Nach Protest im TV

„Kein Zurück mehr“: Redakteurin bleibt in Russland

Medien
17.03.2022 09:28

Trotz großer Sorgen um ihre eigene Sicherheit und die ihrer beiden Kinder will die für ihren Protest im russischen Staatsfernsehen gegen den Ukraine-Krieg weltweit bekannt gewordene TV-Journalistin Marina Owssjannikowa ihr Land nicht verlassen. „Wir werden in Russland bleiben“, sagte Owssjannikowa am Mittwoch in einem Interview. Indes hat die russische Justiz die ersten drei Strafverfahren wegen der Verbreitung von „Falschinformationen“ über die russische Armee eingeleitet.

„Ich bin Patriotin, mein Sohn (ist) ein noch viel größerer. Wir wollen auf keinen Fall weg, nirgendwo hin auswandern,“, sagte Owssjannikowa in einem Interview mit dem „Spiegel“. Dabei wisse sie: „Mein Leben hat sich für immer verändert, das begreife ich erst langsam. Ich kann nicht mehr zurück in mein altes Leben.“

Die Redakteurin des russischen Staatsfernsehens hatte am Montagabend in den Hauptnachrichten des Ersten Kanals ein Protestplakat gegen den Krieg in der Ukraine in die Kamera gehalten. Auf dem Plakat war auch zu lesen, dass die Zuschauer „hier belogen“ werden. Zudem bezeichnete Owssjannikowa den russischen Angriff auf die Ukraine in einem separat aufgenommenen Video als Verbrechen.

In russischen Staatsmedien ist es untersagt, von einem Krieg zu sprechen. Die Staatsführung nennt das Vorgehen im Nachbarland eine „militärische Spezialoperation“ zur „Entmilitarisierung“ und zur „Entnazifizierung“ der Ukraine.

Kein Zurück mehr
Derzeit verstecke sie sich bei Freunden, sagte Owssjannikowa dem „Spiegel“. Sie habe große Angst vor den Folgen ihres Handelns und bange um ihre Sicherheit. Aber sie „habe bereits den Punkt überschritten, an dem es kein Zurück mehr gibt“, sagt die Journalistin. „Ich kann nun offen und öffentlich so sprechen.“ Zum Zeitpunkt ihrer Protestaktion habe sie nicht an die weitreichenden Konsequenzen gedacht, sagte Owssjannikowa. „Sie werden mir nun bewusst. Jeden Tag mehr und mehr“, sagte die 44-Jährige.

Owssjannikowa war für ihre Aktion bereits am Dienstag zu einer Geldstrafe von 30.000 Rubel, rund 226 Euro, verurteilt worden. Möglicherweise droht ihr aber noch eine weitere Strafe: Es seien Ermittlungen wegen der angeblichen Verbreitung von Lügen über Russlands Streitkräfte aufgenommen worden, meldete die Staatsagentur Tass unter Berufung auf eine Quelle bei den Ermittlungsbehörden. Befürchtet wird, dass Owssjannikowa doch noch nach dem neuen Mediengesetz belangt werden könnte, das bis zu 15 Jahre Haft vorsieht.

Erste Strafverfahren wegen „Falschinformationen“
Die ersten drei Strafverfahren wegen der Verbreitung von „Falschinformationen“ über die russische Armee wurden am Mittwoch eingeleitet. Im Visier der Ermittler sind zwei nicht namentlich genannte Beschuldigte aus Tomsk und Sewersk in Sibirien sowie die im Ausland lebende Russin Veronika Belotserkowskaja, wie auf der Website des russischen Ermittlungskomitees am Mittwoch gemeldet wurde.

Gegen Belotserkowskaja, der 900.000 Menschen auf Instagram folgen, soll demnach ein internationaler Haftbefehl ausgestellt werden. Die Verdächtigen sollen nach Angaben des Ermittlungskomitees Anfang März im Internet „Falschinformationen“ über das Vorgehen der russischen Truppen in der Ukraine verbreitet haben.

„Propaganda unmöglich zu ertragen“
Owssjannikowa hat indes ein Bewusstsein für eine Realität jenseits der offiziellen Sicht der russischen Staatsführung entwickelt. „Ich verstehe, dass jeder Staat für seine Interessen kämpft, wir uns in einem Informationskrieg befinden“, sagte die Journalistin. „In unserem Land hatte die Staatspropaganda aber schon vor dem Krieg in der Ukraine schreckliche Formen angenommen. Jetzt, mit Beginn des Krieges, ist es unmöglich, die Propaganda zu ertragen.“

Nach ihrer Aktion werde ihr Leben nun „ganz anders“ werden, meint Owssjannikowa, auch wenn sie nicht wisse, was wird. „Planen kann sowieso niemand mehr.“ Der russische Krieg gegen die Ukraine habe „alle Pläne zerstört“.

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