"Krone"-Interview

L7: “Männern ist bei uns das Hirn eingefroren”

Musik
12.07.2015 17:00
Anfang der 90er-Jahre zählten L7 zu den provokantesten und erfolgreichsten Girl-Grunge-Bands. Nach dem jähen Aus hörte man jahrelang nichts mehr von Donita Sparks und Co. Umso schöner, dass ausgerechnet die alten und treuen Fans für ein Comeback des Quartetts aus Los Angeles verantwortlich zeichneten. Vor ihrem ersten Österreich-Gig nach 23 Jahren beim Nova Rock, baten wir Frontfrau Donita Sparks und die immer noch mit reichlich derbem Humor ausgestattete Bassistin Jennifer Finch zum Gespräch.
(Bild: kmm)

Sie hielten der männlichen Dominanz im Musikgeschäft den Spiegel vor, gründeten eine eigene feministische und subkulturelle Bewegung und scheuten nicht davor zurück, verbal als auch nonverbal zu provozieren. Die sogenannte "Riot Grrrl"-Bewegung rüttelte Anfang der 90er-Jahre ordentlich am gefestigten Establishment und Frauen-Bands wie die Babes In Toyland, Sleater-Kinney, Bikini Kill oder L7 distanzierten sich deutlich vom oft so machohaften Gehabe der Musikindustrie.

Gegen das Patriarchat
Die kalifornische Grunge-Girl-Band L7 ließe sich ohnehin nichts gefallen, bekam durch die Erfolgssingle "Pretend We're Dead" und den Abrechnungs-Track "Shitlist" im erfolgreichen Roadmovie "Natural Born Killers" mehr Aufmerksamkeit zuteil, als sie sich jemals erträumen ließ. Im Zuge der Grunge-Welle vom Genre-Erfolgslabel Sub Pop unter Vertrag genommen konnten Donita Spars, Jennifer Finch und Co. von Anfang an auf die Unterstützung damals boomender Bands wie Nirvana, Rage Against The Machine oder Pearl Jam bauen, die selbst vehement gegen das Patriarchat des Musikbusiness ankämpften.

Provokation war über die gesamte Karriere der 1985 zusammengefundenen Band ein beliebtes Stilmittel. So warf Frontfrau Sparks beim Reading Festival 1992 erzürnt einen gebrauchten Tampon in die Zuschauermenge, performte selbige in der britischen TV-Show "The Word" unten ohne und versteigerte die Band 1999 bei einem Gig einen One-Night-Stand mit Drummerin Demetra Plakas.

Erfolg und Ruhm
Abseits von all den Skandalen und Skandälchen zeigten sich die Amerikannerinen als kundige Songwriterinnen, die musikalisch als auch thematisch vor allem in der ersten Hälfte der 90er-Jahre den Zahn der Zeit trafen und über die Jahre zu Dauergästen und Ikonen auf Film- und Computerspielsoundtracks wurden. Zu den größten Bewunderern von L7 zählten Kapazunder wie Kurt Cobain und The-Prodigy-Kopf Liam Howlett.

Rund um die Jahrtausendwende war das Interesse der Allgemeinheit versiegt und das Feuer innerhalb der Band erloschen - umso überraschender kam die Reunion im Jahr 2014, die auf mehreren Faktoren, vor allem aber auf den Fans basierte. Wie es dazu kam und was die Zukunft bringt, das erklärten uns Sparks und Finch im ausführlichen Gespräch.

"Krone": Donita, Jennifer – 2003 habt ihr euch endgültig aufgelöst, letztes Jahr gab es das für viele überraschende Comeback und schon seit ihr hier in Europa und erstmals seit 23 Jahren wieder in Österreich zu Gast. Wie fühlt es sich an, wieder auf der Bühne zu stehen?
Donita Sparks: Das Feedback der Fans ist einfach unglaublich, vor allem die Clubshows waren ein durchschlagender Erfolg. Die Leute im Publikum sind ziemlich jung, womit wir nicht gerechnet hatten.
Jennifer Finch: Ihre Hüften arbeiten wirklich großartig. (lacht)

"Krone": Was war denn der Grund, dass ihr elf Jahre nach dem Exodus wieder zusammengefunden habt?
Sparks: Veranstalter haben sich schon viele Jahre an uns rangemacht und wollten uns wieder auf die Bühne kriegen, aber wir hatten alle unsere eigenen Projekte und so stellte sich die Frage für uns anfangs gar nicht. Plötzlich hörten wir aber, dass via Crowdfunding-Plattform jemand eine Dokumentation drehen will und so haben wir uns wieder zusammengesetzt, um Interviews dazu zu geben. Als wir dann selber für den Film recherchiert haben, haben wir erst gemerkt, dass unzählige Fans auf Facebook extrem aufgeregt und erfreut waren, dass es diesen Film geben wird. Das verbreitete sich wie ein Schneeballsystem. Wir haben dann viele Angebot von Festivals bekommen, noch viel mehr aus Europa als aus den USA, und irgendwann wurden wir schwach. Deshalb sind wir auch schneller hier bei euch als bei uns zuhause auf der Bühne. Nachdem die Europa-Shows super liefen, kommen auch die Amerikaner drauf, dass sie uns buchen möchten.

"Krone": Das finde ich sehr interessant, denn als ihr Anfang der 90er-Jahre im Zuge der Grunge- und Punk-Rock-Bewegung eure Hochzeit hattet, wart ihr in den USA wesentlich populärer als in Europa.
Sparks: In England, Spanien und Frankreich waren wir schon eine große Nummer, auch in Skandinavien. Ich weiß auch nicht, warum es damals ausgerechnet in Deutschland und Österreich nicht ganz so gut lief. Ich habe da eine Theorie, aber die will ich jetzt nicht erläutern.

"Krone": Habt ihr in den Jahren, wo es die Band nicht gab, untereinander Kontakt gehalten? Gab es kein böses Blut?
Sparks: Wir hatten schon unsere Jahre, wo wir nicht miteinander gesprochen haben. Böses Blut ist übertrieben, es war einfach nur seltsam, weil sich Leute, die sich nahe standen, einfach aufgerieben haben. Es geht gar nicht um die Bandmitglieder selbst. Hier gab es eine Scheidung, dort gab es bösen Zoff in einer unserer Familien. Solche Sachen eben. Dann staut sich schnell mal Wut und Ärger auf und man geht sich eben eine Zeit lang aus dem Weg. Aber es gab jedenfalls kein Drama der Marke: "Du hast mit meinem Freund geschlafen". (lacht) Anderen Bands in unserem Umkreis ist das aber genau so passiert, da brach dann alles auseinander.
Finch: Wir hatten eine wirklich intensive Zeit, das haben die Leute glaube ich gar nicht mitbekommen, wie stark uns die Zeit in der Band gefordert und mitgenommen hat. Es war einfach einmal notwendig, diesen Prozess zu stoppen, etwas durchzuatmen und die eigene Identität zu finden. Jede Beziehung, die ich in meinem Leben führte, basierte auf L7. Alle unsere Freunde, unsere Familien – alles. Natürlich hat es dann auch wieder etwas gedauert, bis wir nach dem Selbstfindungsprozess in Ruhe zusammenarbeiten konnten.

"Krone": Habt ihr eigentlich mitbekommen, wie beliebt ihr bei den Fans in den Jahren eurer Abwesenheit noch wart?
Finch: Überhaupt nicht – das war eine Sensation für uns alle. Gewisse Leute von anderen Bands aus unserer Zeit wurden über die Jahre zu einer Art Sprecher für die gesamte Generation, die mit uns und unserer Musik aufgewachsen ist. Wir wurden dabei quasi unter die Brücke geschwemmt. Es ist toll, dass diese Dokumentation passiert und wir uns wiedervereinigt haben, weil uns das an die Oberfläche zurückspült. Wir wurden über die Jahre ziemlich vergessen, auch unser Beitrag zur Rock-'n'-Roll-Geschichte. Wir waren damals Pioniere und selbst überrascht, dass wir so vergessen wurden. Aber das Feedback der Fans auf Facebook war herzerwärmend und großartig. Sie sind der einzige Grund, warum das alles jetzt passiert. Sie haben uns nie vergessen, immer YouTube-Videos hochgeladen und Fansites gebastelt. All das hat eine ganz neue Generation zu L7 gebracht. Allein wenn ich darüber rede, fährt mir schon die Gänsehaut hoch – die Fans haben uns zum Leben erweckt. Wir danken ihnen für alles.

"Krone": Was kann man sich denn von der Dokumentation erwarten? Habt ihr in eurem Archiv gegraben und Material von all den alten Karrierephasen von euch ausgegraben?
Sparks: Du musst einfach warten, bis sie fertig ist. Dann wirst du schon sehen. (lacht) Wir haben unzählige Aufnahmen von allen von uns. Lustigerweise war das meiste Zeug – eben Videos, Aufnahmen oder auch Bilder – tatsächlich unter unseren Betten zu finden. Auf Facebook habe ich Fotos von Fans gefunden, die ich überhaupt noch nie gesehen habe. Da kommen die Erinnerungen hoch, wie ungezwungen und toll unser Leben damals war. Die Dokumentation war nicht verantwortlich dafür, dass wir wieder zusammen auf der Bühne stehen. Jetzt muss der Regisseur natürlich mit uns mit nach Europa, um unsere aktuellen Gigs zu filmen. Das ist so eine Art Spinal-Tap-Moment – plötzlich gibt es was Aktuelles festzuhalten. Ich weiß nicht, ob er das im Film verwenden wird, aber es gibt jetzt zumindest ein Ende. Mit den aktuellen Konzerten könnte man den Film schließen.
Finch: Eigentlich habe ich stark auf ein Sex-Tape gehofft. Wenn du näm ich total stolz darauf, weil ich mich zurückerinnern würde, dass es eine Zeit gab, in der ich tatsächlich Sex hatte. (lacht)

"Krone": Wie viel Nostalgie schwingt mit, wenn ihr die alten Bilder und Videos aus euren staubigen Ecken hervorkramt?
Finch: Nostalgie verspüre ich eigentlich keine, aber wenn ich zurückdenke, waren wir tatsächlich so etwas wie "Road-Demons". Wir sind mit jedem klapprigen, zerstörten, beschissenen Bus, den wir für 100 Dollar auftreiben konnten, durch die Gegend gefahren. Wir hatten alle normale Day-Jobs, jeden Cent in die Band gesteckt und wenn ich mir heute diese Bilder ansehe, dann denke ich mir: "Wahnsinn, lass uns das wieder machen". Wir waren so jung, fast noch Teenager, hatten keine Roadcrew und keinen Tourmanager, sondern waren einfach wir selbst. Wenn ein Reifen platzte, haben wir ihn gewechselt – kein Problem. Ich bin wirklich stolz, dass wir so viele Abenteuer erlebt und überlebt haben, ich bin auch stolz darauf, was wir erschaffen haben und wir eine gewisse musikalische Szene mitgeprägt haben. Wir gehörten tatsächlich zur letzten Generation von wahrem, authentischen Rock. Ich will damit keinen angreifen, aber danach kam eigentlich nichts mehr Innovatives.
Sparks: Wir und alle anderen Bands unser Generation haben damals selbst unsere Vans gelenkt. Es gab keine Kreditkarten, keine Mobiltelefone und die Kommunikation war schwierig. Wir mussten auf dem Highway bei einer Tankstelle halten, um per Münztelefon den Promoter anzurufen und zu fragen, wie wir in seinen Schuppen kommen würden. Es war aufregend und frustrierend zugleich. Die Erfahrung kann uns aber niemand nehmen. Mir tun die Bands heute einfach leid, die diese Erfahrungen gar nicht machen können. Schaffen wir es überhaupt zum Konzert? Haben wir alles mit? Das gibt es alles nicht mehr.

"Krone": Darum ist das Touren heute wohl nicht mehr so lustig wie früher für euch. Heute habt ihr einen Tourmanager und geht völlig geregelten Zeiten nach.
Sparks: Es ist einfach anders. Wir sind auch keine 20 mehr und es gibt bei uns keine Unsicherheiten. Wir haben eine Garderobe, haben Getränke und bekommen Essen. Aber das soll auch so sein, schließlich sind wir mittlerweile eine ältere Band und haben unsere Rechnungen bezahlt. Es ist schön, so gut behandelt zu werden. Das passierte uns ja nicht immer, insofern können wir das heute sehr genießen.

"Krone": Anfang der 90er gab es kaum eine Band, die Leute so gut provozieren konnte. Eure Drummerin hattet ihr für einen One-Night-Stand versteigert und du, Donita, hast beim Reading-Festival 1992 aus Wut einen gebrauchten Tampon ins Publikum geworfen und dich für eine Fernsehshow untenrum ausgezogen. Hat euch das Provozieren so viel Spaß gemacht?
Sparks: Es war wirklich lustig, die Leute zu erschrecken. Speziell damals war es so einfach, Männer zu schockieren. Denen ist bei unseren Aktionen das Hirn eingefroren, während Frauen das cool fanden, diese Art und Weise des emanzipatorischen Handelns. Die Typen konnten nicht fassen, was wir da aufführten und uns gab das einen Kick. Wir waren schon auch wirklich so, aber mitunter waren wir auch immer gebrochene Persönlichkeiten. Wir haben süße und verletzliche Seiten, wir weinen genauso wie jeder andere auch, aber wenn wir gerade Spaß hatten, dann wollten wir schockieren. Heute ist das ziemlich schwierig, weil es im Prinzip schon alles gibt und das Internet alle abgestumpft hat, aber damals war das einfach Spaß. Es hat uns in gewisser Weise auch zusammengehalten, weil wir uns damit gegenseitig unterhalten haben und das eine Art von emotionaler Unterstützung war.

"Krone": Das wäre meine nächste Frage gewesen – wie könntet ihr anno 2015 noch schockieren?
Sparks: Jede Generation findet einen Weg. (lacht) Manchmal passieren Dinge einfach und das Geschehene wird zu einer Legende. Früher unterhielten sich die Leute und konnten nicht fassen, was etwa Ozzy Osbourne fabriziert hat, oder dass ich den Tampon in die Menge geschmissen haben. Das wurden einfach "Urban Legends". Heute, im Zeitalter von YouTube, filmt jeder alles mit und macht alles für jeden zugänglich. Daraus können keine Legenden mehr entstehen, weil alles viel kurzlebiger wurde. Das Mysteriöse fällt weg. Das Gute daran ist aber, dass die Leute Konzerte dokumentieren und wir niemanden mehr dafür bezahlen müssen, dass er ein Konzert von uns dreht. (lacht) Es ist in dem Fall wortwörtlich crowdfunded.
Finch: Es ist halt interessant zu beobachten, wie sich das Konzertverhalten verändert hat. Leute gehen zu Livekonzerten, um eineinhalb Stunden mitzufilmen, obwohl sie wissen, dass sie sich das Video nie mehr ansehen werden. Aber gut – sie bezahlen trotzdem den Eintritt zum Gig, auch wenn mir hinter diesem System jegliche Logik fehlt. Aber es gibt noch Ecken auf dieser Welt, wo die Leute noch rocken und die Arbeit den professionellen Fotografen überlassen. Aber es wird immer seltener. Im Prinzip genießt jeder das Konzert auf seine eigene Art und Weise – uns ist das eigentlich egal, solange die Leute nur kommen. Filmt doch, wenn ihr wollt – kein Problem.

"Krone": Ist es für euch heute, wo ihr alle über 50 seid, immer noch so einfach, eine derartig offensive Energie auf die Bühne zu bringen?
Sparks: Wir brechen fast ein, aber irgendwie geht es noch. Vielleicht mit Krücken? Nein, war nur ein blöder Scherz. Wir sind immer noch wahnsinnig aufgeregt vor einem Auftritt und nach so langer Abwesenheit ist das auch wie neu für uns. Selbst wenn wir krank oder schlecht drauf sind, kriegen wir durch das feurige Feedback der Fans genug Energie, um ordentlich draufzuhauen. Die Kids vor der Bühne sind absolut toll drauf und das ist im Laufe einer Show dann ein Geben und Nehmen zwischen uns und den Fans. Eine Show ist nur dann eine Show, wenn Fans und Band zusammenspielen. Es geht nicht darum, dass wir als Band rausgehen und einen auf Chef machen. Das ist Bullshit.

"Krone": Abschließend natürlich die auf der Hand liegende Frage – wird es auch ein neues Studioalbum geben?
Sparks: Derzeit noch nicht, aber ich will nicht nein sagen. Warten wir noch ab. Unsere Frontfrau Suzi Gardner hat einen hervorragenden Song über Penis- und Hodenfolter geschrieben. Daran arbeiten wir derzeit. (lacht) Nein ehrlich – warten wir einfach ab.

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