Bittsteller Selenskyj

Geldflüsse trocknen aus: Ist die Ukraine verloren?

Ausland
05.12.2023 11:24

Viele US-Republikaner haben sich von der Ukraine abgewendet. Ohne deren Unterstützung kann Joe Biden dem kriegsgebeutelten Staat keine neuen Militärhilfen stellen. Das Weiße Haus schlägt jetzt Alarm - und Wolodymyr Selenskyj rückt zu einem Notfalleinsatz aus.

Das Weiße Haus hat für Kiew kein Geld mehr. Das geht aus einem Brief der Direktorin des nationalen Haushaltsamtes der USA, Shalanda Young, an die Parteispitzen hervor. Sollte es dem US-Kongress nicht bald gelingen, neue Hilfen zu bewilligen, würden die Vereinigten Staaten ihren Verbündeten „in die Knie zwingen“.

Bereits am Jahresende würden die USA keine weiteren Waffen und Ausrüstung für die Ukraine beschaffen oder Ausrüstung aus eigenen Militärbeständen liefern können.

„Gibt keinen magischen Topf“
Ihre Zeilen lassen keinen Raum für Interpretationen, die Einsätze sind enorm: „Es gibt keinen magischen Topf mit Finanzmitteln, um diesen Moment zu überbrücken. Wir haben kein Geld mehr - und fast keine Zeit mehr.“ 

Die bisherigen Hilfszahlungen im Überblick:

US-Präsident Joe Biden hatte bereits im Oktober beim Kongress ein gewaltiges 106-Milliarden-Dollar-Paket beantragt, das unter anderem frisches Geld für die Ukraine, Israel und Vorhaben im indopazifischen Raum vorsieht.

Ein jüngst verabschiedeter Übergangshaushalt enthält keine neuen Mittel für den Kampf gegen Russland. Eine mächtige Gruppe von Trumpisten innerhalb der republikanischen Partei koppelt Zugeständnisse für Kiew an eine Verschärfung der amerikanischen Migrationspolitik, was auch parteiintern zu Reibereien führt. Eine mit den stockenden Verhandlungen vertraute Person berichtete der „Financial Times“ von einer drastischen Erhöhung der Forderungen.

Der Traum einer geschlossenen Grenze
Republikaner träumten beispielsweise von Internierungslagern auf US-Militärstützpunkten und einer längeren Inhaftierung von Kindern. Einer der demokratischen Verhandlungsführer in den Gesprächen, der Senator Chris Murphy aus Connecticut, erklärte am Montag gegenüber „Politico“, dass die Republikaner „im Wesentlichen die Grenze schließen“ wollten.

„Im Moment scheint klar, dass wir ziemlich große Kompromisse und Zugeständnisse machen müssen und die Republikaner nicht bereit sind, uns auch nur annähernd in der Mitte zu treffen“, sagte Murphy.

Aus Youngs Brief geht hervor, dass sich die Biden-Regierung große Sorgen um den weiteren Kriegsverlauf in der Ukraine macht. Ein Ausbleiben der US-Hilfen könnte einen breiteren Konflikt anheizen und europäische Staaten sowie die USA tiefer in einen militärischen Konflikt mit Russland ziehen. 

Gleichzeitig riskiert Biden bei großen Zugeständnissen an die Republikaner progressive Wählergruppen zu verärgern, die ihm im vergangenen Duell mit Donald Trump zum Sieg verholfen haben. Der Ärger über seine Handhabung des Gaza-Krieges ist ohnehin groß.

Selenskyj, der Bittsteller
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj - der auch immer häufiger zu Hause unter Druck gerät - will am Dienstag angesichts des möglichen Ausfalls der existenziellen US-Militärhilfen beim US-Senat um weitere Unterstützung bitten.

Selenskyj wolle die Dringlichkeit weiterer Mittel für sein Land deutlich machen und werde per Video in eine nicht-öffentliche Sitzung der Senatorinnen und Senatoren zugeschaltet, kündigte der demokratische Mehrheitsführer der Parlamentskammer, Chuck Schumer, an.

Schumers Ankündigung im Detail:

Der Demokrat bitte alle, an diesem „wichtigen Briefing“ teilzunehmen. Es gehe darum, direkt von Selenskyj zu erfahren, was auf dem Spiel stehe, erklärte er am Montagabend (Ortszeit) in Washington.

Schumer forderte seine Kollegen auf, „das Richtige zu tun“ und die Freigabe neuer Mittel voranzubringen. Wenn die Ukraine falle, werde der russische Machthaber Wladimir Putin weitermachen, warnte er. Autokraten auf der ganzen Welt würden ermutigt werden. Es gehe letztlich um die Verteidigung der Demokratie.

Für Selenskyj könnte die Situation kaum schlechter sein. Sollte ein neues Paket bewilligt werden, könnte es das letzte für lange Zeit gewesen sein. Trump prahlte bereits damit, den Krieg um die Ukraine innerhalb von „24 Stunden“ beenden zu können, sollte er im nächsten Jahr gewählt werden.

Blockierer auch in der EU
Auch innerhalb der EU hängt ein 50-Milliarden-Paket für die Ukraine fest. Ungarn - wie auch die Slowakei - blockieren die Finanzspritze. Diplomaten zufolge will Viktor Orbán mit seiner Blockade die Freigabe von 13 Milliarden Euro für Ungarn erzwingen, welche die EU im Streit um die Rechtsstaatlichkeit in dem Land eingefroren hat.

Die Slowakei hat hingegen eine bemerkenswerte Kurskorrektur in Sachen Ukraine vorgenommen. Bei den Parlamentswahlen Anfang Oktober wurde der linkspopulistische Robert Fico für eine vierte Amtszeit zurückgeholt. 

Das neue alte Gesicht an der slowakischen Regierungsspitze sicherte sich die Parlamentsmehrheit durch eine höchst umstrittene Koalition mit der ultrarechten prorussischen Slowakischen Nationalpartei (SNS), boykottierte sofort ihm unliebsame Medien, beendete die militärische Unterstützung der Ukraine und kündigte an, weitere EU-Sanktionen gegen Russland zu blockieren.

Selenskyj entgleitet Situation
Dem findigen Kommunikator Selenskyj, dem es in der Vergangenheit immer gelang, politischen Entscheidungsträgern ins Gewissen zu reden, entgleitet die Situation zunehmend. Die Zukunft seines Landes hängt mittlerweile auch davon ab, ob und wie lange migrantische Kinder in den USA eingesperrt werden können.

Die Ukraine wird vor dem Superwahljahr 2024 zum Spielball innenpolitischer Grabenkämpfe - und aktuell sind die Republikaner am Zug.

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