Krieg in Syrien

Neue Tools ordnen Videoflut in sozialen Netzwerken

Medien
29.11.2016 09:25

Für Kriegsreporter ist es ein großes Problem, an Informationen zu gelangen. Konflikte werden an entlegenen Orten ausgetragen, für Zivilisten schwer zugänglich und gefährlich, die Übermittlung von Nachrichten ist schwierig. Inzwischen gilt für Journalisten aber oft das Gegenteil.

Kriege wie in Syrien haben eine Flut an YouTube-Videos, Tweets und Facebook-Posts produziert, die zwar beispiellose Einblicke in entlegene Konflikte gewähren - deren Masse aber für Journalisten kaum zu bewältigen ist. Nun wurden einige Werkzeuge entwickelt, die helfen können - und auch den Journalismus ein Stück weit verändern.

Syrien-YouTube-Videos sind länger als Krieg selbst
"Zusammengerechnet ergeben die Videos zum Syrienkrieg eine Spieldauer die länger ist, als der Konflikt selbst", erklärt ein Video von Jigsaw, einem Technologie-Inkubator von Google. Die Aufnahmen werden hochgeladen von Rebellen, Aktivisten und Zivilisten, von der Terrorgruppe Islamischer Staat, vom Regime und weiteren Gruppen. Dieser Konflikt ist der erste, der derartig dokumentiert und in den Sozialen Medien geteilt wurde. Knapp 4,9 Millionen Ergebnisse werden auf YouTube angezeigt, wenn man "Syria" in das Suchfeld eingibt.

Damit Journalisten und Experten das Volumen an Videos auf YouTube - ebenfalls eine Google-Tochter - bewältigen und effektiv nutzen können, hat Jigsaw die Webanwendung Montage entwickelt. Sie erlaubt es Nutzern, Videos mit bestimmten Informationen zu kennzeichnen - etwa ein Datum, Ort oder Details zu dem, was in den Aufnahmen zu sehen ist. Anhand dieser sogenannten Tags kann man die Videos in Projekten sammeln, sortieren, später wieder aufrufen und teilen.

Blogger analysiert YouTube-Videos ins Detail
Genutzt wird es unter anderem von Eliot Higgins. Der Brite ist Investigativ- und Open-Source-Journalist, recherchiert also meist anhand von frei zugänglichen Quellen. Zu seinem Beruf ist er eher zufällig gekommen: Vor vier Jahren wusste er nichts über Waffen, war noch nie in einem Kriegsgebiet gewesen und hatte keine Erfahrungen als Reporter, erzählt er. Er las die Berichterstattung über den Konflikt in Syrien und fragte sich, was für Waffen zum Einsatz kamen, fand dazu jedoch kaum Berichterstattung. Dafür aber reichlich Kriegsvideos auf YouTube. Diese schaute er sich im Detail an, recherchierte online, verglich die Waffen in den Videos mit Informationen im Netz und verfasste Berichte.

Mit seinen Analysen wurde sein Blog Brown Moses in kürzester Zeit für Medien weltweit zu einer der wichtigsten Quellen über die Kriegsführung in Syrien. Heute veröffentlichen er und weitere Blogger und Journalisten über die Plattform Bellingcat Artikel unter anderem zu Syrien, der Ukraine und Libyen. Sein Team verfasste etwa Berichte, die russische Militärs für den Abschuss des Passagierfluges MH17 über der Ukraine verantwortlich machten - und stützte sich dabei unter anderem auf Fotos aus sozialen Netzwerken.

Täglich bis zu 300 neue Videos aus Syrien
"Das schwierigste ist, mit dem Volumen an Informationen im Netz umzugehen", erklärt Higgins. Täglich würden rund 100 bis 300 Videos zu Syrien auf YouTube hochgeladen. Um diese zu sammeln und zu kategorisieren habe er zuvor die einzelnen Links in eine Tabelle kopieren müssen - aufwendig und unübersichtlich. Das Jigsaw-Tool Montage beschleunige und vereinfache dies, sagt Higgins.

Die Berichterstattung über die Gasangriffe in der syrischen Region Al-Ghuta im August 2013 hätte Montage zum Beispiel enorm erleichtert, erklärt Higgins. Mehrere Hundert Videos wurden dazu hochgeladen, die Lage war unübersichtlich, Berichte Wiedersprachen sich. Mit Montage hätte Higgins nach eigenen Angaben die Videos leichter kategorisieren und die Informationen systematisch auswerten können, sagt er. "Es gibt kein vergleichbares Tool."

Analyse-Tool Montage funktioniert nur mit YouTube
Montage funktioniert nur mit YouTube-Videos - das schränkt ein. Zur Ukraine-Krise etwa wird Higgins zufolge viel in dem russischen Netzwerk VK.com gepostet. Neben Montage vereinfachen etliche weitere Tools die Recherche im Netz: Mit Echosec ist die geografische Suche nach Einträgen in Sozialen Medien, die mit Koordinaten versehen sind, möglich.

Auch lässt sich auf Facebook und Twitter innerhalb eines Gebiets nach Posts suchen. Google Earth erlaubt den Zugriff auf Satellitenbilder. Und mit Checkdesk können Nutzer Tweets, Facebook-Posts und andere Informationen gegenseitig verifizieren. Die Bellingcat-Reporter haben dies nach eigenen Angaben benutzt, um die Bewegung russischer Militärfahrzeuge von Russland in die Ukraine zu verfolgen.

Material aus dem Web ist manipulationsanfällig
Frederik Richter vom Recherchezentrum Correctiv aber sagt: "Es heißt nicht umsonst, 'das erste Opfer des Krieges ist die Wahrheit.'" Das gelte auch für Open-Source-Daten und Informationen aus Sozialen Medien. In Konflikten könnten diese von jeglichen Seiten manipuliert werden und sie zu verifizieren, sei sehr schwer. "Man kann nur mit Plausibilität arbeiten und den Kontext betrachten."

Daher sei für die Correctiv-Journalisten das Nutzen dieser öffentlich zugänglichen und Social-Media-Daten nur ein Tool von vielen. Allerdings sagt Richter, sie würden für Reporter als Quellen an Bedeutung zunehmen. "Gerade in Regionen, in denen es weniger traditionelle Medien gibt."

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