Kanzler-Abschied

“Werde der Republik nicht auf der Tasche liegen”

Österreich
27.11.2008 09:00
Der scheidende Bundeskanzler Alfred Gusenbauer hat sich nach der letzten Ministerratssitzung der „alten Großen Koalition“ zum Abschied versöhnlich gezeigt. Er hätte gerne die ganze Legislaturperiode durchgedient, die Bilanz der Regierung könne sich aber sehen lassen, meinte er nach der 71. und letzten Regierungssitzung seines Kabinetts. „Es ist gelungen, sowohl zu arbeiten als auch zu streiten“, sagte ein wehmütig wirkender Gusenbauer. Überrascht hat der 48-jährige Altkanzler in spe mit der Ankündigung, er werde „der Republik nicht auf der Tasche liegen“ und die ihm noch für ein halbes Jahr zustehenden Gehaltsbezüge ablehnen. Auch die übrigen scheidenen Regierungsmitglieder verabschiedeten sich am Mittwoch.

Er habe den Job in diesem „herrlichen Haus“ gerne gemacht. Zu seiner Zukunft habe er Vorstellungen, will sich aber bis Februar eine Auszeit nehmen: „Jetzt werd ich mich mal erholen“, so Gusenbauer. Auch seinen Tagesablauf werde er ändern, so Gusenbauer weiter. Bisher sei er von zu Hause weggelaufen und nach rund einer Stunde in der Stadt im Bundeskanzleramt „eingelaufen“. Die Arbeit habe ihm bei allen Unerfreulichkeiten „große Freude gemacht“.

Der frühere SPÖ-Chef wird auch weiterhin politisch tätig sein, er bleibt Vize der Sozialistischen Internationalen und Vorsitzender des Kuratoriums im Renner-Institut, wo er auch künftig telefonisch und auf dem Postweg zu erreichen sein werde, so Gusenbauer.

Tarock-Partie mit Molterer
Zum scheidenden Vizekanzler Wilhelm Molterer habe er persönlich ein gutes Verhältnis gehabt. Jetzt wo beide mehr Zeit haben, sei auch eine gemeinsame Partie Tarock ausgemacht. Unter den vorwiegend versöhnlichen Tönen Gusenbauers mischte sich aber auch Kritik. So warf er der ÖVP vor, Opposition in der Regierung gelebt zu haben. Er habe versucht, mit einer fairen Verteilung der Aufgaben der ÖVP entgegenzukommen. „Dieses Konzept ist nicht aufgegangen.“ Er hoffe nun, dass das besser werde. Manchmal seien Wahlniederlagen das Einzige, das zu Lernschritten führe.

Gusenbauer unterstrich in seinem Abschiedsstatement nach der recht kurzen Regierungssitzung die aus seiner Sicht wichtigsten Änderungen während seiner Amtszeit. In den 71 Ministerräten habe man 224 Regierungsvorlagen ausgearbeitet. Zu den wichtigsten Weichenstellungen aus seiner Sicht gehören die Maßnahmen im Bildungsbereich (Neue Mittelschule, Kinderbetreuung, Senkung der Klassenschülerhöchstzahl) und ein „fester geknüpftes Sozialnetz“ (Mindestsicherung, Mindestlohn).

„Haben mehr Jobs geschaffen, als sich Obama vornimmt“
Gusenbauer verwies weiters auf die in seiner Amtsperiode gesunkenen Arbeitslosenzahlen und verglich sich dabei mit dem neuen US-Präsidenten Barack Obama. Österreich habe verhältnismäßig mehr neue Arbeitsplätze geschaffen, als sich Obama vorgenommen habe. Besonderes Augenmerk legte Gusenbauer auch auf den Klimaschutz. Er glaube, das der nächste ökonomische Aufschwung von einer technologischen Revolution begleitet sein werde. Gusenbauer strich auch die Austragung der Fußball-Europameisterschaft als einen der Höhepunkte seiner Amtsperiode hervor.

Restliche Minister auf Jobsuche
Teils mit Wehmut sind auch die übrigen scheidenden Regierungsmitglieder am Mittwoch zu ihrer letzten Ministerratssitzung geschritten. „Es ist nicht ganz einfach, das geb ich gerne zu“, sagte etwa Wilhelm Molterer. „Ich bin ein bisschen traurig, dass ich nicht mehr mitgestalten kann“, sagte Sozialminister Erwin Buchinger. Seine Kollegin Andrea Kdolsky verkündete, das ganze Regierungsprogramm abgearbeitet zu haben, und begibt sich jetzt „auf Jobsuche“. „Faymann kommt, also geh ich“, sagte Wirtschaftsminister Martin Bartenstein nach rekordverdächtigen 14 Jahren Ministeramt. „Ich fühle mich gut“, übte sich Finanzstaatssekretär Christoph Matznetter in Fröhlichkeit. Außenministerin Ursula Plassnik blieb sich wie gewohnt treu und bahnte sich den Weg durch den Steinsaal mit den Worten „Darf ich da durch?“. Zu entlocken war ihr einzig, dass sie mit „einem guten Arbeitsgefühl“ in die Sitzung gehe.

Molterer: „Das Ergebnis hat nicht gereicht“
Molterer, der die Neuwahl ausgelöst hatte, überraschte mit der Feststellung, die scheidende Regierung hätte „viel weitergebracht“. Auf die Frage, wieso er dann die Koalition aufgekündigt hat, meinte er, dazu habe er sich entschieden und auch die Konsequenzen gezogen. Er meinte jedenfalls, dass sein „Es reicht!“-Spruch bleiben werde, einzig „das Ergebnis hat nicht gereicht“. Zu seiner beruflichen Zukunft sagte Molterer, er werde sich neu orientieren, wohin verriet er nicht. Auch Schlossbewohner und Multimillionär Bartenstein kündigte an, sich neben dem Mandat in der Wirtschaft zu betätigen, allerdings nicht im öffentlichen Bereich. In den Nationalrat zurückkehren wird auch Matznetter. Er könne sich aber auch vorstellen, irgendwann wieder in einer Regierung tätig zu sein: „Man weiß nie, was kommt“, so Matznetter. Seine Aufgaben sieht er als erledigt an: „Mission completed.“

Kdolsky euphorisch, Buchinger eher grantig
Nicht mit Wehmut, sondern „sehr stolz“ scheidet Gesundheitsministerin Kdolsky aus dem Amt. Es sei während ihrer Amtszeit „unglaublich viel passiert“. Die zwei Jahre seien eine sehr große Herausforderung gewesen, die Gesundheitsreform sieht sie als erledigt an. Persönlich will sie sich nun nach neuen Aufgaben umsehen: „Ich bin auf Jobsuche“, verkündigte die demonstrativ gut aufgelegte Ministerin. Etwas weniger euphorisch präsentierte sich Noch-Sozialminister Buchinger, zwar sei er nicht wehmütig, aber ein bisschen traurig. Den Grund für sein Ausscheiden sieht Buchinger einerseits im Wechsel des Bundeskanzler begründet: „Jeder sucht sich seine Mitarbeiter aus, das ist okay“, andererseits sieht er die Besetzung des Sozialressorts durch ÖGB-Chef Rudolf Hundsdorfer auch im „Schulterschluss“ zwischen Gewerkschaft und SPÖ begründet. Seinem Nachfolger wünsche er alles Gute. Gerade in diesen Zeiten sei die Besetzung eine gute Wahl. Er selbst werde am Tag nach seinem Ausscheiden aus der Regierung in seinen Job beim Arbeitsmarktservice in Wien zurückkehren.

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