Angst vor ISIS

Patriarch: “Es gibt keine Christen mehr in Mossul”

Ausland
20.07.2014 13:58
Es ist ein beispielloser Exodus einer der ältesten christlichen Gemeinden im Irak: Nach einem Ultimatum der Dschihadisten haben am Wochenende Tausende Christen das nordirakische Mossul verlassen. In Taxis und Privatautos versuchten sie, in die benachbarten Kurdengebiete zu fliehen. Die Terrorgruppe ISIS hatte ihnen mit dem Tod gedroht, sollten sie nicht konvertieren oder die Stadt verlassen.

Die Christen hätten zum Islam konvertieren und eine Sondersteuer zahlen können, andernfalls müssten sie ihre Häuser und die Stadt verlassen. Weigerten sie sich, "wird es für sie nichts als das Schwert geben", hieß es in einem Flugblatt. Die Flüchtlinge suchten unter anderem in den kurdischen Autonomiegebieten Schutz. "Erstmals in der Geschichte des Irak gibt es keine Christen in Mossul mehr", sagte der Patriarch der chaldäisch-katholischen Kirche, Kardinal Louis Raphael I. Sako.

Laut der Erklärung sollen die Häuser der fliehenden Christen an die ISIS fallen. Der Patriarch und Augenzeugen berichteten, Rebellenkämpfer hätten in den vergangenen Tagen die Häuser von Christen mit einem "N" für Nassarah markiert. Das ist der im Koran verwendete Begriff für Christen.

"Fühle mich bereits tot"
Bis Donnerstag hielten sich noch 25.000 Christen in Mossul auf. Nach dem Ultimatum wagten aber nur wenige, zu bleiben. Einer von ihnen ist der 36-jährige Lehrer Fadi. "Ich bleibe. Ich fühle mich bereits tot", sagt Fadi. Er könne sich eine Flucht nicht leisten, außerdem seien die Aussichten für die Flüchtlinge kaum besser. Beim Verlassen der Stadt seien vielen Christen all ihre Habseligkeiten abgenommen worden. Er habe nur noch seine Seele zu verlieren, so Fadi.

Die christliche Minderheit, die seit der Frühzeit des Christentums im Irak lebt, war in den vergangenen Jahren immer wieder Bedrohungen und Angriffen ausgesetzt. Laut Medienberichten entfernten ISIS-Kämpfer die Kreuze von den Kirchen der Stadt, nahmen die Häuser von Christen und deren Besitz in Beschlag. Der syrisch-katholische Patriarch Ignatius Joseph III. Younan berichtete in Radio Vatikan, dass der Bischofssitz in Mossul gebrandschatzt worden sei.

Übergriffe auf Christen
Der katholische Erzbischof von Bagdad, Jean Benjamin Sleiman, berichtete von Übergriffen der ISIS-Kämpfer auf die flüchtenden Christen. Ihnen würden an Kontrollpunkten Geld, Autos und alle Gegenstände abgenommen, die sie mit sich führten. So seien die Flüchtlinge gezwungen, etliche Kilometer bei großer Hitze zu Fuß zurückzulegen, bis sie die ersten christlichen Dörfer erreichten.

Papst Franziskus rief beim sonntäglichen Angelus-Gebet nachdrücklich zu einem Ende der Gewalt auf: "Unsere Brüder werden verfolgt, verjagt, sie müssen ihre Wohnungen verlassen, ohne die Möglichkeit zu haben, etwas mit sich zu bringen", sagte der Heilige Vater. Er schließe diese Familien und Menschen ständig in seine Gebete ein. Auch alle Christen rief er auf, für das Ende der Konflikte in mehreren Teilen der Welt zu beten, vor allem in Nahost und der Ukraine. "Möge der Gott des Friedens in jedem einen echten Wunsch nach Dialog und Versöhnung wecken. Gewalt wird nicht mit Gewalt besiegt, sondern mit Frieden", sagte der Papst.

Kurz verurteilt Ultimatum
Österreichs Außenminister Sebastian Kurz verurteilte am Sonntag in einer Aussendung "das Ultimatum von ISIS an die in Mossul lebenden Christen und andere religiöse Minderheiten auf das Schärfste" und rief zur Bildung einer Regierung der nationalen Einheit aus Schiiten, Sunniten und Kurden im Irak auf.

Der Wiener Landtagsabgeordnete und gebürtige Iraker Omar Al-Rawi zeigte sich "geschockt und entsetzt" über die Berichte aus Mossul. "Ich verurteile diese Entwicklung auf das Schärfste und drücke der christlichen Bevölkerung meine Solidarität aus", betonte Al-Rawi in einer am Samstag übermittelten Stellungnahme. Es sei dafür zu sorgen, dass die Vertriebenen wieder sicher in ihre Stadt zurückkehren können. "Wer hier schweigt, macht sich mitschuldig."

Geistliche und Nonnen verschleppt
Die sunnitischen Extremisten hatten die Millionenstadt Mossul Anfang Juni eingenommen. Seitdem flohen Tausende Christen. ISIS-Kämpfer verschleppten mehrere Christen, darunter Geistliche und Nonnen. Auch andere religiöse Minderheiten wie Schiiten oder Jesiden wurden in den von der Terrorgruppe kontrollierten Gebieten bereits zu Opfern von Übergriffen.

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