Schweden-Beitritt

Orbán tritt auf NATO-Bremse – was steckt dahinter?

Ausland
26.09.2023 09:16

Viktor Orbán tritt in Sachen NATO-Erweiterung deutlich auf die Bremse. Der ungarische Ministerpräsident sehe keinen Grund für eine Aufnahme Schwedens in das Verteidigungsbündnis. Budapest schielt offenbar auf politische Zugeständnisse, die bereits dem türkischen Staatspräsidenten ein vorläufiges „Ja“ zu Stockholm entlockten. 

Orbáns jüngste Äußerungen im ungarischen Parlament lassen für Schweden nichts Gutes erahnen. Eine schnelle Ratifizierung durch Ungarn scheint vom Tisch: „Ich frage mich, ob es etwas Dringendes gibt, das uns dazu zwingen würde, Schwedens Kandidatur zu ratifizieren“, erklärte der ungarische Regierungschef am Montag in Budapest genüsslich, als würde in Europa kein Krieg toben.

Schweden hat etwas, das Putin gerne hätte
Die Sicherheit Schwedens stünde aus seiner Sicht nicht zur Debatte. Dass Wladimir Putin im vergangenen Jahr immer wieder russische Jets und Aufklärungsflugzeuge den schwedischen Luftraum verletzen ließ, blendet der ungarische Autokrat dabei gekonnt aus. Schweden hat etwas, dass die Militärstrategen im Kreml gerne hätten: die Insel Gotland.

Wer Gotland kontrolliert, kontrolliert auch die Ostsee. Ein Beitritt Schwedens wäre daher besonders für die baltischen Staaten wichtig, sind sich Experten sicher.

Orbán, der innerhalb der EU als besonders Putin-freundlich gilt, will in nächster Zeit dennoch leisere Töne aus Stockholm hören. Die ständige Kritik zu Ungarns Verstößen gegen die Rechtsstaatlichkeit ärgern ihn. Oder wie Orbán es nennt: „Verunglimpfungen.“ Ungarn habe das Recht, „zuerst Respekt von Schweden einzufordern“, bevor es sich „auf eine positive Entscheidung“ bezüglich seiner Nato-Mitgliedschaft vorbereite.

Schulvideo sorgt für Aufregung
Ungarns Kritik an Schweden hatte sich in den vergangenen Wochen verschärft, nachdem ein in Schulen gezeigtes Video aus dem Jahr 2019 aufgetaucht war, in dem von einem „demokratischen Niedergang“ Ungarns die Rede ist. In einem Brief warf der ungarische Außenminister Péter Szijjártó seinem schwedischen Amtskollegen vor, dass in Schulen „schwere Anschuldigungen und Falschinformationen“ verbreitet würden.

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Besonders die baltischen Staaten würden von Schwedens Beitritt profitieren.

Der deutsche Verteidigungsminister Boris Pistorius spricht von einer „historischen“ Entscheidung. (Bild: APA/AFP/ANDRE PAIN)

Boris Pistorius, Verteidigungsminister Deutschlands

Anfang Juli sicherte Orbán bei einem Besuch in Wien noch zu, dass die ungarische Regierung im Einklang mit der Türkei agiere. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan erklärte sich mittlerweile bereit, sein Veto aufzuheben, betonte jedoch, dass die Ratifizierung durch sein Land nicht vor Oktober erfolgen werde.

Schweden hatte sich im Mai 2022 um eine NATO-Mitgliedschaft beworben. Ein Beitritt scheiterte bisher an der Ablehnung der Regierungen in Ankara und Budapest, was bei westlichen Partnern mittlerweile für Unmut sorgt.

„Wir brauchen Fortschritte im Hinblick auf den Beitritt Schwedens zur NATO. Besonders die baltischen Staaten würden von Schwedens Beitritt profitieren“, sagte der deutsche Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) am Montag in der lettischen Hauptstadt Riga. Estland, Lettland und Litauen würden dadurch an strategischer Tiefe gewinnen. Im Ernstfall könnte der Westen besser Hilfe und Nachschub bereitstellen.

Erdogan ließ sich „Ja“ teuer bezahlen
In Budapest ist man sich hingegen „nicht mehr sicher“, ob der Beitritt überhaupt ratifiziert wird. Hier wird wohl noch einiges an Überzeugungsarbeit geleistet werden müssen. Erdogans „Ja“ zu Schweden kam mit vielen Zugeständnissen einher. Unter anderem wurde von US-Präsident Joe Biden ein Rüstungsdeal zugesagt, der immer noch im US-Kongress festhängt.

Ausgerechnet jener Politiker, der den Deal besonders leidenschaftlich bekämpfte, hat sich jetzt wohl selbst aus dem Weg geräumt. Der Demokrat Bob Menendez sieht sich mit Rücktrittsforderungen konfrontiert, nachdem am vergangenen Freitag gegen ihn und seine Ehefrau Anklage erhoben wurde.

Der 69-jährige US-Senator Bob Menendez ist häufiger in den Schlagzeilen als ihm lieb sein dürfte. (Bild: AP)
Der 69-jährige US-Senator Bob Menendez ist häufiger in den Schlagzeilen als ihm lieb sein dürfte.

Die Staatsanwaltschaft wirft dem Senator unter anderem vor, die ägyptische Regierung begünstigt und im Gegenzug persönliche Vorteile erlangt zu haben. Ermittler hatten etwa 500.000 US-Dollar in bar gefunden - versteckt in Umschlägen und in Jacken des Senators.

Auch von einer „Menge Gold“ und einem „Luxusauto“ war die Rede. In der Anklageschrift heißt es, Menendez und seine Frau hätten sich von Geschäftsleuten bestechen lassen. Politische Beobachter meinen, dass nun wieder Schwung in den Verkauf von F-16-Kampfjets an die Türkei kommen könnte und aus Erdogans vorläufigem „Ja“ ein definitives werden könnte.

Was will Ungarn?
Was Orbán mit seiner Verzögerungstaktik bezweckt, kann bisher nur gemutmaßt werden. Der ungarische Autokrat könnte ähnlich wie Erdogan versuchen, völlig voneinander unabhängige Prozesse zu vermischen. Ein Beispiel: Die EU hält aktuell Fördermittel in Milliardenhöhe zurück, die Ungarn auf dem Papier zustünden. Begründet wird das unter anderem mit dem systematischen Abbau demokratischer Grundrechte, der Beschneidung der Justiz und der Freiheit der Wissenschaft. Ungarn ist hoch verschuldet und kämpft innerhalb der EU mit der höchsten Teuerungsrate.

Fest steht nur: Schwedens Beitritt zur NATO, und damit auch die Sicherheit Europas, liegt weiterhin in den Händen einzelner Personen.

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