Man gewöhnt es sich ab, politische Wetten abzuschließen, wenn man zu oft daneben gelegen ist. Bei Andreas Babler gestern beim SPÖ-Parteitag in der Grazer Stadthalle hätte ich gewonnen: Auf 88 Prozent hatte ich am Vormittag getippt. Ähnlich gut gelegen war ich auch mit meinem Kommentar-Titel nach dem SPÖ-Kampfparteitag in Linz Anfang Juni. Den hatte ich mit „60:48 für Babler“ betitelt, weil der damalige Traiskirchner Bürgermeister für seine Rede mit 60 Sekunden Applaus belohnt worden war, während der burgenländische Landeshauptmann Hans Peter Doskozil, der vermeintlich klare Favorit auf den SPÖ-Parteivorsitz, nur 48 Sekunden lang akklamiert worden war. Zum Parteichef war nach einer feurigen Babler-Rede und einer eher müden Doskozil-Ansprache aber bekanntlich der Burgenländer ausgerufen worden, erst zwei Tage später erklärte man dann nach Neuauszählung der Delegiertenstimmen Andreas Babler zum wahren Sieger. Gestern war Babler ein wahrer Sieger - aber sind 88,76 Prozent dafür genug?
Bablers Funke. „Wir diskutieren heftig, treten aber nach außen geschlossen auf“, hatte der steirische SPÖ-Landesparteiobmann Anton Lang als Gastgeber in Graz als Devise ausgegeben. Aber man war sich zunächst unsicher - wie es auch Conny Bischofberger in ihrer „Krone“-Kolumne am Samstag zum Ausdruck gebracht hatte, ob Babler noch einmal das Feuer wie in Linz entfachen könne. Ja, er konnte. Zwar fiel die Rede um Nuancen weniger kämpferisch, dafür staatstragender aus als in Linz. Doch brennen ließ er’s, feuerte auf ÖVP-Kanzler Nehammer und dessen sommerliche Aussagen („dieses Politik-Verständnis hat 2023 keinen Platz mehr“), gegen FPÖ-Chef Herbert Kickl, den er unter anderem als Zirkusdirektor, Pferdedompteur und Taferlaufhänger abqualifizierte. Mit ihm werde es nicht wie derzeit eine „Ellbogen-Politik“, sondern eine mit Herz geben. Babler beschwor den Kreiskyschen „österreichischen Traum“, versprach vieles und erntete am meisten Applaus, als er in Aussicht stellte, jetzt würden alle, vor allem die Journalisten wieder fragen, „wer soll das alles bezahlen?“ Um zu antworten: „Es ist unmoralisch, diese Frage zu stellen“. Am Ende seiner Rede klatschten die Delegierten diesmal fast drei Minuten. Dennoch konnte er, wie das 88,76-Prozent-Ergebnis zeigt, nicht alle mit seinem Feuer anstecken. Er mag zwar Skeptiker in der Partei überzeugt haben, die Kritiker aber längst nicht. Die kann Babler höchstens mit Wahlerfolgen gewinnen. Genau solche lassen aktuelle Umfragen allerdings nicht erwarten. Bablers Funke - der muss bei den Wählern erst zünden. Sonst verglüht auch dieser Parteichef.
Kommen Sie gut durch den Sonntag!
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