Deserteure befragt:

Warum der IS sogar eigenen Kämpfern zu brutal ist

Ausland
26.09.2015 08:13
Eine neue Studie des renommierten King's College in London gibt tiefe Einblicke in die Welt der Terrormiliz Islamischer Staat. Die Forscher analysierten die Aussagen von IS-Aussteigern und kamen zu folgendem Ergebnis: Die Brutalität der Dschihadisten ist sogar den eigenen Kämpfern zu viel. Auch Korruption und Rassismus innerhalb des IS kritisieren viele der Aussteiger.

In der aktuellen Studie des "International Centre for the study of radicalisation and politcal violence" (ICSR) des Londoner King's College wurden Aussagen von 58 Aussteigern aus 17 verschiedenen Herkunftsstaaten ausgewertet. Dass die Ex-Kämpfer des IS mehrheitlich ähnliche Gründe für ihren Ausstieg vorbrachten, interpretieren die Autoren der Studie als Zeichen für deren Glaubwürdigkeit.

Das ICSR fand heraus, dass es ausgerechnet die Brutalität ist, die Kämpfer zum Ausstieg aus dem IS drängt. Die Gräueltaten des IS scheinen demnach sogar Kämpfern aus den eigenen Reihen zu viel zu werden. Viele der Deserteure erzählten der Studie zufolge von der willkürlichen Ermordung von Geiseln, der Misshandlung von Dorfbewohnern und der Exekution von IS-Mitstreitern. Insgesamt arbeiteten die Autoren vier zentrale Motive heraus, für die die IS-Mitglieder die Gefahren des Desertierens auf sich nahmen.

Den gesamten Bericht lesen Sie hier:

1.Interne Machtkämpfe
So kritisierten die Aussteiger insbesondere, dass der Sturz des Regimes des syrischen Machthabers Bashar al-Assad keine Priorität mehr habe. Vielmehr würden die IS-Ressourcen dazu eingesetzt, andere Rebellentruppen zu bekämpfen und "Spitzel" oder "Verräter" ausfindig zu machen. Für viele Aussteiger hätte dies der Studie zufolge nichts mit dem "Heiligen Krieg" zu tun, für den sie sich in Syrien und im Irak gemeldet hatten.

2. Brutalität gegen andere Muslime
Auch die Gewalt gegen andere Muslime, meist gegen Anhänger des sunnitischen Glaubens, wurde von den Aussteigern mehrheitlich verurteilt. So ließe sich etwa der Kampf gegen sunnitische Rebellen nicht mit muslimischen Glaubensgrundsätzen vereinbaren und wurde grundsätzlich als kontraproduktiv eingeschätzt.

Die Brutalität, mit der die Terrororganisation unter anderem gegen unschuldige Zivilisten vorgeht, war ebenfalls ein zentrales Motiv für den Ausstieg. Allerdings geben die Studienautoren zu bedenken, dass sich die befragten Deserteure nicht grundsätzlich gegen Gewalt aussprachen, sondern lediglich Gewalt gegen andere Muslime als problematisch einstuften. Brutales Vorgehen gegen Minderheiten bzw. Ungläubige brachten die Aussteiger den Auswertungen zufolge hingegen nie zur Sprache.

3. Korruption und Rassismus
Auch Korruption innerhalb der Terrorgruppe war für IS-Kämpfer ein Grund, auszusteigen. So sollen ausländische Kämpfer unbegründet Privilegien erhalten haben oder von Führungsfiguren bevorzugt worden sein. "Während viele gewillt waren, die Härten des Krieges zu tolerieren, wollten sie ungerechte und ungleiche Behandlung sowie Rassismus nicht akzeptieren", so die Studienautoren. Als Beispiel wird in der Studie der Fall eines IS-Deserteurs aus Indien angeführt. Dieser erzählte, er sei von IS-Führern zum Toilettenputzen gezwungen worden - nur aufgrund seiner Hautfarbe.

4. Schlechte Lebensqualität und fehlender Ruhm
Ein weiterer Grund zum Ausstieg dürften für viele der Deserteure aber auch einfach nicht erfüllte Erwartungen gewesen sein. In seiner professionell produzierten Propaganda werden Kämpfern vom IS unter anderem Autos, Geld und ein luxuriöses Leben in Aussicht gestellt. Doch das Leben im Kalifat stelle sich dann vielmehr als "hart und enttäuschend" heraus, heißt es in der Studie.

Die Auswertung des ICSR zeigt zudem, dass viele der Deserteure glaubten, als heldenhafte Kämpfer gefeiert zu werden. Doch statt des versprochenen Ruhms galt es für die IS-Anhänger dem ICSR zufolge, "stumpfe" Pflichten zu erfüllen. Einige der Aussteiger waren zudem schockiert, wie IS-Krieger ausgebeutet und als "Kanonenfutter" missbraucht wurden. Vor allem IS-Anhänger aus westlichen Staaten hatten außerdem mit den Einschränkungen, die der Krieg mit sich bringt, zu kämpfen: etwa Elektrizitätsengpässen und dem Mangel an grundlegenden Gütern.

Deserteure als "mächtiges Werkzeug" gegen IS-Propaganda
Die Aussagen der Aussteiger sollen dem ICSR zufolge nun als "mächtiges Werkzeug" gegen die Propagandamaschine des IS eingesetzt werden. Einerseits, so die Einschätzung der Studienautoren, könnten weitere Kämpfer zum Ausstieg bewegt werden, andererseits potenzielle Anhänger von ihrem Vorhaben, sich der Terrorgruppe anzuschließen, bereits im Vorfeld abgebracht werden. Zudem sollen die Widersprüche innerhalb der Terrorgruppe deutlich gemacht werden. Fazit der Studie: "Die Stimmen der Deserteure sind laut und klar: 'Der IS beschützt keine Muslime, er tötet sie.' Sie müssen gehört werden!"

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