Missbrauch in Kirche

Vorwürfe gegen Papst Benedikt und seinen Bruder

Ausland
14.03.2010 09:12
Papst Benedikt XVI. ist nur 24 Stunden, nachdem er die Aufklärung aller Missbrauchs-Vorwürfe gegen kirchliche Einrichtungen gefordert hat, selbst in den Skandal hineingeraten. Die Wiedereinsetzung eines pädophilen Priesters als Seelsorger während seiner Amtszeit als Erzbischof belastet den Papst ebenso wie neue Fragen zur Rolle seines Bruders beim sich ausweitenden Missbrauchs- und Misshandlungsskandal um die Regensburger Domspatzen. Der Vatikan ortet eine Kampagne.

Nachdem der Vorsitzende der deutschen Bischofskonferenz, Robert Zollitsch, den Papst am Freitag zu der Welle an neuen Missbrauchs-Vorwürfen in Deutschland Bericht erstattet hatte, forderte das Oberhaupt der katholischen Kirche die umfassende Aufklärung aller Vorwürfe. 

Jetzt sieht sich Benedikt XVI. selbst mit Kritik und schweren Vorwürfen konfrontiert. Am Samstag ist ein Fall aus seiner Amtszeit als Erzbischof von München und Freising in den 1980er-Jahren bekannt geworden, mit dem der Verdacht laut wurde, der Papst könnte damals die Vertuschung von Missbrauchsfällen bzw. den schonenden Umgang mit vorbelasteten Priestern nicht geahndet und sogar geduldet haben.

Der Vatikan sieht bei den Vorwürfen Kräfte am Werk, die den Papst im Skandal um sexuelle Missbrauchsfälle direkt treffen wollen. "In den letzten Tagen gab es einige, die mit einer gewissen Verbissenheit in Regensburg und in München nach Elementen gesucht haben, um den Heiligen Vater persönlich in die Missbrauchsfragen mit hineinzuziehen", meinte Vatikan-Sprecher Federico Lombardi. Für jeden objektiven Beobachter sei aber klar, "dass diese Versuche gescheitert sind".

Vorbelasteten Priester wieder in Gemeinde geschickt
Laut der "Süddeutschen Zeitung" wurde 1980 ein einschlägig vorbelasteter Priester aus dem Bistum Essen nach Oberbayern versetzt. Grund dafür war unter anderem eine eidesstattliche Erklärung eines elf Jahre alten Opfers aus Essen, wonach ihn der Priester zum Oralverkehr gezwungen habe. Der Priester sollte "zur Therapie" nach München kommen, schreibt die "SZ".

Benedikt, damals noch Erzbischof Kardinal Joseph Ratzinger, stimmte dem Umzug des Priesters im Ordinariatsrat des Bistums zu. Trotz seiner Vergangenheit wurde der Priester aber später zur "Seelsorge-Mithilfe" in eine Münchner Pfarre geschickt. Laut Vatikan habe Benedikt - er war von 1977 bis 1982 Erzbischof - nicht gewusst, dass der Mann wieder in eine Gemeinde geschickt würde. 

Der versetzte Priester war jedenfalls bis 1985 in einer Gemeinde tätig, und es kam dabei wieder zu einschlägigen Handlungen. Nach Bekanntwerden von Vorwürfen des sexuellen Missbrauchs und der Aufnahme polizeilicher Ermittlungen wurde er im Jänner 1985 vom Dienst entpflichtet. Im Juni 1986 wurde der Kaplan wegen sexuellen Missbrauchs Minderjähriger zu 18 Monaten Freiheitsstrafe auf Bewährung und einer Geldstrafe verurteilt.

Vatikan: "Papst hat mit der Sache nichts zu tun"
Laut Bistum und Vatikan hat der frühere Generalvikar Gerhard Gruber für den Fall die volle Verantwortung übernommen. Er soll den Priester im Alleingang wieder in den Gemeindedienst geschickt haben. Der Papst selbst "hat mit der Sache nichts zu tun", so der Vatikan.

Der Sprecher der bekannten deutschen Kirchen-Initiative "Wir sind Kirche", Christian Weisner, widersprach dieser Darstellung am Samstag. Die eigentliche und letzte Verantwortung für die Versetzung des Priesters habe bei Joseph Ratzinger gelegen. "Das ist eben das hierarchische Prinzip der Kirche", meinte Weisner. "Ein Bischof nimmt nicht nur eine große moralische Autorität für sich in Anspruch, sondern auch eine große administrative Autorität." Deshalb könne ein Bischof, wenn Fehler passierten, nicht sagen, dafür sei er nicht verantwortlich. "Diese Verantwortung ist da."

"Es wäre gut, wenn der deutsche Papst ein Wort der Entschuldigung zu den Vorfällen in Deutschland fände", forderte Weisner. "Damit würde Joseph Ratzinger ein hilfreiches Vorbild geben, wie seine Bischöfe mit diesem Thema umgehen müssen." Es gehe niemandem um Rücktrittsforderungen, "aber ein Zeichen der Buße und Umkehr von oberster Stelle ist nötig".

Skandal um Domspatzen trifft jetzt auch Papst-Bruder
Im Missbrauchs- und Misshandlungsskandal bei den Regensburger Domspatzen rückte das Magazin "Der Spiegel" indes erstmals Papst-Bruder Georg Ratzinger, der bis 1994 Chorleiter bei den Domspatzen war, in die Nähe des Skandals. Sexueller Missbrauch und Misshandlungen sollen in dem Musikgymnasium mit Internat im bayrischen Regensburg nämlich länger praktiziert worden sein als bisher bekannt. Neuen Aussagen von Betroffenen zufolge kam es mindestens bis 1992 zu sexuellen Übergriffen auf Schüler, also auch während Georg Ratzingers Amtszeit. Bisher waren nur Fälle aus den 50er- und 60er-Jahren bekannt geworden.

Ein Ex-Schüler sagte dem Magazin, dass er bis zum Verlassen des Internats 1992 sexuelle und körperliche Gewalt als allgegenwärtig erlebt habe. Er selbst sei im Internat von älteren Schülern vergewaltigt worden, auch in der Wohnung eines Präfekten sei es zu Analverkehr zwischen Schülern gekommen, zitiert der "Spiegel" den Ex-Schüler, der auch beim Namen genannt wird. "Die haben den Druck eines totalitären Systems eben weitergegeben." Das Bistum Regensburg, das übrigens dem Erzbistum München Freising untersteht, wollte sich zu den Vorwürfen nicht äußern.

Chorchef Georg Ratzinger wurde dem Bericht zufolge von ehemaligen Domspatzen als "extrem cholerisch und jähzornig" erlebt. So habe Ratzinger noch Ende der 80er-Jahre bei Chorproben erzürnt Stühle in die Reihen der Männerstimmen geworfen. Einmal habe sich der Domkapellherr so erregt, dass ihm sogar das Gebiss herausgefallen sei. Der heute 86-jährige Ratzinger wollte sich laut "Spiegel" dazu ebenfalls nicht äußern. Zuvor hatte er eingeräumt, bis zum Ende der 70er-Jahre in den Chorproben selbst hin und wieder Ohrfeigen verteilt zu haben. Doch habe er nie jemanden "grün und blau" geschlagen.

Vatikan: Seit 2001 rund 3.000 Situationen untersucht
Seitdem Johannes Paul II. im Jahr 2001 der Glaubenskongregation die Zuständigkeit für Kindesmissbrauchsfälle in der Kirche anvertraut habe, sind insgesamt 3.000 Situationen überprüft worden, die sich auf die letzten 50 Jahre beziehen. "In 60 Prozent dieser Fälle handelt es sich um Ephebophilie, um Neigung zu pubertierenden Buben. In zehn Prozent der Fälle geht es um Pädophilie. In den Jahren 2003 und 2004 haben wir uns mit vielen Fällen aus den USA beschäftigt, die die Vergangenheit betrafen. In den letzten Jahren ist das stark zurückgegangen. Jetzt beschäftigen wir uns mit aktuellen Fällen", erklärt Bischof Scicluna, Ankläger in der Glaubenskongregation. 

Insgesamt wurden in 300 Fällen konkreten Maßnahmen gegen Priester gesetzt. Scicluna: "In diesen Fällen, bei denen es unbestreitbare Beweise gab, hat der Heilige Vater die schmerzhafte Verantwortung übernommen, ein Dekret zur Laisierung der verantwortlichen Priester zu verabschieden. Es handelt sich um eine schwerwiegende Maßnahme, die auf administrativem Weg ergriffen wurde, die jedoch notwendig war." In weiteren zehn Prozent der 3.000 untersuchten Situationen hätten die beschuldigten Geistlichen selbst die Amtsenthebung gefordert. Die Anträge seien angenommen worden. "In diese letzten Fällen waren Priester verwickelt, die pädophile Fotos besaßen und deswegen von der zivilen Justiz bestraft wurden", so Scicluna.

"Vorwürfe falsch und verleumderisch"
Scicluna verteidigte Benedikt XVI., der vor seiner Wahl zum Papst ab 1981 Präfekt der Glaubenskongregation war und somit ab 2001 auch für die Aufklärung von Missbrauchsvorwürfen zuständig: "Er hat Weisheit und Strenge in Zusammenhang mit diesen Fällen bewiesen. Er hat auch großen Mut gezeigt, indem er sehr schwierige Fälle in Angriff genommen hat. Daher ist der Vorwurf, der Papst habe Pädophilie-Fälle verheimlicht, falsch und verleumderisch."

Acht Mitglieder der Glaubenskongregation, sieben Geistliche und ein Laie, beschäftigen sich mit Kindesmissbrauchsvorwürfen und mit anderen gravierenden Verbrechen, für die Priester verantwortlich gemacht werden. "Wenn der Vorwurf glaubwürdig ist, hat der Bischof die Pflicht, den Anschuldigungen auf den Grund zu gehen. Danach muss er der Glaubenskongregation berichten, die das Disziplinarbüro einschaltet", berichtete der Bischof.

"Es ist möglich, dass in der Vergangenheit die Bischöfe bei Kindermissbrause, weil auf der Ebene der Prinzipien die Verurteilung dieser Art von Delikten stets unbestreitbar war.

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