon beeindruckend, wie breit die e-Ray daherkommt. Und auch, wie sie im Regen wahrscheinlich Ringerl um die Z06 fährt, die ja nur ihre Hinterräder antreibt.
Das jedenfalls lässt die Testfahrt im Regen vermuten: Der elektrounterstützte Mittelmotorsportler fährt sich absolut gutmütig und bringt erstaunlich viel Kraft auf die nasse Straße. Die Lenkung ist zwar sehr leichtgängig, aber präzise und gefühlvoll. Auch das „Magnetic Selective Ride Control“-Fahrwerk bietet erstaunlichen Komfort. Das volle Potential der serienmäßigen Carbon-Keramik-Bremsanlage war leider nicht zu ermitteln, mit 398 bzw. 391 mm messenden Scheiben und Vierkolben-Brembo-Sätteln.
Das Abrollen der Gummiwalzen (Reifenformat vorn 275/30ZR20, hinten 345/25ZR21) lässt sich am besten im Stealth-Modus verfolgen. Dann rollt die Corvette rein elektrisch dahin und man hört jedes Kieselsteinchen, bis man entweder rund 70 km/h erreicht oder ein bisschen schneller aufs Gas tritt. Oder sowieso nach ein paar Kilometern. Unverständlich ist, warum man den Elektromodus vor dem Motorstart aktivieren muss und später keinen Zugriff mehr darauf hat. Die Erklärung wird sein, dass er dafür gedacht ist, lautlos zu starten und aus dem Villenviertel herauszurollen. Vielleicht in aller Herrgottsfrühe auf dem Weg zum Trackday. Dort wird man zwar kaum die 296 km/h Höchstgeschwindigkeit erreichen, aber die Beschleunigung voll auskosten m(0-100=2,9s).
Alles für den Fahrer
Der Fahrer sitzt recht hoch auf sehr guten Sportsitzen, der Innenraum ist extrem auf ihn zugeschnitten, der Beifahrer wird durch die Mittelkonsole regelrecht an den Rand gedrängt. Das Cockpit ist mit zwei Displays sehr digital, aber mit einem obenauf thronenden Klimaanlagensteuerung auch sehr analog. Ich bin prinzipiell ein Fan von analoger Fahrzeugbedienung, das Knopferlklavier hier in der Corvette ist aber eher unübersichtlich. Und der Sinn eines annähernd viereckigen Lenk“rades“ erschließt sich mir auch nicht. Es ist mit dem Mikrofaserbezug in Wildlederoptik aber sehr griffig.
Fahrzit:
Die Corvette C8 e-Ray ist ein sehr stimmigen Gesamtpaket. Der V8 harmoniert mit dem E-Motor ebenso gut wie mit dem Achtgang-Doppelkupplungsgetriebe. Bei aller Begeisterung wird sie aber eher eine Seltenheit auf unseren Straßen bleiben. Echte Fans können sie aber auch in Österreich kaufen, bei US-Importeur Peicher in Werndorf bei Graz – ab 238.000 Euro als Coupé (mit abnehmbarem Dachteil) und 247.000 Euro als Cabrio.
Warum?
Brachialbolide mit Seltenheitswert
Gut abgestimmt
Warum nicht?
Recht schwer für einen Sportwagen
Oder vielleicht …
… Stingray ab 160.000 Euro? Oder vielleicht doch einen Porsche 911 GTS?
Kommentare
Willkommen in unserer Community! Eingehende Beiträge werden geprüft und anschließend veröffentlicht. Bitte achten Sie auf Einhaltung unserer Netiquette und AGB. Für ausführliche Diskussionen steht Ihnen ebenso das krone.at-Forum zur Verfügung. Hier können Sie das Community-Team via unserer Melde- und Abhilfestelle kontaktieren.
User-Beiträge geben nicht notwendigerweise die Meinung des Betreibers/der Redaktion bzw. von Krone Multimedia (KMM) wieder. In diesem Sinne distanziert sich die Redaktion/der Betreiber von den Inhalten in diesem Diskussionsforum. KMM behält sich insbesondere vor, gegen geltendes Recht verstoßende, den guten Sitten oder der Netiquette widersprechende bzw. dem Ansehen von KMM zuwiderlaufende Beiträge zu löschen, diesbezüglichen Schadenersatz gegenüber dem betreffenden User geltend zu machen, die Nutzer-Daten zu Zwecken der Rechtsverfolgung zu verwenden und strafrechtlich relevante Beiträge zur Anzeige zu bringen (siehe auch AGB). Hier können Sie das Community-Team via unserer Melde- und Abhilfestelle kontaktieren.