Kampf gegen Wolfsburg

60 Jahre Opel Kadett: Aller Astra Anfang

Motor
14.05.2022 05:01

Heute ist es die Neuauflage des Astra, mit der Opel den ewigen Widersacher aus Wolfsburg ärgern will. Ein Duell um die Vorherrschaft bei den Kompakten, das vor 60 Jahren mit dem Opel Kadett A seinen Anfang nahm. Tatsächlich avancierte schon dieser Kadett im Miniformat zum gefeierten Star, der sogar in Amerika Fans fand.

(Bild: kmm)

Ob es dem neuen Opel Astra gelingen wird, am Thron des VW Golf als König der Kompakten zu rütteln, werden die nächsten Monate zeigen. Die Gene eines Volksautos trägt der Astra jedenfalls in sich, verkörpert er doch den modernen Nachfolger des legendären Opel Kadett. Dieser Verkaufschampion trug 1972 dazu bei, dass Opel erstmals VW im deutschen Zulassungsranking überholte, pünktlich zum zehnten Geburtstag der Modellreihe.

Halt, werden Historiker einwenden, den Kadett gibt es doch schon seit 1936. Stimmt, aber die Produktionsanlagen dieses Bestsellers mussten nach dem Krieg an die Sowjetunion geliefert werden, und Opel begann mit der 1962 lancierten und gegen den VW Käfer ausgerichteten Neukonstruktion Kadett „A“ aus dem ebenfalls neuem Werk in Bochum eine frische Zählweise. Dieses 3,92 Meter kurze und 1,47 Meter schmale Volumenmodell definierte vor 60 Jahren das Kleinwagensegment neu - so hießen die Kompakten damals noch - und ließ alle Heckmotorkonstruktionen von VW, Renault, Fiat, NSU oder Simca schlagartig alt aussehen.

Die Bänder im Werk Bochum belastete der effiziente und geräumige Frontmotor-Kadett A bis zur Kapazitätsgrenze, und sogar in der amerikanischen Heimat des damaligen Opel-Mutterkonzerns General Motors erzielte die in klaren Trapezlinien konturierte Kadett-Familie aus Limousine, Coupé und Kombi Achtungserfolge. Ein solides Fundament, auf dem die folgenden Kadett-Generationen aufbauten und so den Käfer kurzzeitig deklassierten. Plötzlich war Bochum das Wolfsburg des Ruhrgebiets und ein neuer Nabel der Kleinwagen-Welt.

Bochum und der Kadett sind längst Geschichte, und der neue Astra kommt aus Rüsselsheim. Aber noch heute nennen manche Menschen ihren frisch erworbenen Kompakt-Opel „Kadett“ statt Astra - so fest konnte die Marke mit dem Blitz den Modellnamen Kadett im Sprachgebrauch verankern. Eine Erfolgsstory, die 1962 geschickt mit dem Kadett (A) - das Wort bezeichnet eigentlich einen Seeoffiziersanwärter - angelegt wurde.

„Junger Mann aus gutem Haus“ mit dem modernsten Autowerk der Welt als „Geburtsstätte“: Die Opel-Werbung traf den Zeitgeist perfekt, der Kadett wurde „Freund“ genannt, „mit dem Sie auf Du und Du stehen und der mit Ihnen durch dick und dünn geht“. Das Auto als neues Familienmitglied, diese Assoziation traf Menschen, die trotz Wirtschaftswunders jahrelang auf ein kompaktes Fahrzeug gespart hatten, mitten ins Herz. Selbst die Arbeiter, die das Einstiegsmodell ins deutsche Opel-Programm am Fließband montierten, fuhren anfangs meist noch mit dem Fahrrad zum Werkstor. Da folgten stolze Sparkönige nur zu gerne der seitenlangen Aufforderung in der Opel-Betriebsanleitung, „die liebevolle Pflege Ihres Kadett zum ausgesprochenen Hobby und den Wagen zur Visitenkarte zu machen.“

Die Autowäsche am Wochenende wurde damals in Wohnsiedlungen Familien-Ritual und der blecherne „Freund“ ähnlich wie ein Kind stolz den Nachbarn zur Schau gestellt. Ganz besonders natürlich, wenn der Kadett mit teuren, aber angesagten Weißwandreifen, feinem „L“-Zierrat, als elegantes Coupé oder gar als chromgeschmückter Caravan-Kombi mit drei Sitzreihen auf nur 2,33 Meter Radstand für die Generation Baby-Boomer shampooniert, gespült, getrocknet und poliert wurde. Jedes Pflegedetail wurde minutiös erklärt im Kadett-Handbuch.

Durchschlagender Kombi-Erfolg
Tatsächlich war es die Modellvielfalt, mit der die kleinen Opel Maßstäbe im Kompakt-Segment setzten, schließlich gab es auch noch den Lieferwagen „Caravan Combi“. Nicht nur dies, der Kadett A Caravan war außerdem einer der ersten kompakten Kombis und zusammen mit dem größeren Rekord Caravan so erfolgreich, dass Mitte der 1960er-Jahre jeder zweite in Deutschland verkaufte Kombi ein Opel war. Dies trotz Konkurrenz durch Ford Taunus Turnier und VW Variant. Alles Vorboten einer neuen Ära, die dann beim Kadett „B“ eine wahre Flut von 14 Karosserie-Varianten hervorbrachte.

Fanfarenstoß in Richtung Wolfsburg
Die Welt war 1962 im Umbruch und Opel spiegelte dies. Im Jahr, als die Beatles vom Plattenproduzenten Decca abgelehnt wurden, weil Gitarrengruppen unmodern würden, als Sam Walton in den USA die das ganze Land überziehenden Wal-Mart-Supermärkte eröffnete, Discounter Aldi Deutschland in Nord und Süd aufgeteilt hatte und GM entschied, einen kleinen Opel (Kadett) künftig über Buick-Händler im Land der Straßenkreuzer zu vertreiben sowie Kadett-Lizenzproduktionen auf allen Kontinenten einzurichten, in jenem Jahr begann für die deutsche GM-Dependenz eine neue Ära. „Fanfarenstoß in Richtung Wolfsburg!“ lauteten die fettesten Schlagzeilen zum Kadett A, die sogar den ebenfalls 1962 neu lancierten Taunus 12 M in den Schatten stellten.

Geplanter Großangriff
Immerhin war den Opelanern ein Coup gelungen, den heute nicht einmal Elon Musk mit der Tesla-Fabrik in Brandenburg wiederholen konnte. Auf Direktive aus dem GM-Hauptquartier in Detroit entwickelte Opel seit 1957 in aller Heimlichkeit einen designierten Käfer-Killer für den ab 1960 in gut 20 Monaten ein neues Werk aus dem Boden gestampft wurde und in Betrieb ging. Dieser kleine Opel sollte „Jung und voll Schwung“ sein, wie die Werbung zum Marktstart verkündete. Und gleichzeitig dem damals noch untadeligen Ruf hoher Zuverlässigkeit aller Opel-Modelle Ehre machen. „Opel Kadett - kurz gesagt O.K.“ lautete denn auch das selbstbewusste Motto einer Anzeigenkampagne zur Markteinführung. Immerhin hatte Opel mit 30 Erlkönigen über 1,5 Millionen Testkilometer auf Prüfgeländen bei Rüsselsheim und Milford (Michigan, USA), aber auch am Polarkreis zurückgelegt.

Kadett mit sportlichen Ambitionen
Adrenalinhaltige Emotionen - plötzlich sogar bei Familienvätern gefragt - konnte der Kadett A ebenfalls freisetzen. Der 40 PS oder später optional 48 PS leistende 1,0-Liter-Vierzylinder verschaffte dem gerade einmal 670 Kilogramm wiegenden Kadett damals fast sportliche Fahrleistungen, die denen des großen Rekord kaum nachstanden und die sich mit Dynamikern wie Renault Dauphine Gordini oder Glas 1004 messen konnten. Dazu passte die Kombination des Kadett-Kraftwerks mit einem gleichfalls neuen, vollsynchronisierten Viergang-Getriebe mit sportiver Knüppelschaltung. Bei der Rallye Monte Carlo sicherte sich ein Opel Kadett A den dritten Platz in der GT-Klasse und bei der Langstreckenrallye Tour d’Europe fuhren Opel Kadett zuverlässig von 1963 bis 1967 vorne mit. Alles Bausteine, die das Image des preiswertesten Opels polierten.

Mit großem Getöse und einem Festakt in Bochum feierte Opel im Jänner 1965 die Produktion des 500.000sten Kadett A. Eine halbe Million Konkurrenten für den Käfer, der sich damals bereits auf sein Zehn-Millionen-Jubiläum vorbereitete: Das entlockte VW-Boss Heinrich Nordhoff vermutlich nur ein Schmunzeln. Aber die große Stunde des Kadett sollte wie gesagt noch kommen, denn im Herbst 1965 fuhr bereits die nächste Generation ins Rampenlicht. Tragisch ist allein, dass der Kadett A, mit dem 1962 alles anfing, so schnell ins Abseits geriet. Verbraucht und verschrottet wie die meisten Massenmobile finden sich zum 60. Geburtstag kaum Überlebende. (SPX)

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