Experte im Interview

Ersatzdrogen – “Frage von Leben und Tod!”

Kärnten
19.06.2010 15:38
Die "Krone"-Berichte über das Kärntner Drogenprogramm, das Süchtige mitunter lebenslänglich mit Ersatzstoffen versorgt, hat für viel Wirbel gesorgt. Am Montag findet dazu ein Suchtgiftgipfel statt, bei dem auch Dr. Wolfgang Wladika dabei ist. Der Jugendpsychiater und Drogenexperte verteidigt die Substitution – fordert aber dringend mehr Entzugsmöglichkeiten: "Es wird immer schlimmer. Die jüngsten Süchtigen sind erst zwölf!"

"Krone": Das Substitutionsprogramm, in dem 350 Kärntner sind, wird derzeitig heftig kritisiert. Viele sagen, es sei keine Lösung, Süchtigen auf Jahre, Jahrzehnte Ersatzdrogen zu geben.
Wolfgang Wladika: Was wäre die Alternative? Diese Menschen sterben zu lassen, zu sagen, gut, die Gesellschaft braucht sich nicht darum zu kümmern?

"Krone": Das ist sehr drastisch…
Wladika: …aber die Realität. Glauben Sie mir, wir schauen uns jeden genau an, der von uns in der Drogenambulanz auf Substitution gesetzt wird. Jede Entscheidung wird im Team getroffen. Für Betroffene geht es da oft wirklich um Leben oder Tod.

"Krone": Aber Substitution sollte doch ein Weg aus der Sucht sein – und nicht in eine weitere lebenslängliche Abhängigkeit hinein.
Wladika: Stimmt. Aber es geht eben nicht immer. Wer süchtig ist, leidet an einer schweren Krankheit, die niemals geheilt werden kann – nur bekommen es einige in den Griff, andere leider niemals.

"Krone": Sie bezeichnen es als eine Krankheit…
Wladika: …was es auch ist. Das muss die Gesellschaft einmal akzeptieren. Das ist nichts Selbstgewähltes, nichts, woran der Betroffene schuld ist. Wir wissen mittlerweile sogar, dass Sucht zu 50 Prozent vererbbar ist.

"Krone": Aber nicht jeder ergibt sich der Sucht.
Wladika: Weil er andere Möglichkeiten hat, sich Glückskicks zu holen – wir sagen dazu Copings. Wenn es Ihnen nicht gut geht, reden Sie vielleicht mit einer Freundin oder machen Sport. Ein Süchtiger braucht Drogen, egal, ob Nikotin, Alkohol, Heroin.

"Krone": Sie verschreiben Ersatzdrogen. Wo ist der Unterschied zu Heroin?
Wladika: Es wirkt anders auf Körper und Geist – und wir haben ein kontrolliertes Programm, das Beschaffungskriminalität und die Ansteckungsgefahr durch verseuchte Spritzen verhindert. Bedenken Sie, dass wir jetzt schon bei Drogensüchtigen in Kärnten eine Hepatitis-Durchseuchung von 70 Prozent haben!

"Krone": Wie ist es denn um die Drogenszene in Kärnten überhaupt bestellt?
Wladika: Es wird immer schlimmer – und es fängt früher an. Schon Kinder greifen zu Drogen. Zwölfjährige rauchen, trinken, nehmen auch harte Sachen. Es wird gesnifft und gespritzt. Wir stellen fest, dass für viele schon das Spritzen allein ein Kick ist. Wer keine Drogen hat, spritzt auch Wasser oder sogar Salz.

"Krone": Was hilft dagegen?
Wladika: Therapien. Da fordere ich dringend mehr Möglichkeiten – was Langzeitbetreuung anlangt, aber auch Entzug. Heuer haben wir erstmals lange Wartezeiten für Entzugsbetten bei Jugendlichen. Das ist arg, wenn man einen 17-Jährigen, der endlich wirklich aufhören will, sagen muss, dass er erst dran ist, wenn der vor ihm fertig ist.

"Krone": Fehlt das Geld dafür?
Wladika: Wie mit Sucht umgegangen wird, ist immer eine politische Entscheidung. Denken Sie ans Rauchen – Einstiegsdroge Nummer 1 bei Jugendlichen. Es kifft kaum einer, der vorher nicht raucht. Aber das Thema will bei uns keiner so richtig anpacken. In anderen Ländern funktioniert das sehr wohl.

"Krone": In anderen Ländern gibt es auch den Zwangsentzug.
Wladika: Heikel. Die Erfahrung lehrt, dass es nichts bringt. Wenn einer nicht will, dann geht gar nichts. Aber es gab eine Situation, da habe ich selbst darüber nachgedacht – als eine Schwangere weiter Drogen nahm. Das Kind kam schwer behindert zur Welt. Aber wir durften da nichts unternehmen.

von Kerstin Wassermann, "Kärntner Krone"

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