Prunk, PS, Preziosen

Monterey Car Week: Petrolheads Paralleluniversum

Motor
28.08.2022 11:00

Es hat ein bisschen was von Endzeit-Party: Während die Autobranche auf Elektro umschwenkt und bisweilen sogar ein bisschen Vernunft erkennen lässt, feiern die Petrolheads in Pebble Beach, als wäre es das letzte Mal. Dabei ist ein Ende der Vollgasfeier gar nicht zu befürchten.

(Bild: kmm)

Jason hat heute nicht die beste Laune. Denn es ist für ihn „der“ Sonntagmorgen im Jahr und nur einen Steinwurf entfernt treffen sich die edelsten Oldtimer der Welt zu peniblen Blechbeschau und hoffen beim Concours d’Elegance auf den Ritterschlag der Juroren. Doch statt bei der Dawnpatrol zu stehen und vielen Hundert Klassikern beim Weg aufs 18. Green zuzuschauen, hetzt er durch den Frühstücksraum im Inn At Spanish Bay und schenkt den Gästen Kaffee nach, die sich hier für 1000 Dollar aufwärts pro Nacht eingebucht haben, um mit der „Monterey Car Week“ die vielleicht größte PS-Party der Welt zu feiern.

Denn was vor über 70 Jahren mal als reiner Oldtimer-Concours begonnen hat, ist mittlerweile eine gewaltige Autoshow geworden, die alle Facetten der Fahrzeugwelt bedient, sagt Jason. Und der muss es wissen. Schließlich kellnert er nicht nur im „Inn“, sondern ist auch auf der Monterey Peninsula eine gute Stunde südlich von San Francisco aufgewachsen und hat miterlebt, wie Jahr für Jahr noch ein weiterer Concours aufgelegt wurde, wie ein Städtchen nach dem anderen eine PS-Parade auf seiner Mainstreet veranstaltet, wie immer mehr Auktionshäuser immer größere Flotten an exotischen und exklusiven Autos verkaufen und wie Klub um Klub zur Ausfahrt startet.

Monterey als neues Genf
Und wie ein Hersteller nach dem anderen das Event als Premierenbühne entdeckt. Erst recht, nachdem die Pandemie die meisten klassischen Automessen vollends aus dem Kalender gefegt hat. „Have you heard the biggest news?“, fragt Jason deshalb aufgeregt, als er den nächsten Caffè Latte serviert: „They have cancelled Geneva“, sagt der Kellner und die Nachricht von der Absage des Genfer Salons klingt ein bisschen nach Schadenfreude. Denn dann, so die einhellige Meinung aller hier auf der Halbinsel, wird das Schaulaufen auf dem berühmten 17-Miles-Drive im nächsten Jahr noch bunter und üppiger.

Schon heute schießt die Industrie hier aus vollen Rohren. Begeisterung statt Bedenken, Faszination statt Kritik: Wo, wenn nicht hier, kann man die Liebe zum Auto ungehindert ausleben und sich mal wieder etwas Leidenschaft leisten, so die einhellige Meinung von Managern, Medien und all den vielen Auto-Afficionados, die sich hier über alle Marken- und Klassengrenzen hinweg der gemeinsamen Liebe zum heißen Eisen erfreuen.

Der nobelste Autosalon der Welt
Die heizen alle Hersteller, die auch nur einen Hauch von Premium-Anspruch haben, kräftig an. Statt ihre Neuheiten in nüchternen Messehallen zu präsentieren, buchen sie für Millionensummen einen Stand auf dem Golfplatz der Quail Lodge und machen das dortige „Motorsports Gathering“ zum wahrscheinlich nobelsten Autosalon der Welt. Das Facelift für den Lamborghini Urus, der künftig den Beinamen „Performante“ trägt und noch provozierender aussieht, 260.000 Euro (plus NoVA) kostet und 666 PS leistet, ist da fast schon eine PS-Petitesse.

Audi stellt nicht eine seiner Sphere-Studien auf den Stand, sondern zeigt zum allerersten Mal alle drei zusammen und kündigt auch noch eine vierte an. Und ist damit nicht alleine: Auch Lincoln nutzt nicht die Motorshow im September in Detroit, sondern „The Quail“ für die Premiere einer autonomen Elektrolounge auf Rädern, die 100 Jahre nach dem Aufstieg zur Luxus-Tochter im Ford-Imperium den Aufbruch in eine neue Zeit unterstreichen soll. Genau wie bei Honda-Ableger Acura, wo das erste Elektro-SUV der Marke seine ersten zaghaften Laufversuche als Designentwurf macht.

Supersportler und heimlicher PS-Dinosaurier
Porsche nutzt Pebble Beach für die Premiere des 911 GT3 RS. Und während Mercedes bei uns höflich über die Neuauflage des G 4x4² schweigt, weil der 585 PS starke Bolide so gar nicht zum nachhaltigen Nobelhersteller unter Strom passen will, steht der kolossale Vierkant auf seinen Portalachsen hier stolz vor der Starlounge und reckt sich dabei so weit, dass die Messebauer nebendran sogar ein Podest für die Sitzprobe bauen mussten. Und die ultimative G-Klasse ist nicht der einzige Blickfang. Quasi als Feigenblatt steht nebendran auch die Vorschau auf den elektrischen G und drinnen das ultra-unkonventionelle Maybach-Coupé für den Offroad-Einsatz, das Designchef Gordon Wagener gemeinsam mit Virgil Abloh auf die grobstolligen Ballonreifen gestellt hat.

Was sind schon Millionen?
Während dieses Auto wohl erst mal ein Einzelstück bleiben wird, wittern andere Hersteller das große Geschäft mit kleinen Stückzahlen und finden so zum traditionellen Coachbuilding zurück. Das geht mit eher klassischen Linien wie bei dem von einem Rennwagen aus den 1950-ern inspirierten DBR22, den es kaum mehr als zwei Dutzend Mal geben dürfte, das geht radikal und futuristisch wie beim McLaren Solus GT, mit dem eine Vision für GranTurismo Wirklichkeit wird und der mit einem neuen V10-Motor und 840 PS von der Playstation für drei Millionen Pfund plus Steuern höchstens 25-mal auf die Piste stürmt. Und das geht wegweisend wie beim Bentley Batur, der für rund zwei Millionen Euro 18-mal gebaut wird und als stark modifizierter Continental GT einen Ausblick gibt auf die Formensprache der Briten für die Elektro-Zeit.

Schnellstes Cabrio der Welt
Damit leitet Bentley auch den langsamen Abschied vom W12-Motor ein und singt dieses heiter vorgetragene, aber trotzdem traurige Lied nicht allein. Überall geht die Zeit der vielen Zylinder zu Ende und wird allerorten noch einmal gebührend gefeiert. So zeigt Aston Martin als letztes V12-Modell jetzt auch den Vantage als Roadster und hat alle 249 Exemplare natürlich längst verkauft. Und Bugatti zieht noch einmal buchstäblich den Hut vor dem W16-Motor. Denn statt ihn in die x-te Special Edition eines Chiron einzubauen, haben die Franzosen um das 8,0-Liter-Triebwerk mit seinen 1600 PS herum den Roadster Mistral entworfen, der viel mehr sein will als ein Chiron ohne Dach - und der mit seinen 420 km/h einmal mehr zum schnellsten Open-Air-Modell der Welt werden dürfte.

Selbst wenn die Events immer größer und lauter werden und sich manch einer an den Tanz auf dem Vulkan erinnert fühlt, muss man sich um die Zukunft der Monterey Car Week und die Begeisterung für faszinierende Autos keine Sorgen machen. Denn auch die neuen Spieler sind längst aufgelaufen und das Elektroauto hat hier seinen Platz gefunden. Nicht umsonst präsentiert Buggy-Erfinder Mayers Manx hier jenen elektrischen Strand-Flitzer, der aus dem VW ID Buggy hätte werden können, DeLorean feiert an der Ladesäule sein Comeback mit einem vom Filmauto zumindest entfernt inspirierten Flügeltürer für die ganze Familie, und Newcomer Lucid setzt sich mit der Saphire-Edition des Air an die Spitze der Limousinen-Liga - denn mit mehr als 1200 PS rühmen die Amerikaner den elektrischen Luxusliner als stärkstes Stufenheck der Welt - und machen dabei zwischen alter und neuer Welt gar keinen Unterschied.

1000 bis 6000 Dollar pro Ticket
Zwar mag die PS-Branche am Scheideweg stehen, die Stimmung droht überall sonst auf der Welt zu kippen und die die Angst vor dem Verkehrskollaps ist bald genauso groß wie die globale Atemnot. Doch davon will bei der vielleicht größten PS-Party der Welt niemand etwas wissen. Neben dem eigentlichen Concours gibt es deshalb in dieser Woche dutzende anderer Schönheitswettbewerbe, Klubtreffen und Schaulaufen: In der Mainstreet von Pacific Grove flanieren die Muscle Cars, auf einem Golfplatz treffen sich alte Audi, BMW und Mercedes bei den „Legends of the Autobahn“, die Ferrari, Fiat & Co. feiern beim „Concorso Italiano“, droben in Laguna Seca stürzen sich Renn- und Sportwagen aller Epochen die legendäre Corkscrew-Kurve hinunter und die Schönsten der Schönen -das gilt für Maschinen wie für Menschen - treffen sich beim „Motorsport-Gathering“ auf der vornehmen Quail-Lodge. Zwar kosten die auf wenige tausend Exemplare limitierten Tickets schon im freien Verkauf schnell mal 1200 Dollar und werden auf dem Schwarzmarkt für das Fünffache gehandelt. Doch dafür gibt es neben schnellen Autos und schillernden Persönlichkeiten auch Champagner bis zum Abwinken und Kaviar „all you can eat“.

Frühstückskellner Jason kennt das alles nur vom Hörensagen - denn der Aufstieg des Concours-Wochenendes zur vielleicht wichtigsten Automesse der Welt mag zwar seinen Lokalpatriotismus befriedigen, zwingt ihn aber öfter in die Kellneruniform, als es ihm lieb ist in diesen Tagen. Für mehr als die „Exotics on Mainstreet“ reicht es die ihm deshalb selten, und dieses Jahr hat er selbst darauf verzichtet, weil er eine Extraschicht einschieben musste.

Doch die Trauer hält sich in Grenzen: Weil jeder, aber wirklich jeder an diesem Wochenende mit einem spektakulären Auto unterwegs ist und die allermeisten davon irgendwann mal im Spanish Bay vorbeischauen, muss Jason nur mal kurz vor die Tür gehen, und bekommt das volle Programm geboten - und das ganz ohne horrende Eintrittspreise. Benjamin Bessinger/SP-X

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