Soziologin und Sexualpädagogin Barbara Rothmüller über sexuelle Qualitätsstandards in der ersten neuen Folge von „Sex Education“.
Während alle (angeblich) geilen Sex und einen Orgasmus nach dem anderen haben, schafft er es nicht, die Geliebte zum Kommen zu bringen. „Bin ich schlecht im Bett?“, fragt sich Dex verunsichert, ein Jugendlicher in der ersten Folge der dritten Staffel der Teenager-Serie „Sex Education“, die letzte Woche bei Netflix angelaufen ist. Dex selbst hat kein Problem, beim (wie er es nennt) „normalen Ficken“ einen Orgasmus zu haben. Aber seine Freundin wirkt nicht so richtig begeistert. Unbefriedigt vom fantasielosen rein-raus-Sex, schickt sie ihn auf die Suche nach Sextipps, damit Dex ihr ein besserer Liebhaber wird.
Dabei gerät er leider an den falschen Sexualberater, der ihm weismachen will, guter Sex hätte mit der Penisgröße zu tun. Eine solche Antwort kann natürlich nur aus einer Quelle stammen: Pornos. Andere Jugendliche scheinen viel besser im Bett zu sein. Otis beispielsweise wird von seiner Geliebten beim heimlichen Sex im Auto attestiert, er sei gut in Sex. Allerdings will sie sich nicht öffentlich mit ihm sehen lassen, weil sie attraktiv und er ihr peinlich ist. Was tun?
Zuerst einmal: Eine realistische Sicht auf Sexualität entwickeln. Was ist „guter Sex“ überhaupt? Letztlich bedeutet das für jeden Menschen etwas anderes. Ein Orgasmus ist natürlich für viele Menschen Teil eines „guten“ Sexlebens. Aber nicht für alle ist das das einzige Qualitätskriterium. Zum Beispiel: Für Otis sind heimliche Sextreffen (erstmal) ausreichend geil, auch ohne Gefühle. Andere Menschen aber würden Sexualität nicht befriedigend finden, solange dem Sex die Intimität fehlt. Sie genießen die intensive emotionale Nähe mindestens so sehr wie die sexuelle Erregung. Auch was jemand als gute Berührungen empfindet, als gutes Timing oder als guten Kontrollverlust, ist sehr unterschiedlich. Und weil „guter Sex“ von Menschen so unterschiedlich wahrgenommen wird, ist man besser misstrauisch, wenn einem jemand erzählen will, die besten Tipps für guten Sex mit jedem Partner zu haben.
Ein Tipp ist auf jeden Fall falsch: die Penisgröße. „Wie groß ist ein durchschnittlicher Penis?“, ist eine der häufigsten Fragen von männlichen Jugendlichen überhaupt an Sexualpädagogen. Dabei ist die Antwort darauf irrelevant, zumindest für guten Sex. Bei Menschen mit Klitoris lassen sich mit verschiedenen Praktiken das dichte Netz an Nerven rund um die Klitoris stimulieren. Was und wie genau es sich dabei gut anfühlt, kann nur die Person selbst sagen. Als Liebhaber oder Liebhaberin der Klitoris braucht es für einen Orgasmus meist etwas Übung. Und Geduld.
Menschen mit Penis, Hoden und Prostata haben ihr eigenes System an sexuell stimulierbaren Zonen, und auch hier sind Liebhaberinnen und Liebhaber gut beraten, erstmal zu fragen, was die Person gut findet - oder ausprobieren mag. Es ist dann auch genau diese Kommunikationsfähigkeit, die die attraktive Ruby in „Sex Education“ dazu verführt, mit Otis weiterhin Sex zu haben. Weil er - im Gegensatz zu allen anderen Jungs - nachgefragt hat, ob (und wie) es sich für sie gut anfühlt.
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