Unsichtbares Handicap

Nach Corona-Infektion den Geruchssinn verloren

Wissenschaft
10.07.2020 09:16

Viele Menschen, die von der Lungenkrankheit Covid-19 genesen sind, berichten, nicht mehr riechen zu können. Kein Kaffeeduft in der Früh, kein Geruch von frisch gemähtem Gras - der Verlust des Geruchssinns (Anosmie) verändert die Lebensqualität, ist ein unsichtbares Handicap und psychisch schwer zu ertragen: „Nach zwei Monaten fängt es an, zum Problem zu werden. Nach sechs Monaten fühlt man sich ganz allein, wie unter einer gläsernen Glocke. Das hat einen psychologischen Aspekt, mit dem sehr schwer zu leben ist.“

Bei manchen könnte es sich sogar um einen langfristigen Geruchsverlust handeln. „Was ich am meisten vermisse, ist der Geruch meiner Söhne, wenn ich sie küsse, der Geruch des Körpers meiner Frau, das Parfüm meines Vaters“, sagt Jean-Michel Maillard, Präsident der französischen Betroffenen-Gruppe anosmie.org, der seinen Geruchssinn bei einem Unfall verlor. „Anosmie versagt Ihnen die Gerüche des Lebens, es ist eine Qual.“

Seines olfaktorischen Sinnes werde man sich erst bewusst, wenn man ihn verliere, betont er. Neben angenehmen Düften wie Kaffee, Heu oder „dem beruhigenden Duft von Seife auf der Haut“ könnten Menschen mit Anosmie, also einem fehlenden Geruchssinn, auch den Rauch bei einem Brand oder das Gas bei einem Leck nicht mehr wahrnehmen.

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Wenn Menschen ihren Geruchssinn verlieren und nicht zurückbekommen, stellen wir eine echte Veränderung der Lebensqualität und ein nicht unerhebliches Maß an Depression fest.

Alain Corre

Veränderung der Lebensqualität
„Wenn Menschen ihren Geruchssinn verlieren und nicht zurückbekommen, stellen wir eine echte Veränderung der Lebensqualität und ein nicht unerhebliches Maß an Depression fest“, sagt Alain Corre, HNO-Arzt an der Pariser Hopital-Fondation Rothschild. Auch das Essen sei eine ganz andere Erfahrung ohne den Geruchssinn, der eine zentrale Rolle beim Wahrnehmen von Geschmacksnuancen spielt.

Sehr schwer damit zu leben
Problematisch wird es, wenn der Zustand anhält: „Den Geruchssinn für einen Monat zu verlieren, ist nicht schlimm“, erzählt Maillard aus eigener Erfahrung. „Nach zwei Monaten fängt es an, zum Problem zu werden. Nach sechs Monaten fühlt man sich ganz allein, wie unter einer gläsernen Glocke. Das hat einen psychologischen Aspekt, mit dem sehr schwer zu leben ist.“

Krankheit kann Geruchsneuronen zerstören
Für Anosmie gibt es laut Corre Dutzende Ursachen, darunter Nasenpolypen, chronische Nasenschleimhautentzündung, Diabetes, Alzheimer und Parkinson. Nun komme das neuartige Coronavirus hinzu. Ersten Zahlen zufolge erholen sich laut Corre etwa 80 Prozent der Covid-19-Patienten vom Geruchsverlust innerhalb eines Monats, oft sogar in acht bis zehn Tagen. Bei anderen kann die Krankheit jedoch die Geruchsneuronen zerstören. Die gute Nachricht ist, dass sich diese Nervenzellen in der Nasenhöhle regenerieren können.

Olfaktorische Umerziehung möglich
Zur Untersuchung von Therapiemöglichkeiten starteten die Pariser Krankenhäuser Rothschild und Lariboisiere eine Studie mit dem Namen CovidORL. Eine auf Cortison basierende Nasenspülung habe sich bei der Behandlung von Anosmie als wirksam erwiesen, sagt Corre. Möglich sei auch eine olfaktorische Umerziehung, um die Verknüpfungen zwischen Gedächtnis und Geruch zu stimulieren. Dazu sollen Betroffene fünf Lieblingsgerüche wie Zimt oder Thymian auswählen und zwei Mal täglich intensiv einatmen und betrachten. Maillard absolvierte das Programm im vergangenen Winter mit vier Düften. „Heute habe ich zehn davon“, sagt er, „darunter Fisch, Zigaretten und ätherisches Rosenöl. Ich habe sogar ein Parfüm gefunden, das ich riechen kann.“

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