Kinderheim-Skandal

Missbrauchsopfer in Irland fordern Gerechtigkeit

Ausland
21.05.2009 16:27
Über Jahrzehnte haben Priester, Nonnen und Mönche tausendfach Kinder in katholischen Einrichtungen Irlands erniedrigt und missbraucht. Die Kinder wurden in Erziehungsanstalten, Schulen oder Heimen zwischen den 30er und 90er Jahren vergewaltigt, geschlagen und gequält. Die Kirche wusste von den Übergriffen, der Staat hat bei der Kontrolle versagt, wie aus den Ermittlungen einer Sonderkommission hervorgeht, die jetzt nach einer neun Jahre langen Untersuchung in Dublin vorgestellt wurden. Das Oberhaupt der Katholiken in Irland entschuldigte sich. Die ehemaligen Heimkinder aber fordern Gerechtigkeit. Sie wollen, dass ihre Peiniger beim Namen genannt und bestraft werden: "Die Kirche hat alles jahrelang vertuscht!"

In den mittlerweile geschlossenen Einrichtungen waren bis Mitte der Neunziger rund 35.000 Kinder untergebracht. Brutale Schläge waren an der Tagesordnung, regelmäßige sexuelle Übergriffe wurden vertuscht, indem die Kirche einige Peiniger versetzte, wie es in dem 2.600 Seiten starken Bericht heißt. Kinder seien so sehr vernachlässigt worden, dass sie sich Lebensmittel aus Abfallkübeln holten. Zudem seien die Unterkünfte kalt und karg gewesen.

Viele der ehemaligen Heimkinder haben seit der Vorstellung des Berichtes, der Vorgänge in 52 Lehrlingsheimen und über 200 Kinderheimen und Schulinternaten behandelt, ihr Schweigen gebrochen. Sie musste Rosenkränze in der heimeigenen Werkstätte herstellen, berichtet Christine Buckley, heute 62 Jahre alt. Dem täglichen Ritual der Erniedrigung konnte man nicht entkommen. Auch wenn man das vorgeschriebene Quantum von 60 neuen Ketten täglich erreichte, gab es Prügel; oder schlimmer noch, man wurde vergewaltigt. "Ich hatte keine Kindheit", erzählt sie heute.

"Das ganze System hat Betroffene eher wie Gefangene als wie Kinder behandelt", heißt es in dem Bericht. "Im besten Fall wurden die Peiniger versetzt, aber für das Kind wurde nichts gemacht. Im schlimmsten Fall wurden dem Kind noch Vorwürfe gemacht." Bei der Kirche sei die Angst vor einem Skandal größer als die Sorge um das Wohl der Kinder gewesen. Das Oberhaupt der Katholischen Kirche in Irland zeigte sich betroffen: "Es tut mir aufrichtig Leid und ich bin zutiefst beschämt, dass Kinder so grauenhaft in diesen Einrichtungen leiden mussten. Kinder haben etwas Besseres verdient, vor allem von denen, die sich im Namen Jesu Christi um sie kümmern", sagte Kardinal Sean Brady.

Opfer: "Die Schänder werden nicht verfolgt!"
Neue strafrechtliche Ermittlungen ergeben sich durch den Bericht nicht, weil nach einer Entscheidung aus dem Jahr 2004 die Namen der Peiniger für die Untersuchung anonymisiert werden mussten. Ausgerechnet die "Christian Brothers", eine Priestervereinigung, die einen Teil der Heime leitete, hatten gegen die Ermittlungsbehörde geklagt und gewonnen. In den Jahren davor waren nur eine wenige einzelne Täter verurteilt worden. Im Bericht werden aber mehr als 800 verdächtige bzw. schuldige Priester, Nonnen und Ordensbrüder verschiedener Verbände erwähnt. Rund 12.000 Opfer sind mittlerweile mit durchschnittlich 65.000 Euro gegen weiteren Klageverzicht entschädigt worden. 2.000 Fälle sind noch anhängig.

Aber die ehemaligen Heimkinder, die vielfach aus dysfunktionalen Familien in die oftmals noch viel weniger fürsorgliche Obhut der Kirchenmitarbeiter gegeben wurden, wollen mehr als Geld. "Die Schänder werden nicht verfolgt", schimpft Missbrauchsopfer John Kelly (im Bild rechts). "Niemand wird zur Rechenschaft gezogen, deswegen fühlen sich die Opfer leer und betrogen", sagte er am Rande der Veröffentlichung des Berichts am Mittwoch. Pater Kevin Mullan, Sprecher der "Christian Brothers", erklärte am Donnerstag, man habe damals auf Anonymisierung geklagt, um falsche Anschuldigungen zu vermeiden. Es sei jetzt nach dem Abschluss des Berichts nicht in seinem Interesse, dass Schuldige geschützt würden.

Für Christine Buckley, die erst im Alter von 40 Jahren ihr Schweigen brach, ist Mullans indirektes Bekenntnis zu weiteren Untersuchungen kein Trost: "Erst jetzt stört es ihn nicht mehr, wenn Täter überführt werden? Für viele von uns kommt das spät!" Nicht nur entzogen sich in den letzten Jahren viele der Peiniger durch ihren Tod einer Bestrafung. Auch Hunderte Opfer starben, bevor sie ihre Leidensgeschichte der Öffentlichkeit erzählen konnten.

"Häuser des Horrors"
Die Untersuchungskommission war im Jahr 2000 ins Leben gerufen worden und hatte rund 2000 Zeugen aus 216 verschiedenen Einrichtungen befragt. Die Ermittlungen kosteten den Staat rund 70 Millionen Euro. Bereits 2003 war ein Zwischenbericht mit den Aussagen von 700 Zeugen veröffentlicht worden. Auch damals hatten Männer und Frauen berichtet, dass sie als Kinder unter anderem mit Lederriemen und Stöcken geschlagen und sexuell missbraucht wurden. Einige beschrieben, wie sie von mehreren Tätern gleichzeitig vergewaltigt wurden. Der Skandal war nach einer TV-Dokumentation Ende der 90er Jahre ans Licht gekommen. Die Journalistin Mary Raftery sagte, die Kinder seien in "Häusern des Horrors" gefangen gewesen, teils bis sie 16 Jahre alt waren.

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