Rebellen in Tripolis

Fieberhafte Jagd auf “unsichtbaren” Gadafi

Ausland
24.08.2011 19:44
Nach dem Fall der wichtigsten Gadafi-Festung in Tripolis haben die libyschen Rebellen ihre Jagd auf den Machthaber intensiviert. Viertel für Viertel durchkämmten Aufständische am Mittwoch die von ihnen kontrollierten Stadtteile nach dem untergetauchten Revolutionsführer und seinen Kämpfern. In am Dienstagabend verbreiteten Audiobotschaften hatte Gadafi erklärt, dass er sich weiter in Tripolis aufhalte (siehe Infobox).

Für die Übergangsregierung ist es bereits der Beginn einer neue Ära. Die Rebellenregierung legte einen Zeitplan für das Libyen nach Gadafi vor und kündigte Wahlen binnen acht Monaten an. Der Chef des Nationalen Übergangsrats der Rebellen, Mustafa Abdul Jalil, sagte laut der italienischen Zeitung "La Repubblica", er wünsche sich eine "demokratische Regierung" und eine "gerechte Verfassung". Gadafi und seiner "Bande" solle in Libyen ein "fairer Prozess" gemacht werden, sagte Jalil. Seine Zeit sei bereits vorbei, auch wenn er noch nicht festgenommen worden sei.

In Tripolis sichern die Aufständischen mit Checkpoints und systematischen Kontrollen ihr Territorium. Nach Angaben der Rebellen lauern Heckenschützen rings um das am Vortag eroberte Gadafi-Hauptquartier Bab al-Aziziyah. In mehreren Vierteln dauern die Gefechte an, zwei oder drei Stadtteile werden angeblich noch von Kämpfern Gadafis kontrolliert. Auch am internationalen Flughafen in Tripolis sowie im südwestlichen Vorort Al-Hadaba al-Chadra gibt es weitere Gefechte. Ein Sprecher der Aufständischen sagte jedoch, Tripolis sei "zu 90 bis 95 Prozent" in den Händen der Rebellen.

Gadafi kämpft notfalls "bis zum Märtyrertod"
Nach der Erstürmung seines Hauptquartiers hatte Gadafi in der Nacht zum Mittwoch in einer Audiobotschaft einen Kampf "bis zum Märtyrertod oder Sieg" angekündigt. Wo er sich versteckt, ist weiter unklar. Die USA vermuten ihn noch in Libyen. "Es gibt keinen Hinweis darauf, dass er das Land verlassen hat", sagte ein Sprecher des Weißen Hauses, Josh Earnest. Nach Informationen des Nachrichtensenders Al-Jazeera hat die Übergangsregierung ein Kopfgeld von umgerechnet 1,14 Millionen Euro auf Gadafi ausgesetzt.

Ein Erfolg gelang den Rebellen mit der Befreiung des Hotels Rixos, in dem ausländische Journalisten, Politiker und Diplomaten von Gadafi-Truppen festgehalten worden waren. Nach Tagen der Angst durften die Ausländer das Hotel am Mittwoch verlassen. "Es war ein Alptraum", berichtete CNN-Reporter Matthew Chance von der Gefangenschaft. Vor dem Hotel war noch in der Nacht zum Dienstag der vermeintlich festgenommene Gadafi-Sohn Saif al-Islam aufgetreten.

Regierungstruppen greifen Rebellen-Hochburg Misrata an
Laut Al-Jazeera griffen Regierungstruppen in der Nacht die Rebellen-Hochburg Misrata mit Scud-Raketen an. Die Aufständischen rückten inzwischen weiter auf Gadafis Heimatstadt Sirte vor. Um blutige Kämpfe zu vermeiden, laufen Verhandlungen zur friedlichen Übergabe, verlautete aus der Küstenstadt. Die US-Regierung versicherte unterdessen, dass alle im Land vorhandenen Massenvernichtungswaffen gesichert seien. Nach Angaben des Pentagon kontrollierte das Gadafi-Regime zuletzt rund zehn Tonnen Senfgas. Die Vorräte sollen unter Satellitenüberwachung stehen und vor Zugriff sicher sein.

Allein beim Kampf um Tripolis seien bisher 435 Menschen getötet und mehr als 2.000 verletzt worden, sagte ein Mitarbeiter des Zentralkrankenhauses der Nachrichtenagentur dpa. Laut Hilfsorganisationen gibt es inzwischen große Engpässe bei der medizinischen Versorgung und dem Nachschub an Lebensmitteln. Die Kämpfe verhindern auch, dass Ausländer aus Tripolis über See in Sicherheit gebracht werden können. Ein von Malta entsandtes Schiff sei am Sonntag beschossen worden, als es versucht habe, in den Hafen von Tripolis einzulaufen, sagte ein Sprecher der maltesischen Regierung.

Rebellenrat will nach Bengasi umziehen - kann es aber nicht
Angesichts der Kämpfe konnte der Nationale Übergangsrat der Rebellen bisher nicht von Bengasi nach Tripolis umziehen, um eine libysche Übergangsregierung zu bilden. Vertreter des Übergangsrates führten am Mittwoch Gespräche mit Vertretern der Europäischen Union, der USA und anderen Staaten über die Zukunft Libyens. Laut BBC baten sie um die Freigabe von 2,5 Milliarden Dollar eingefrorener Gelder des Gadafi-Regimes. Der britische Außenminister William Hague kündigte an, mit internationalen Partnern zu prüfen, wie das Vermögen zum Wohle des libyschen Volkes eingesetzt werden könne. Die US-Regierung sicherte zu, noch in dieser Woche eine Milliarde Dollar freizugeben. Am 1. September soll in Paris eine Konferenz "zugunsten des freien Libyen" stattfinden, kündigte die französische Regierung am Mittwoch an.

Chinas Außenminister Yang Jiechi sprach sich in einem Telefonat mit UN-Generalsekretär Ban Ki-Moon für eine führende Funktion der Vereinten Nationen beim Wiederaufbau in Libyen aus. Er habe sich zudem mit den Regierungen der anderen BRICS-Staaten (Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika) auf ein gemeinsames Engagement in Libyen verständigt.

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