Leonore Gewessler, ehemalige grüne „Super-Ministerin“ und jetzige Chefin der kleinsten Oppositionspartei, trat als Erste zum ORF-Sommergespräch an. Sie sprach über Machtverlust, neue Rollen und die Verfehlungen der vergangenen sowie der aktuellen Regierung. Das Ausmaß der grünen Selbstkritik? Überschaubar. Aufhorchen ließ zumindest die Naturkulisse am Küniglberg: mit einem Apfel, der mitten im Gespräch vom Baum fiel ...
Erst vor sechs Wochen hat Leonore Gewessler die grüne Parteispitze von Ex-Vizekanzler Werner Kogler übernommen. „Ich bin überzeugt, wir sind überzeugt, mit großer Zuversicht, dass das sehr, sehr gut werden wird mit dir“, streute ihr der Vorgänger bei der Übergabe Rosen. Gut, ja, aber Gutmensch? „Ich glaube schon, dass ich ein guter Mensch bin“, wich Gewessler da im krone.tv-Sommergespräch mit Katia Wagner gekonnt aus. Und im Gespräch mit ORF-Innenpolitikchef Klaus Webhofer?
Da startete man gleich mit dem Machtverlust der Grünen: „Ja, es war eine andere Situation, ein Privileg, in der Regierung zu sein.“ Aber auch die Rolle der Parteichefin fülle sie mit voller Überzeugung aus. Ob nun mehr Zeit bleibe? Nein. „Die Aufgabe ist groß.“
Was ist größer – Ministerin oder Parteichefin?
Mit Klima, Verkehr und Infrastruktur hatte Gewessler ein mächtiges Ressort mit viel Einfluss und Geld inne. Ist das gewichtiger als der Job der Parteichefin? „Den Schritt in die erste Reihe überlegt man sich.“ Aber: Die Grünen seien die einzige konstruktive Oppositionspartei, die FPÖ wolle „alles nur kurz und klein schlagen“.
Ich habe nicht Finanz-, sondern Klimapolitik gemacht.
Gewessler über die schlechte Wirtschaftslage
Die Grünen müssten darauf hinweisen, wenn Dinge schieflaufen, aber auch konstruktiv mitarbeiten. Geht das, wenn die ÖVP auf den Ex-Koalitionspartner schlecht zu sprechen sei? Das sei mehr die Wahrnehmung der Öffentlichkeit. „Es gibt viele in der ÖVP, mit denen ich eine gute Basis habe und ein Bier trinken gehe.“
„Respekt, du losst di ned umblasen“
Man müsse sich, angesichts der verlorenen Wahlen fragen, warum das Bild der Grünen als Verbotspartei bei den Menschen so verankert sei. Das solle sich nun ändern: „Ich habe Zeit, rauszugehen, mit den Leuten zu reden.“ Da bekomme Gewessler zu hören: „Respekt, du losst di ned umblasen.“
Sie selbst sieht sich als kompromissfähig, ein Bild, das sich nicht mit diversen Umfragen deckt. Klimaticket und Co. – das alles seien Beispiele aus der schwarz-grünen Koalition, die nur durch Kompromisse umgesetzt werden konnten, so die Grünen-Chefin.
Konfrontiert mit Österreich als Teilzeitrepublik (Platz 2 in der EU) wiederholt Gewessler, man dürfe Frauen nicht beschämen, wie der Wirtschaftsminister, sondern Rahmenbedingungen schaffen: 50.000 neue Kinderbetreuungsplätze, Mehrstunden müssten in reguläre Anstellungsverhältnisse umgewandelt werden. Dem Einwand, dass es in Wien genügend Kinderbetreuungsplätze gäbe und die Teilzeitquote dennoch hoch sei, weicht Gewessler aus.
Wer ist schuld an den Schulden?
Haben die Grünen zu der desaströsen Wirtschaftslage im Land beigetragen, will Webhofer dann noch wissen. „Ich lasse mir nicht umhängen, dass wir 2022 so erpressbar waren von russischem Gas“, wird Gewessler erstmals emotional. Die Inflation sei nicht eingebremst, Förderungen mit der Gießkanne worden, fährt der Moderator fort. „Wir haben uns in der Regierung entschieden, die Kaufkraft zu stützen. Aber ja, rückblickend hätte man einiges früher gebraucht, etwa die Mietpreisbremse“, so Gewessler. In der Verantwortung sieht sie jedoch nicht sich selbst oder die Grünen – sondern den Finanzminister. „Ich habe nicht Finanz-, sondern Klimapolitik gemacht.“
Auf Koglers Spuren bei Asyl
Bei der Migrationspolitik gehe es den Grünen um Menschlichkeit und Ordnung. „Da verdienen sich die Menschen eine Deutlichkeit auch von den Grünen.“ Auch Werner Kogler hatte schon gefordert, dass Menschen, die hier leben, sich an unsere Gesetze und Werte halten – vor genau einem Jahr, ebenfalls im ORF-Sommergespräch.
Den Hebel ansetzen müsse man bei den Kindern, Gewessler will mehr Unterstützung an den Schulen. Vor allem Mittel für Deutschförderklassen. „Wir haben jetzt einen Bildungsminister, der den Bildungsnotstand in Wien selbst verursacht hat“, greift Gewessler Wiens ehemaligen NEOS-Bildungsstadtrat Christoph Wiederkehr an.
Werden die Grünen beim Klimagesetz zustimmen oder Bedingungen stellen? Gewessler lässt sich – wie oft in dem Gespräch – Zeit mit der Antwort. Und bleibt am Ende vage. „Man muss kritisch sein, wenn Dinge in die falsche Richtung laufen, aber auch verhandeln.“
Das Gesetz zur Messenger-Überwachung klinge „geil“, aber in der Realität sei die Einschränkung der Überwachung nicht so einfach. Die ehemalige Justizminister Alma Zadić prüfe aktuell den Entwurf. Man werde kritisch bleiben.
„Frieden muss verteidigt werden“, plädiert Gewessler zum Ende des Gesprächs hin durchaus emotional und nicht ganz dem pazifistischen Gründungsmotiv der Grünen folgend für ein verteidigungsfähiges Europa. „Es bricht mir das Herz, wenn Jugendliche in Oberösterreich sich fürchten, dass der Krieg zu uns kommt“, so die Grüne zur Situation in der Ukraine. „Wir leben heute in einer anderen Welt und darum tragen wir die Aufstockung der Mittel für das Bundesheer mit.“
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