Navy Seal packt aus

Bin-Laden-‘Shooter’ von den USA im Stich gelassen

Ausland
11.02.2013 23:34
Er ist der "Shooter": Jener Navy Seal, der persönlich für den Tod von Top-Terrorist Osama bin Laden verantwortlich sein soll, hat jetzt erstmals über den historischen Einsatz der Elitetruppe "Seal Team Six" im Mai 2011 gesprochen. In einem Interview mit dem "Esquire"-Magazin beschreibt der Ex-Soldat, wie er dem meistgesuchten Mann der Welt drei Kugeln in den Kopf verpasste, aber auch die Folgen für sich und seine Familie - und warum er von der US-Regierung im Stich gelassen wird.

In der Reportage, die in der März-Ausgabe von "Esquire" erscheint, schildert der ehemalige Navy Seal, der aus Sorge um die Sicherheit seiner Familie und aus Respekt vor seinen ehemaligen Kollegen anonym bleiben will und nur "Shooter" genannt wird, bislang nicht veröffentlichte Details der dramatischen Ereignisse im pakistanischen Abbottabad, die den Lauf der Geschichte verändern sollten. Der Artikel basiert auf ausführlichen Interviews, die der Journalist Phil Bronstein im Verlauf von mehr als einem Jahr mit dem Ex-Soldaten führte.

Auge in Auge mit Bin Laden
Gegenüber dem Journalisten erzählt der Mann von den Vorbereitungen für die hochriskante Mission und schildert erstmals jenen Moment, an dem er sich plötzlich Angesicht zu Angesicht mit Al-Kaida-Chef Bin Laden befand. "Wir haben ihn", habe die CIA-Analystin, die im Hollywood-Film "Zero Dark Thirty" (siehe Infobox) von Schauspielerin Jessica Chastain gespielt wird, dem Team mitgeteilt. Sie sei sich zu 100 Prozent sicher gewesen, dass sich Bin Laden in der dritten Etage des Hauses in Abbottabad aufhalte.

Mit den Beschreibungen, die dann folgen, widerspricht der "Shooter" den Angaben seines Teamkollegen Matt Bissonnette. Dieser hatte Ende 2012 mit seinem Buch "No Easy Day: The Firsthand Account of the Mission That Killed Osama bin Laden" (Kein leichter Tag: Ein Bericht aus erster Hand über den Einsatz, bei dem Osama bin Laden getötet wurde) für einen handfesten Skandal gesorgt (siehe Story "So starb Terrorchef Bin Laden wirklich" in der Infobox).

Als der "Shooter" dem Terroristen gegenüberstand, sei er laut seinen eigenen Angaben im ersten Moment überrascht von dessen Größe gewesen. Bin Laden sei viel größer gewesen, als er ihn sich vorgestellt hatte, dünn mit einem kurzen Bart und Glatze, erinnert sich der Elitesoldat. "Er (Bin Laden) hielt seine Frau Amal vor sich wie ein Schutzschild." Während der "Shooter" dank seines Nachtsichtgeräts genau sehen konnte, was vor sich ging, sei Bin Laden in völliger Dunkelheit vor ihm gestanden. Der Terrorist habe ihn zwar hören, aber nicht sehen können, so der Ex-Seal.

"In dieser Sekunde schoss ich ihm zwei Mal in die Stirn"
"Und er kam näher. Ich wusste nicht, ob sie eine Bombenweste umgeschnallt hatte, durch deren Zündung sie beide als Märtyrer sterben sollten", erzählt der "Shooter". "Er hat eine Waffe in Reichweite. Er ist eine Bedrohung. Ich brauche einen Kopfschuss, damit er keine Chance kriegt, sich selbst in die Luft zu sprengen", lässt er seine Gedanken während der dramatischen Situation Revue passieren. "In dieser Sekunde schoss ich ihm zwei Mal in die Stirn. Bap! Bap! Das zweite Mal, als er bereits zu Boden ging. Er lag dann auf dem Boden vor seinem Bett, und ich traf ihn wieder, Bap! An der gleichen Stelle."

Durch sein Nachtsichtgerät habe er dann erkennen können, dass Bin Laden tot war. "Er hat sich nicht bewegt. Seine Zunge hing raus. Ich beobachtete ihn bei seinen letzten Atemzügen, es war nur mehr ein Reflex des Körpers." In diesem Moment habe sich der ausgebildete Scharfschütze dann gefragt: "Ist das das Beste, was ich je getan habe, oder das Schlimmste, was ich je getan habe? Das ist real und das ist er. Heilige Scheiße."

Bin Ladens Stirn habe entsetzlich ausgesehen, spart der "Shooter" auch nicht die grausamen Details der Tötungsaktion bei seinen Schilderungen aus. "Sie war in Form eines V gespalten und ich konnte sein Gehirn sehen, wie es herausquoll und über sein Gesicht rann." Bin Ladens Frau Amal habe sich dann auf ihn stürzen wollen und zu schreien begonnen, beschreibt der Ex-Soldat die Momente nach den tödlichen Kopfschüssen.

Sohn musste Bin Ladens Tod mit ansehen
Erst nachdem er die Frau mit Kabelbinder an das Bett gebunden hatte, habe er Bin Ladens jüngsten Sohn in dem Zimmer bemerkt. Der zwischen zwei und drei Jahren alte Bub habe den Tod seines Vaters mit ansehen müssen. "Er stand auf der anderen Seite des Bettes. Ich wollte ihn nicht verletzen, denn ich bin kein Wilder." Es gab jede Menge Geschrei, der sichtlich geschockte Bub habe zu weinen begonnen. "Ich wollte nicht, dass er Angst hat und habe ihn neben seine Mutter auf das Bett gelegt."

Alles in allem habe die ganze Aktion im dritten Stockwerk des Gebäudes in Abbottabad nicht viel länger als zwei Minuten gedauert, so der "Shooter". Das Nächste, das ihm in den Sinn kam, war, dass er die ganze Zeit über eine Flasche Urin in seiner Tasche bei sich hatte, nachdem er sich auf dem Weg zur Mission im Hubschrauber hatte erleichtern müssen.

Ex-Seal von US-Behörden im Stich gelassen
Doch die "Esquire"-Reportage endet nicht mit der Tötung von Bin Laden, sondern offenbart auch das weitere Schicksal des Mannes, der das Leben des Terroristenchefs beendete - und wie Veteranen nach Beendigung ihrer aktiven Dienstzeit von den US-Behörden im Stich gelassen werden. Dem Artikel zufolge quittierte der Scharfschütze, dessen Ehe eigenen Angaben zufolge nach der historischen Mission den Bach runterging, im September vergangenen Jahres aus gesundheitlichen Gründen freiwillig den Dienst. Weil er das vorgeschriebene Pensionsalter nicht erreicht habe, bekomme er nun weder eine monatliche Abfindung noch eine Gesundheitsvorsorge.

Auch eine Art Übergangskompensation werde dem zweifachen Familienvater verwehrt. Man habe ihm nur gesagt: "Sie sind außer Dienst, die Absicherung ist vorbei. Danke für 16 Jahre, geh und f*** dich selbst", zitiert ihn "Esquire". Konkret bietet das US-Militär seinen Angehörigen einer Übergangsregelung zufolge weitere 180 Tage lang Krankenversicherung - jedoch nur, wenn der Betroffene sich verpflichtet, in "unterstützender Rolle" im aktiven Dienst zu bleiben oder Reservist wird.

Die Regierung mache offenbar keine Ausnahmen, wenn es um Altersvorsorge geht - auch nicht für einen jener Amerikaner, die für den vernichtenden Schlag gegen Al-Kaida mitverantwortlich sind, so die Kritik von Journalist Phil Bronstein. "Es ist schwer zu verstehen, dass ein Mann mit Hunderten von erfolgreichen Kriegseinsätzen, einer der höchstdekorierten Kriegsveteranen unserer Zeit, der seine Karriere durch das Töten von Osama bin Laden krönte, keinen sicheren Platz im zivilen Leben hat", so Bronstein.

Journalist: "Regierung ohne jegliches Mitgefühl"
Ohne eine Rente oder Gesundheitsversorgung habe die Regierung den "Shooter" seinem Schicksal überlassen. Ohne jegliches Mitgefühl sei ihm ein Job als Lastwagenfahrer angeboten worden, um über die Runden kommen zu können. Eine solche Aufgabe wäre allerdings ein wesentlicher Karriere-Abstieg und von seinem 54.000-Dollar-Jahresgehalt als Navy Seal weit entfernt, gibt Bronstein zu bedenken. Eine private Krankenversicherung koste den Ex-Soldaten derzeit 486 Dollar im Monat, decke aber nicht einmal alle erforderlichen Kosten, etwa für einen Chiropraktiker, ab.

Wegen seiner Anonymität könne der "Shooter" seine militärischen Leistungen zudem nicht einfach als Erfahrungen im Lebenslauf angeben. Auch wenn Freunde oder Familienmitglieder ihn bei ihren Arbeitgebern empfehlen wollen, können sie niemandem erzählen, dass er als Teil von "Seal Team Six" an der Tötung von Bin Laden beteiligt war.

Das Ringen des Seals um seine finanzielle Zukunft stehe Bronstein zufolge jedenfalls im krassen Widerspruch zur Aussage von US-Präsident Barack Obama am Tag der Veteranen: "Niemand, der für dieses Land im Ausland kämpft, sollte jemals für einen Job kämpfen müssen. Oder für ein Dach über dem Kopf, oder für die Pflege, die sie verdient haben, wenn sie nach Hause kommen", so Obamas Worte.

"Behandelt Amerika so seine Helden?"
Aber der "Shooter" muss kämpfen: finanziell, körperlich und emotional. Mit einem Körper voller Narben, Arthritis, Sehnenentzündungen, Augenschäden und kaputten Bandscheiben benötige der Ex-Soldat dringend medizinische Versorgung. "Behandelt Amerika so seine Helden?", fragt Journalist Bronstein. räsident Biden zu den 'besten Kriegern in der Geschichte der Welt' erklärte?"

Die mangelnde soziale Absicherung von Veteranen sei ein bekanntes Problem, schrieb auch die renommierte Tageszeitung "Washington Post" am Montag. Jeder zehnte Veteran habe laut einer Studie des Urban Institute keinen Versicherungsschutz, so die Zeitung. Zwar gebe es eine Abdeckung für die meisten Veteranen, jedoch nur, wenn sie gewisse Kriterien erfüllen würden. Der Studie zufolge fallen dadurch derzeit etwa 1,3 Millionen ehemalige Militärangehörige durch den Rost - und der Mann, der Bin Laden tötete, ist einer von ihnen.

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