Die Neuauflage des Mazda6 ist rein elektrisch – und im Herzen ein Chinese. Der Mazda6e steht auf einer Plattform des Partners Changan, ohne den die Japaner noch weiter in Elektro-Verzug geraten würden. Das ist Fluch und Segen, wie der Video-Fahrbericht zeigt.
Segen insofern, als der immer leicht ungewöhnliche Hersteller mit dem Mazda6e nun immerhin eine Elektro-Speerspitze ins Programm bekommt, bevor im Jahr 2027 die intern heiß ersehnte eigene E-Plattform fertig wird. Fluch deshalb, weil sich Mazda von liebgewonnenen Traditionen verabschieden muss und vor allem in Sachen Bedienung nicht glücklich sein kann. Zwar haben die Japaner dem Wagen maximal ihren Stempel aufgedrückt, aber man merkt ihm an, dass seine Wurzeln in einem fremden Garten stecken.
Premium-Auftritt und Vollausstattung
Der Auftritt des Mazda6e kommt noch ohne jede Irritation aus – das ist viel wert nach 23 erfolgreichen Jahren mit über vier Millionen verkauften Exemplaren. Die vierte Generation des Viertürers ist schick gezeichnet, die Linie coupéhaft, der Innenraum geräumig. Im Gegensatz zu manch anderem Hersteller ist es Mazda gelungen, die geschlossene E-Auto-Front harmonisch zu gestalten, ohne dass etwas fehlt. Der „Signature Wing“, eine Leuchtspange, welche die gewohnte Chromspange ersetzt, schafft Identität und zeigt beim Laden den aktuellen Akkustand an. Am Heck prangt eine durchgehende Lichtleiste, deren Enden je zwei mittlerweile typische Rundleuchten bilden. Darüber sitzt ein elektrisch ausfahrbarer Spoiler.
Sehr sympathisch: Mazda bezeichnet den 6e nicht als Coupé. Und das, obwohl er sogar rahmenlose Seitenscheiben hat.
Der Innenraum bietet Premium-Ambiente, insbesondere in der von uns gefahrenen Topausstattung mit hellbraunem Interieur und Ledersitzen. Die Haptik des Nappaleders und des Suede-Velourkunstleders der Sitze, aber auch der lederartig verkleideten Flächen ist sensationell. Die Ausstattung im Topmodell unterscheidet sich praktisch nur durch die Farbe im Innenraum, Teilleder und die elektrisch ausfahrende Sonnenblende für das (nicht zu öffnende) Panorama-Glasdach.
Jetzt wird auch Mazda touchy
Was Mazda gegen den Strom bisher verweigert hat, ist nun unausweichlich geworden: Ein 14,6 Zoll großer Touchscreen prangt am Armaturenbrett, alle haptischen Knöpfe und der beliebte Dreh-Drücksteller sind rausgeflogen. Nun wird fast alles per Touch bedient – und das ist alles andere als der Weisheit letzter Schluss. Zwar bietet das Bediensystem viele Möglichkeiten und die Menüführung ist durchaus erlernbar, aber essenzielle Details wie die Bedienung der Klimaanlage lenken unnötig ab.
Dazu kommt, dass der Scheibenwischer nun ebenfalls über den Bildschirm bedient wird. Am Lenkstockhebel kann man nur noch ein einmaliges Wischen oder den Wasserspritzer auslösen. Bei den Testwagen bei der Fahrpräsentation rund um die Europa-Zentrale in Leverkusen war das Scheibenwischermenü auf einer der beiden Favoritentasten am Lenkrad hinterlegt. Das war gut gemeint, aber dadurch aktiviert man ständig versehentlich den Scheibenwischer, weil man beim Rangieren immer wieder mit dem Handballen auf die Taste kommt. Dann muss man erst wieder am Bildschirm suchen, wo man ihn abschaltet. Die Fehlbedienung betrifft übrigens auch die Ruftaste für die Sprachbedienung auf der rechten Seite der Lenkradspeiche.
Sehr gut funktioniert hingegen das neue Google-Navi mit Laderoutenplanung, das bei Weitem besser ist als die früheren Lösungen. Auch das serienmäßige Head-up-Display ist erstklassig, wenn auch etwas hoch platziert.
Viel Platz und zwei Kofferräume
Der Mazda6e misst oberklassenverdächtige 4,92 Meter in der Länge, der Radstand beträgt 2,90 Meter. Im Innenraum kann man sich gut ausbreiten und das Premium-Ambiente genießen. Auf der Rückbank stört lediglich die flache Sitzfläche, weil man die Beine sehr weit aufstellen muss. Im Gegenzug bekommt man aber eine angesichts der flachen Dachlinie (Außenhöhe: 1,49 Meter) überraschend gute Kopffreiheit.
Der Kofferraum ist mit 337 Liter kein Raumwunder. Aber er wird ergänzt durch einen 72 Liter großen Frunk. Mit der optionalen elektrisch schwenkbaren Anhängerkupplung (1400 Euro) lassen sich bis zu 1,5 Tonnen an den Haken nehmen.
Heckantrieb und eine ungewöhnliche Akku-Konfiguration
Angetrieben werden die Hinterräder, und zwar wahlweise mit 190 kW (258 PS) oder 180 kW (245 PS) sowie in beiden Fällen 320 Nm. WLTP-Verbrauch: 16,6 bzw. 16,5 kWh/100 km. Beide Versionen beschleunigen in knapp unter acht Sekunden auf Tempo 100 und werden bei 175 km/h abgeregelt. So weit, so vernünftig.
Der große Unterschied liegt in der Batterie. Dabei handelt es sich im ersten Fall um einen Lithium-Eisenphosphat-Speicher mit einer Bruttokapazität von 68,8 kWh (netto gibt Mazda nicht an), der nach WLTP für 479 Kilometer gut sein soll, bevor er ans Kabel muss. Das ist zwar nicht viel, dafür geht aber das Laden fix: Mit einer maximalen Ladeleistung von 165 kW soll es von 10 auf 80 Prozent nur 24 Minuten dauern! Und das, obwohl das System nur mit 400 Volt arbeitet.
Mehr Reichweite pro Ladung bietet der alternativ erhältliche, mit 480 Kilogramm gleich schwere Nickel-Kobalt-Mangan-Akku. Er nimmt bis zu 80 kWh auf, für 552 Kilometer. Das 10-80-Laden dauern aber fast doppelt so lang: 47 Minuten. Diese Variante empfiehlt sich also – wenn überhaupt - für Menschen, die grundsätzlich über Nacht zu Hause oder den ganzen Tag über in der Firma laden und nicht wirklich lange Fahrten vorhaben.
Prägnantes Fahrverhalten
Das Fahrwerk fühlt sich nach typisch Mazda an. Der 6e ist straff, aber nicht zu hart abgestimmt und liegt gut in Kurven. Mazda-Fans werden sich sofort zu Hause fühlen. Sie werden auch weiterhin jede Bodenunebenheit in der Umgebung erkennen.
Die Lenkung ist sehr leichtgängig, vermittelt aber dennoch ausreichend Gefühl für die Fahrbahn. Leichtgängig bedeutet in dem Fall nicht gefühllos, obwohl ein bisschen mehr Verbindlichkeit dennoch wünschenswert wäre. Es ist aber leicht, schnelle Wechselkurven flott zu durcheilen, der 6e läuft wie auf Schienen. Mit 1962 kg DIN-Gewicht ist er nicht das Leichtgewicht seiner Klasse, bleibt aber immerhin unter 2 Tonnen.
Das Bremsgefühl fällt im Vergleich deutlich ab. Man muss relativ fest aufs Pedal treten und spürt nicht genau, wie viel Bremskraft man bekommt. Man merkt, dass man sich bei Mazda alle Mühe gegeben hat, insgesamt ein typisches Fahrerlebnis zu generieren, steht aber letztendlich doch an der chinesischen Technik an.
Alle Assistenten serienmäßig
Die Elektronikausstattung ist serienmäßig vollständig, nur Matrix-LEDs sind nicht erhältlich. Die 360-Grad-Kamera lässt sich per Lenkradtaste aufrufen, am Display kann man dann unterschiedliche Ansichten abrufen. Lediglich das „gläserne Chassis“ fehlt, wenn man so will.
Der Spurführungsassistent arbeitet allerdings nur bis Tempo 130, der Adaptivtempomat auch darüber hinaus. Die Bedienung teils mit dem Fahrwahl-Lenkstockhebel, teils mit Lenkradtasten ist gewöhnungsbedürftig.
Eine gute Idee sind die sechs „Smart Modes“ des Systems, darunter einer, der den Innenraum nach Verlassen temperiert hält und am Display eine Meldung zeigt, welcher die baldige Rückkehr des Fahrers ankündigt – zur Beruhigung von Passanten bei sommerlicher Hitze, während Kind oder Hund im Fahrzeug verbleiben.
Zum Abschalten von Spurhalteassistent und Tempolimitwarner muss man den Weg ins Menü antreten, einen direkten Zugang gibt es nicht.
Die Preise: Fast-Vollausstattung und Ganz-Vollausstattung
Der Mazda6e ist in den Ausstattungsstufen Takumi und Takumi plus erhältlich, was sozusagen Fast-Vollausstattung und Ganz-Vollausstattung bedeutet. Es ist schon bei Takumi praktisch alles an Bord, über das bereits Genannte hinaus vom Sony-Soundsystem mit 14 Lautsprechern und Subwoofer (und Außenlautsprecher!) über das Ambientelicht mit 64 Farben bis hin zu Sitzheizung/-belüftung vorn.
Was bei Takumi fehlt, ist eine Abdeckung für das Glasdach. Gegen gut 250 Euro kann man lediglich eine faltbare Blende zum Anklipsen bestellen – nicht mehr als eine Notlösung.
Der Basispreis beträgt 43.475 Euro, Takumi plus kostet mindestens 45.425 Euro. Der Aufpreis für den stärkeren Akku mit der lähmend langen Ladedauer beträgt 1600 Euro.
Der Mazda6e ist bereits bestellbar. Marktstart in Österreich ist am 12. September.
Fahrzit:
Wenn 2027 die erste eigene Generation von Elektroautos auf den Markt kommt, soll alles gut werden, sagen sie bei Mazda. Bis dahin soll der Mazda6e die Elektro-Flagge hochhalten, der seine Herkunft allerdings nicht verleugnen kann. Das macht ihn nicht zu einem schlechten Auto, aber einige Bedien-Eigenheiten (Scheibenwischer!) sind lästig und können sogar gefährlich ablenken. Nur weil solche Dinge beim ausgewiesenen Hauptkonkurrenten Tesla noch schlechter gelöst sind, sind diese Dinge auch nicht zu rechtfertigen. So bleibt unterm Strich die wahrnehmbare Bemühung, einen echten Mazda auf die Räder zu stellen, spürbar sind aber auch die Grenzen des Machbaren.
Warum?
Tolle Ausstattung
Premium-Auftritt
Warum nicht?
China-typische Bedienung
Indifferentes Bremsgefühl
Oder vielleicht …
… Tesla Model 3, Hyundai Ioniq 6, BYD Seal
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