„Krone“-Kolumne

„Rezept“ für das perfekte Coming-out gibt es nicht

Kolumnen
15.08.2021 08:00

Soziologin und Sexualpädagogin Barbara Rothmüller über den Schritt des Coming-out in der Gesellschaft.

Egal ob Homosexualität, Bisexualität, Polyamorie oder BDSM, sexuelle Minderheiten müssen sich immer wieder im Bekanntenkreis erklären. Coming-out nennt man den lebenslangen Prozess, in dem man explizit damit herausrückt, dass man einer sexuellen Minderheit angehört - und vielleicht auch Wissen vermittelt dazu, wie es sich „als Lesbe“, „als Polykül“ usw. in der Gesellschaft lebt.

Für Jugendliche kann das erste Coming-out mit viel Aufregung und Ängsten verbunden sein. Manchmal hört man ja Horror-Geschichten von Eltern, die ihre Kinder verstoßen oder umtherapieren wollen (das geht gar nicht! Solche schädlichen Therapien werden deshalb in Österreich verboten.). Manchmal passiert nach einem Coming-Out nicht viel mehr als eine vorübergehende Irritation. - Aha, was heißt das jetzt? Okay. - Vielleicht müssen sich Freunde und Familienmitglieder kurz an die neue Information gewöhnen. Das Unangenehme für sexuelle Minderheiten ist, dass sie vorab nicht wissen, wie Menschen auf ihr Outing reagieren werden. Angeblich ist Sexualität ja kein Tabu mehr in unserer Gesellschaft. Es gibt aber gute Gründe, das zu bezweifeln. Manche Menschen werden vielleicht tatsächlich die Person nach ihrem Outing anders sehen. Aber sich immer verstellen zu müssen, und nie offen über die eigenen Gefühle sprechen zu können, ist auf Dauer sehr anstrengend. Deshalb entschließen sich Jugendliche häufig zu einem Coming-out, wie das Deutsche Jugendinstitut 2015 erforscht hat.

Nachdem sich Sexualität und sexuelles Begehren weiterentwickeln, sind manchmal auch Erwachsene mit ihrem Coming-out beschäftigt. Vielleicht auch erstmal mit einem „inneren Coming-out“: Wenn sie sich bewusstwerden, dass ihre eigene Sexualität nicht dem entspricht, was sie dachten. Vielleicht haben sie „es“ eh schon immer irgendwie gewusst, aber nie bewusst gedacht. Vielleicht hat sich aber auch einfach die Sexualität weiterentwickelt - überraschend, aber oft auch positiv.

Diese Unsicherheit, wer man eigentlich ist und wo man sich zuordnen soll, ist für die Betroffenen eine komplizierte Übergangsphase. Jugendliche finden es oft hilfreich, wenn sie einen guten Freund haben, der in der Zeit für sie da sind. Enge Freunde sind häufig auch die Vertrauenspersonen, mit denen Jugendliche über ihre Sexualität sprechen und ihr erstes Coming-out haben - vor allem mit Freunden, bei denen sie relativ gut einschätzen können, wie sie reagieren werden. Obwohl ein Coming-out mittelfristig befreiend sein kann, muss man sich keinen Druck machen. Ein Kochrezept für das perfekte Coming-out gibt es ohnehin nicht, auch keinen richtigen oder falschen Zeitpunkt.

Und wer schreibt einem vor, dass andere überhaupt etwas über die eigene Sexualität wissen sollen? Sichtbarkeit ist für sexuelle Minderheiten enorm wichtig. Gleichzeitig muss man sich mit der Sichtbarkeit auch wohlfühlen. In manchen Kontexten ist Unsichtbarkeit ein wichtiger Schutz vor persönlichen Anfeindungen. Erwachsene müssen in homofeindlichen Branchen auch daran denken, ihre berufliche Karriere zu schützen. Letztlich können Menschen nur je nach Kontext entscheiden, mit wem sie über ihre Partnerschaft(en), über ihr sexuelles Begehren, ihre Familienplanung usw. sprechen möchten. Aber wenn sie es möchten, sollte sich die Erzählung einer lesbischen Frau über den Wochenendausflug mit ihrer Partnerin genauso leicht und beiläufig anfühlen können wie die des heterosexuellen Kollegen mit seiner Ehefrau.

Im Laufe des Lebens wird ein Coming-out bei sexuellen Minderheiten immer wieder anstehen und auch immer wieder unterschiedlich verlaufen. Deshalb ist es hilfreich, mit Menschen zu sprechen, die diese Erfahrungen teilen. Für Jugendliche gibt es Beratungsstellen, die sie bei einem Coming-out unterstützen. Oder sie auch einfach beraten, wenn sie unsicher sind über ihre Sexualität.

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