Euro-Schicksalstag?

Griechen vor Rachewahl gegen Sparpolitik

Ausland
23.01.2015 16:17
Alexis Tsipras wird voraussichtlich irgendwann am Sonntagabend die Arme hochreißen und den durch sechs harte Rezessionsjahre gegangenen Griechen versichern, dass jetzt alles besser wird. Seine linke Partei Syriza hat allen Umfragen zufolge die besten Chancen, aus der Parlamentswahl als stärkste politische Kraft in dem von Schulden fast erdrückten Euro-Land hervorzugehen. Es ist eine Rachewahl gegen die Sparpolitik geworden - und Tsipras ist die Speerspitze dieses "Befreiungskampfes". Die Folgen sind unabsehbar.

Von den Gläubigern - allen voran Deutschland - fordert der Syriza-Chef einen Schuldenerlass. Schmerzhafte Reformen will er zurückdrehen, die Wirtschaft mit Milliardensummen wieder auf Trab bringen. Lange wurde der 40-Jährige von den Reformbefürwortern im In- und Ausland als Schreckgespenst verteufelt. Aber kurz vor der Wahl ist die Stimmung in den Machtzentren Europas verblüffend ruhig.

Ministerpräsident Tsipras steht noch keineswegs fest
Ein Teil der Gelassenheit der Gläubiger erklärt sich daraus, dass die politischen Umstände in Athen und der Faktor Zeit ihnen in die Hände zu spielen scheinen. So müsste Tsipras erst einmal Ministerpräsident werden, was keineswegs feststeht.

Die Ausgangslage: Im Parlament in Athen sind 300 Sitze zu vergeben. Eine wichtige Besonderheit im Wahlrecht ist, dass die stärkste Partei zu ihren regulär errungenen Mandaten einen Bonus von 50 Sitzen bekommt. Das soll für Stabilität sorgen. Mit 36 Prozent der Stimmen, die der Syriza in einer Wahlumfrage vorhergesagt werden, könnte eine Alleinregierung klappen, die meisten anderen Umfragen sehen sie eher bei 32 bis 33 Prozent.

Kleiner Kreis an möglichen Koalitionspartnern
Dass die Syriza - mit Bonus - auf die absolute Mehrheit von 151 Sitzen kommt, ist also nicht ausgeschlossen, aber auch nicht gesichert. Im zweiten Fall bräuchte sie einen Koalitionspartner. Den Umfragen zufolge haben acht der antretenden 22 Parteien eine Chance, die Drei-Prozent-Hürde zu überspringen.

Die radikalen Kommunisten (KKR) und die Neofaschisten scheiden als Partner aus. Mit den aktuellen Koalitionären, der konservativen ND und der sozialdemokratischen Pasok, dürfte ein Bündnis ebenfalls schwer zu schmieden sein, stehen sie doch für den von Syriza bekämpften Reformkurs. Allerdings schließt die Pasok eine Zusammenarbeit nicht gänzlich aus, wie ihr Chef Evangelos Venizelos jüngst in einem Reuters-Interview sagte. An der Kooperation mit den Gläubigern will er aber nicht rütteln.

Schließlich wären da die beiden neuen Mitte-links-Parteien To Patami ("Der Fluss") und Kidiso. Letztere könnte den Umfragen zufolge an der Drei-Prozent-Hürde scheitern. To Patami aber ist für den Reformkurs und gegen einen radikalen Schuldenschnitt.

Regierungschef nur auf Basis von Kompromissen
Sollte es Tsipras wirklich zum Regierungschef bringen, dann voraussichtlich nur auf Basis von Kompromissen. Dann hätte er es noch mit den internationalen Gläubigern zu tun. Hier kommt der Zeitfaktor ins Spiel: Nur wenn das aktuelle zweite Hilfsprogramm der Euro-Partner und des IWF bis zum 28. Februar ordnungsgemäß abgeschlossen wird, fließen dem Land nach Angaben der amtierenden Regierung weitere dringend benötigte Hilfen über 7,2 Milliarden Euro zu.

Zudem muss das Land im ersten Quartal bis zu 4,3 Milliarden Euro Kredite zurückzahlen, davon 2,8 Milliarden Euro an den IWF. Technisch ließen sich diese Fristen wahrscheinlich noch eine Weile überbrücken, aber sicherlich nicht bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag.

"Grexit"-Szenario weiter möglich
Solche Fakten seien schwer zu ignorieren, heißt es dazu etwa aus Berlin. Würde Tsipras dies dennoch tun und zugleich die Reformen zurückdrehen, würden die Gläubiger den Geldhahn wohl zudrehen. Das wäre dann die Staatspleite, vielleicht auch der "Grexit" aus der Euro-Zone, jedenfalls ein Chaos-Szenario, das auch Tsipras ablehnt.

Rund 9,8 Millionen Menschen werden am Sonntag zwischen 6 bis 18 Uhr (MEZ) an die Wahlurnen gebeten. Prognosen werden unmittelbar danach erwartet, erste Hochrechnungen gegen 20 Uhr (MEZ).

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